Erleben wir in Brasilien ein Herzschlagfinale wie im Jahr 2008, als in der letzten Kurve die WM entschieden wurde? Als Felipe Massa als Weltmeister die Ziellinie überquerte und sein Jubel jäh erstickte, nachdem Lewis Hamilton in der letzten Kurve die entscheidende Position hinzugewonnen hatte... Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich am Sonntag ähnlich Dramatisches abspielt, vor allem, wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, wie es die Wetterprognose derzeit vorhersieht.

Bernie Ecclestone würde sein Geld auf Sebastian Vettel setzen., Foto: Sutton
Bernie Ecclestone würde sein Geld auf Sebastian Vettel setzen., Foto: Sutton

Aus vier mach drei

Sebastian Vettel würde ein vierter Platz zum dritten Titelgewinn reichen, selbst wenn Alonso gewinnen würde. Dieser muss nämlich nicht nur 13 Punkte auf seinen Konkurrenten gutmachen, sondern braucht einen weiteren Zähler, um an ihm vorbeizugehen - denn Vettel hat mehr Siege auf dem Konto. "Ich denke, man sollte auf Sebastian wetten", meinte Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone. "Sebastian verdient den Titel vielleicht etwas mehr. Er hat eben bis jetzt mehr Punkte geholt", argumentierte der Brite.

Sollte dem Red-Bull-Piloten am Sonntag tatsächlich der dritte Streich gelingen, wäre er der jüngste dreifache Weltmeister der Geschichte. Doch auch für Alonso wäre der dritte Titel ein historisch besonderer, denn es wäre der erste mit Ferrari. Die Scuderia feierte zuletzt mit Kimi Räikkönen im Jahr 2007 einen Fahrertitel, Alonso triumphierte zwei Mal mit Renault.

Was spricht für, was gegen Vettel?

Für den amtierenden Weltmeister spricht seine Qualifying-Bilanz. Sechs Mal stand der Red-Bull-Pilot in dieser Saison bereits auf der Pole Position. Konkurrent Alonso konnte nur zwei Mal aus der ersten Reihe starten. Je weiter vorne ein Pilot steht, umso geringer ist jedoch die Gefahr einer Startkollision und nach einem guten Start ist es zudem leicht möglich, sich abzusetzen - eine Spezialität Vettels. Sollte der Heppenheimer also am Sonntag von Platz eins ins Rennen gehen, muss sich Alonso warm anziehen, auch wenn der Platz an der Sonne keine Garantie für einen Sieg ist, wie man in Austin gesehen hat...

Laut Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko ist neben dem Qualifying auch der Saisonendspurt eine Spezialität des 25-Jährigen. "Je mehr Druck er hat, desto besser wird Sebastian", erklärte der Österreicher. "Nachdem das schon drei Jahre so läuft - auch 2009 waren die letzten Rennen von ihm die stärksten - ist es eine mentale Stärke, die zu all den anderen Faktoren, die Sebastian auszeichnen, noch hinzukommt." Diese mentale Stärke wird Vettel allerdings auch brauchen bei einem derart starken Fahrer wie Alonso, der zudem nicht mit martialischen Kampfansagen der Samurai geizt.

Ein am Streckenrand stehender Red Bull - in dieser Saison keine Seltenheit., Foto: Sutton
Ein am Streckenrand stehender Red Bull - in dieser Saison keine Seltenheit., Foto: Sutton

Doch Red Bull hat beschlossen, sich nicht von der Konkurrenz einschüchtern zu lassen, sondern schaut auf die Dinge, die das Team selbst in der Hand hat. "Wir müssen einfach anreisen, das Wochenende über attackieren, das Beste aus uns, dem Auto, den Fahrern, der Strategie und der Zuverlässigkeit herausholen und alles kann passieren, wie wir in dieser Saison gesehen haben", erklärte Teamchef Christian Horner. "Aber es ist gut, mit einer Führung anzukommen und wir werden einfach versuchen, den Job zu beenden."

