Bei Marussia stand in der Winterpause wie bei kaum einem anderen Team das Thema Geld im Fokus. "Ein höheres Budget ist der Schlüsselfaktor. Wir alle wissen, dass man Geld benötigt, wenn man große Schritte machen will", erklärte Timo Glock, als er noch nicht ahnte, dass ihn das Team, für das er drei Jahre lang entwickelte, aus genau diesem Grund vor die Tür setzen wird.

Damit war das Thema jedoch nicht abgeschlossen. Als die Sponsoren seines Nachfolgers Luiz Razia mit ihren Zahlungen in Rückstand gerieten, entließ Marussia zum zweiten Mal im Laufe der Winterpause einen Fahrer. Jules Bianchi sprang in letzter Minute ein, offenbar konnte er die dringend benötigten finanziellen Mittel aufbringen.

Dass es um das Team in Sachen Finanzen nicht allzu gut bestellt ist, war bei den Testfahrten bereits am neuen Boliden, dem MR02 zu erkennen, auf dem viel blanker Lack ohne Sponsorenlogos zu sehen war. Geschäftsführer Graeme Lowdon versprach, dass sich das bald ändern wird. Es muss.

Das Team: Auf Marussia kommen in dieser und vor allem in der nächsten Saison nämlich mehr und nicht etwa weniger finanzielle Belastungen zu. Motorenpartner Cosworth wird wohl die Formel 1 verlassen, ein neuer Lieferant muss also her. Da die V6-Motoren zudem deutlich teurer sein sollen als ihre Vorgänger, keine leichte Situation für den Hinterbänkler.

Die Russen sollen sich aus dem britisch-russischen Team beinahe komplett zurückgezogen haben., Foto: Sutton
Die Russen sollen sich aus dem britisch-russischen Team beinahe komplett zurückgezogen haben., Foto: Sutton

Zudem macht es den Eindruck, dass hinter den Kulissen eifrig rochiert wird. Laut Oksana Kosachenko, Vitaly Petrovs Managerin, die angeblich auch mit Marussia verhandelte, sollen die Russen aus dem Team beinahe komplett verschwunden sein. Teammitbesitzer Nikolai Formenko komme nicht mehr zu den Rennen. Ein Verkauf erscheint damit nicht unwahrscheinlich - Marussia steht 2013 wohl keine einfache Zeit bevor, geht im Hintergrund doch vielleicht schon die Angst vor einem HRT-Schicksal um.

Immerhin soll es sportlich gesehen bergauf gehen, wenn auch nicht gleich zu Saisonbeginn. "Wir werden wohl noch nicht punktefähig sein, aber man weiß ja nie, was passiert. Bis Melbourne wird es eng, aber über die Saison gesehen, bin ich mir sicher, dass wir uns stark verbessern werden", übte sich Neu-Verpflichtung Jules Bianchi in Optimismus. Während Marussia bei den ersten Testfahrten in Jerez meist noch das Nachsehen gegen seinem unmittelbaren Konkurrenten Caterham hatte, drehten sie den Spieß in Barcelona um.

Die Fahrer: Bianchi saß vor dem Saisonstart in Melbourne allerdings gerade einmal anderthalb Tage im Cockpit des MR02. Ein Pluspunkt ist jedoch, dass er zuvor für Force India testete, wo er den Kampf um das Cockpit gegen Adrian Sutil verlor. Dadurch sollte er für Marussia interessante Erkenntnisse aus einem Mittelfeldteam mitbringen. Bianchi bewies zudem, dass er keine lange Eingewöhnungszeit braucht. Am letzten Testtag in Barcelona war er knapp eine Sekunde schneller als Teamkollege Max Chilton, mit dem er sich an diesem Tag das Cockpit teilte. Auch wenn die Rundenzeiten bei Tests nur bedingt aussagekräftig sind, kann man in jedem Fall von einem gelungenen, vielversprechendem Einstand reden.

Max Chilton genoss in den vergangenen Wochen den Vorteil, dass Razia aufgrund der finanziellen Engpässe kaum im Cockpit saß und er so reichlich Kilometer abspulen konnte. Zudem kennt er das Team deutlich besser als Last-Minute-Verpflichtung Bianchi, da er als Ersatzfahrer bereits im vergangenen Jahr sechs Rennwochenenden bei Marussia verbracht hat. Für ihn wird es jedoch ebenso wie für Bianchi eine große Umstellung, ein Rennwochenende als Aktiver zu bestreiten. Auch für Marussia wird sich einiges ändern, da sie auf das Feedback des erfahrenen Timo Glock verzichten und den Boliden mit zwei Rookies entwickeln müssen.

Noch sind kaum Sponsorenlogos auf dem MR02 zu sehen., Foto: Sutton
Noch sind kaum Sponsorenlogos auf dem MR02 zu sehen., Foto: Sutton

Das Auto: Mit dem MR02 soll endlich der große Durchbruch gelingen, erstmals soll die Zusammenarbeit von Marussia mit McLaren Früchte tragen. Zum ersten Mal konnte die Mannschaft aus Banbury von Beginn an auf Daten aus dem McLaren-Windkanal vertrauen. Doch auf eine wirkliche Innovation warten die Fans vergebens. Der MR02 ist eine dezente Weiterentwicklung des recht erfolglosen Vorgängermodells. Als einziges Team vertraut Marussia weiterhin auf eine tiefe Fahrzeugfront. Während McLaren dieses Konzept über den Winter verwarf, blieben die Ingenieure bei Marussia ihrem Kurs treu.

Positives hingegen ist vom Antrieb zu vermelden. Neben Marussia verfügte im Vorjahr nur HRT nicht über KERS. Diese Schwachstelle hat der Dienstwagen von Max Chilton und Jules Bianchi nicht mehr, das kinetische Energie-Rückgewinnungssystem wird von Williams eingekauft. Den Anschluss ans Mittelfeld haben die Briten vermutlich erneut verpasst, doch zumindest Caterham scheint nach den Testfahrten in Reichweite.

Saisonziel: Ruhe bitte!

PRO: Zugegeben: Alles in allem spricht vieles gegen Marussia. Fahrer-Rochaden und Geldprobleme sind nicht gerade der ideale Einstieg in die Saison, und auch der MR02 scheint nicht der große Wurf zu sein. Allerdings könnte sich der Austausch von Luiz Razia gegen Jules Bianchi als Glücksgriff erweisen. Der Franzose hat mehr Erfahrung als sein Teamkollege und testete bereits für ein Mittelfeld-Team. Er hat Ideen, wie man den MR02 verbessern kann und wird damit versuchen, die Lücke, die Timo Glock vor allem in der Entwicklungsarbeit hinterlässt, zu schließen. (Annika Kläsener)

CONTRA: Es ist schwer vorstellbar, dass Marussia 2013 in der Lage sein wird, positive Ergebnisse zu erzielen. Überlebt die britisch-russische Mannschaft das Jahr finanziell, wäre das bereits als Erfolg zu verbuchen. An Punkte wird sowieso weiterhin nicht zu denken sein, da neben einem konkurrenzfähigen Auto auch die Erfahrung im Cockpit fehlt. Bianchi und Chilton stehen vor ihrer ersten Saison und im Gegensatz zu den letzten Jahren gibt es keinen Timo Glock mehr, an dem sich die Rookies orientieren könnten. (Philipp Schajer)