Der 15. April 2012 ging in die Geschichte ein. In seinem 111. Formel-1-Rennen erzielte Nico Rosberg nicht nur seinen ersten GP-Sieg, sondern auch den ersten in einem Werks-Silberpfeil seit dem legendären Juan Manuel Fangio 1955 in Monza 20.671 Tage zuvor - und das 111 Jahre (und drei Wochen) nach dem ersten Mercedes-Sieg bei der "Rennwoche von Nizza" im Jahr 1901.

Viel mehr Geschichtsträchtiges ereignete sich auf sportlicher Seite allerdings nicht im silbernen Jahr 2012. Zwar holte Michael Schumacher den ersten und einzigen Podestplatz seiner zweiten Formel-1-Karriere, die Ansprüche und Erwartungen waren jedoch viel höher angesiedelt. Dabei sah es zwischenzeitlich viel rosiger aus: von China bis Kanada fuhr Rosberg die meisten Punkte aller Fahrer im Feld ein, einschließlich der WM-Rivalen Fernando Alonso und Sebastian Vettel. Doch was mit dem Sieg sehr positiv begann, endete mit der längsten Punktedurststrecke der Teamgeschichte.

Das Team Neben der Strecke erlebte das Team abermals ein Jahr der Umstrukturierungen. Bereits vor dem Jahreswechsel stießen mit Geoff Willis und Aldo Costa zwei weitere erfahrene Techniker zum Team. Schnell war von den fünf ehemaligen Technischen Direktoren in den Reihen der Silbernen die Rede. Skeptiker fragten, ob zu viele Köche nicht den Brei verderben würden.

Zurück in der Mitte: Schumachers Bestzeit in Moanco, Foto: Sutton
Zurück in der Mitte: Schumachers Bestzeit in Moanco, Foto: Sutton

Auf jeden Fall benötigten sie eine gewisse Einarbeitungszeit, da das 2012er Auto bereits voll in der Entwicklung war, als sie zum Team hinzukamen. Gleichzeitig verließ der bisherige Chefdesigner Loic Bigois während der Saison das Team, um durch den von Lotus verpflichteten Mike Elliot ersetzt zu werden. Dieser Übergang verlief allerdings nicht nahtlos, sodass es zu einer nicht idealen Übergangsphase kam. Teamchef Ross Brawn räumte ein, dass sein Team dies vielleicht hätte anders lösen können.

Das Auto Auch der neue Silberpfeil war von den internen Umstrukturierungen betroffen. Um bei der Entwicklung des 2013er Autos keine Kompromisse eingehen zu müssen, nahm das Team noch während der Saison eine notwendige Umstellung im Windkanal vor, der nun mit 60- statt 50-Prozentmodellen arbeitet. Dies führte gerade in der zweiten Saisonhälfte zu einem Abflachen der Entwicklungskurve, was sich in den letzten Rennen des Jahres deutlich bemerkbar machte. In dieser Phase roch sogar Sauber eine Chance, das Werksteam im Kampf um Platz fünf in der Konstrukteurs-WM abzufangen.

Der Silberpfeil des Jahres 2012 wurde erst beim zweiten von drei Wintertests in Barcelona vorgestellt, um so lange wie möglich an Neuerungen arbeiten zu können. Der Plan ging jedoch nur zum Teil auf. Die gelobte Wunderwaffe des Autos war ein so genanntes Doppel-DRS, das beim Einsatz der Heckflügelklappe einen Strömungsabriss am Frontflügel erzeugte. Das brachte drei bis vier Zehntel im Qualifying, war im Rennen jedoch keine Hilfe. Zudem entstand eine zeitliche Lücke, bis der Frontflügel nach dem Einsatz des Systems wieder normal funktionierte. Gleichzeitig behinderte es die normale Weiterentwicklung beider Flügel.

Erster Sieg seit 1955: Nico Rosberg in China, Foto: Sutton
Erster Sieg seit 1955: Nico Rosberg in China, Foto: Sutton

Das größte Problem des Autos war abermals die Nutzung der Hinterreifen. Mehr als nur einmal musste das Team die ohnehin recht schwierig zu handhabenden Hinterreifen öfter als die Konkurrenz wechseln. Immer wieder klagten die Fahrer, dass sie die Reifen nicht ins optimale Arbeitsfenster bringen würden. Besondere Schwierigkeiten hatte der F1 W03 in lang gezogenen Kurven, in denen die Fahrer mit Untersteuern zu kämpfen hatten.

Die Fahrer Das Positive zuerst: Nico Rosberg hat sich im dritten Jahr in Folge klar gegen seinen Teamkollegen Michael Schumacher durchgesetzt. Er sammelte 44 Punkte mehr als der Rekordweltmeister - insgesamt aber viel zu wenig. 25 Zähler sicherte sich Rosberg mit seinem ersten GP-Sieg in China. Zu diesem Zeitpunkt lag der Deutsche sogar in aussichtsreicher Position in der Gesamtwertung. Doch mit der Formkurve seines Autos sanken auch seine Chancen auf ähnliche Erfolge. In den letzten sechs Rennen holte er keinen einzigen Punkt, mehr als einmal wurde er bereits zu Rennbeginn unverschuldet ins Aus befördert.

Bei Michael Schumacher verhielt es sich umgekehrt: Er hatte zu Saisonbeginn fünf Ausfälle in den ersten sieben Grands Prix - also genau in jener Phase, in der das Auto am konkurrenzfähigsten war. Seine Saisonhighlights waren die Qualifying-Bestzeit in Monaco (die Pole verlor er durch eine Strafversetzung) sowie sein dritter Platz in Valencia (sein einziges Podium für Mercedes). Schumacher erlebte eindeutig das Beste seiner drei Comeback-Jahre und war erstmals in der Qualifikation Rosberg ebenbürtig. Geniestreiche wie seine Qualifying-Runde in Monaco vermischten sich allerdings mit einigen Abflügen im Freitagstraining sowie unerklärlichen Kollisionen wie mit Bruno Senna in Barcelona und Jean-Eric Vergne in Singapur. Für beide Aktionen erhielt er eine Strafversetzung im folgenden Rennen.

Schumacher verließ die Formel 1 mit Platz sieben, Foto: Sutton
Schumacher verließ die Formel 1 mit Platz sieben, Foto: Sutton

Pro: Der Bann ist gebrochen: Nach 55 Jahren stand wieder ein reinrassiger Silberpfeil auf dem obersten Treppchen. Natürlich ist das für eine Traditionsmarke nicht genug, aber der Anfang ist gemacht. Klar hatten sich Schumacher & Co mehr Siege und Podestplätze versprochen - gerade nach dem hoffnungsvollen Beginn. Doch die Erfolgserlebnisse in Shanghai, Monaco und Valencia zeigen, dass das Team unter den richtigen Voraussetzungen vorne mitmischen kann. In der vergangenen Saison gelang dies nur noch nicht konstant und oft genug. Stephan Heublein

Contra: Mercedes fuhr zwar seinen ersten Sieg in der noch jungen Teamgeschichte ein, doch der Triumph von Nico Rosberg in China kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mercedes auch im dritten Jahr noch nicht an der Spitze angekommen ist. Der Speed des F1 W03 war nicht annähernd gut genug, um während der gesamten Saison mit Red Bull & Co. mithalten zu können, stattdessen musste Mercedes am Ende sogar Sauber fürchten. Erneut präsentierte sich der Bolide im Rennen als Reifenkiller und auch in puncto Weiterentwicklung machten andere Teams einen besseren Job. Kerstin Hasenbichler