Den Job beenden - das ist einer der wunden Punkte bei Red Bull in diesem Jahr, denn zu oft konnten beide Piloten das Rennen nicht beenden. Vettel schied zwei Mal aussichtsreich liegend mit einem Lichtmaschinendefekt aus, Mark Webber ereilte zuletzt in Austin dasselbe Schicksal. Renault versprach, das Problem in den Griff zu bekommen, doch die Unsicherheit bleibt. Doch selbst wenn Vettel ausrollen sollte, ist der Titel nicht gleich verloren, denn Alonso müsste mindestens Dritter werden.

Was spricht für, was gegen Alonso?

Für Fernando Alonso spricht zum einen seine Kämpfernatur, denn der Spanier quetscht aus seinem Boliden jedes Quäntchen Leistung heraus. "Er fährt so clever und herausfordernd, dass er immer etwas Außergewöhnliches schaffen kann", warnte daher Damon Hill. "Alonso hat keine Schwächen", schlug Mario Andretti in die gleiche Kerbe. "Sein Auto ist immer langsamer, aber er hat jede Möglichkeit voll ausgenutzt." Fernando verdiene den Titel mehr, weil er den größten persönlichen Einfluss auf die Ergebnisse hatte, argumentierte der US-Amerikaner. "Fernando denkt, er verdient es mehr, weil er gegenüber Vettel im Nachteil ist und ich stimme ihm da zu."

Unbestreitbar ist auch Alonsos Fahrgefühl unter widrigen Bedingungen, wie er dieses Jahr unter anderem in Malaysia bewies, als er im unterlegenen Ferrari gewann. Die Meteorologen sehen für das Wochenende in Interlagos Regen voraus, was Alonso folglich in die Karten spielen könnte. Nicht vergessen darf man allerdings, dass Sebastian Vettel seinen ersten Grand-Prix-Sieg im Regen feierte. Ein chaotischer Rennverlauf inklusive Safety-Car-Phasen würde Alonso zwar vermutlich mehr in die Karten spielen als ihm, aber unter widrigen Bedingungen gibt es ebenso viel zu gewinnen wie zu verlieren und das gilt für beide gleichermaßen.

Beim Start kann einiges schiefgehen., Foto: Sutton
Beim Start kann einiges schiefgehen., Foto: Sutton

Die Reifenwahl Pirellis für Brasilien treibt den Ingenieuren bei Ferrari ein paar Sorgenfalten auf die Stirn, denn es sind die gleichen Mischungen wie in Austin - der harte und der Medium-Pneu. Dort kam Fernando Alonso auf der harten Mischung nicht so gut zurecht, Felipe Massa allerdings hatte weniger Probleme, weshalb Ferrari durchaus Daten zur Verfügung hat, aus denen das Team Erkenntnisse ziehen kann.

Ein weiterer Schwachpunkt bei der Scuderia ist das Qualifying. Gerade zuletzt in Austin tat sich dort eine große Lücke auf - Alonso war mehr als 1,6 Sekunden langsamer als Polesetter Vettel. "Wir hatten eines der schlechtesten Qualifyings und müssen sicherstellen, dass das in Brasilien nicht noch einmal vorkommt", forderte Teamchef Stefano Domenicali deshalb. Denn die mäßigen Startpositionen erschweren nicht nur die Aufholjagd auf WM-Leader Vettel, sondern bergen auch ein hohes Risiko für Startkollisionen. Selbst ein beschädigter Flügel oder aufgeschlitzter Reifen kann die Strategie auf den Kopf stellen. Allerdings ist Alonso berüchtigt für seine guten Starts und kann sein Qualifyingmanko dadurch zum Teil wettmachen.

Wer darf sich Weltmeister 2012 nennen?

Es ließen sich sicher noch unzählige weitere Vor- und Nachteile der beiden WM-Rivalen diskutieren, doch an einer Tatsache wird sich nichts ändern: noch kann niemand mit Sicherheit sagen, wer sich Weltmeister 2012 nennen darf. "Alles, worauf ich hoffe, ist ein fairer und rechtmäßiger Wettkampf am Sonntag", fasste es McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh zusammen. Sein Wort in (Renn-)Gottes Gehör.