Jean, bist du von der Neuigkeit begeistert, dass Kimi Räikkonen nächstes Jahr mit Lotus-Renault-GP in die Formel 1 zurückkehrt?
Jean Alesi: Das ist eine großartige Neuigkeit. Kimi hat mehr natürlichen Speed als jeder andere, der jemals ein Grand-Prix-Auto gefahren ist. Und wenn er zurückkehrt, macht er es, weil er es möchte. Er vermisst die Formel 1 und glaubt, dass er einen guten Job machen kann. Er hatte eine kurze Pause, die ein bisschen von Ferrari erzwungen war. Ich glaube, dass er von dem System genug hatte und eine Pause machen wollte, was ich komplett verstehen kann. Aber nun kommt er zurück, mit Lotus. Deswegen ist es wirklich aufregend.

Der Speed von Kimi wurde nie infrage gestellt, aber es gab Bedenken, dass er es nicht geschafft hat, das Auto so zu entwickeln, wie es Michael Schumacher vor ihm getan hat. Ist das für dich nun ein Grund zur Sorge?
Jean Alesi: Michael war darin brillant. Aber momentan läuft es für ihn bei Mercedes nicht gut und ich glaube, dass dies eine Widerspiegelung davon ist, wie sich die Formel 1 in den letzten Jahren entwickelt und neue Prioritäten gesetzt hat. Nun muss man sich nur darauf konzentrieren, einen schnellen Fahrer zu haben. Jemanden, der den Job macht. Das Gute an Kimi ist, dass er das Maximum aus einem schnellen Auto herausholt. Als sein Auto bei McLaren und Ferrari gut war, hat er immer gewonnen. Lotus-Renault-GP erwartet von ihm, dass er auch aus dem Lotus das Maximum herausholt.

Es wird die Arbeiterschaft in Enstone sicher anspornen, einen Weltmeister im Auto zu haben, oder?
Jean Alesi: Formel-1-Teams brauchen einen Fahrer, der Rundenzeiten fährt, die zu 100 Prozent am Limit sind. Das ist es, was ein Fahrer vom Kaliber Kimi Räikkonens tun kann, sich am Limit zu bewegen und niemals nachzulassen. Davon bekommen die Ingenieure eine Basis. Sie verstehen den wirklichen Speed ihres Autos und können dementsprechend Änderungen vornehmen. Das beseitigt alle Zweifel. Ich glaube wirklich, dass Kimi eine wertvolle Hilfe sein wird. Aber ich glaube nicht, dass er außerhalb des Autos viel sprechen wird. Ich bin mir sicher, dass er sich kein bisschen geändert hat.

Lass uns über das Rennen in Sao Paulo reden. Bruno Senna hat eine Durchfahrtsstrafe bekommen, nachdem er mit Michael Schumacher kollidiert ist. Glaubst du, dass das ungerecht war?
Jean Alesi: Definitiv, ja. Es war ein 50/50-Unfall, warum wird dann einer der beiden bestraft? Beide Autos waren beschädigt- Bruno hatte einen gebrochenen Frontflügel und Michael einen Reifenschaden. Dann einen der Fahrer zu bestrafen, tötet den Geist des Rennsports. Die Stewards hätten nicht eingreifen sollen.

Vitaly Petrov hat das Jahr mit seinem Podium in Australien auf einem Hoch begonnen und die Saison als Zehnter der Weltmeisterschaft beendet. Wie gut hat er sich deiner Meinung nach geschlagen?
Jean Alesi: Wenn das Auto schnell war, war er sehr konkurrenzfähig. In der zweiten Hälfte der Saison war es für ihn schwieriger. Er ist ein fantastisches erstes Rennen gefahren, aber er scheint mehr nachzulassen, wenn das Auto nicht perfekt ist.

Lotus-Renault-GP hat das Jahr auf dem Podium begonnen, hatte aber gegen Ende der Saison zu kämpfen. Haben die Ingenieure ein paar falsche Schritte gemacht?
Jean Alesi: Was das Design angeht, war der R31 extrem aggressiv. Beim Start der Saison hat der Chef-Ingenieur von Red Bull, Adrian Newey, gesagt, dass der Lotus-Renault-GP das kreativste Auto im Feld ist. Wenn das der beste Konstrukteur der Welt sagt, bedeutet es viel. Und am Anfang des Jahres war der Lotus-Renault-GP brillant. Dann haben sich die Regeln für den angeblasenen Diffusor geändert und das hat das Team hart getroffen. Wir wurden stärker als jedes andere Team bestraft. Die Meisterschaft auf Platz fünf zu beenden, ist ausgezeichnet.

Wie schätzt du die Formel-1-Saison 2011 generell ein?
Jean Alesi: Obwohl Red-Bull-Racing über die Saison hinweg dominant war, glaube ich, dass es eine sehr interessante Saison war. Ich habe die Rennen sehr genossen. Von den 19 Rennen waren nur drei oder vier etwas langweilig. Bei dem Rest habe ich auf der Kante meines Stuhls gesessen. Wir haben viele Überholmanöver sowie viele Vorfälle gesehen und es gab einen harten Wettstreit, besonders zwischen McLaren und Ferrari. Lotus-Renault-GP war zu Beginn der Saison auch sehr konkurrenzfähig. Im Allgemeinen habe ich die Saison genossen.

Welches Rennen sticht für dich besonders heraus?
Jean Alesi: Meine Schuhe trocknen immer noch nach dem Kanada-Grand-Prix. So war es nicht zuletzt wegen des unglaublichen Rennens denkwürdig, das wir gesehen haben. Es hätte ohne die zweistündige rote-Flaggen-Unterbrechung in der Mitte von statten gehen können, aber dieses Rennen war wirklich aufregend und es ist immer schön, einen Führungswechsel in der letzten Runde zu sehen.

Sebastian Vettel war der erfolgreichste Fahrer des Feldes. Aber wen würdest du als Fahrer des Jahres nominieren?
Jean Alesi: Abgesehen von Vettel, der einen unglaublichen Job gemacht hat, sollte der Preis an Jenson Button gehen. Ich war von seiner Performance nicht überrascht, weil er Weltmeister war. Aber die Art, wie er es geschafft hat, immer da zu sein und gute Punkte zu bekommen, sogar wenn er Probleme mit dem Setup hatte, ist beeindruckend. Er hat auch einige großartige Überholmanöver ausgeführt. So war er aggressiv, wenn er es sein musste, und ruhig, wenn es nötig war. Er hat sich auf die Pirelli-Reifen schneller als die meisten anderen eingestellt. Was für eine ausgereifte Performance, besonders wenn Lewis Hamilton der Teamkollege ist. Und Jenson ist tatsächlich noch der Neue im Team. Ich glaube, dass er 2011 beeindruckender war als in seinem Weltmeister-Jahr, da er nicht das beste Auto hatte und sein Teamkollege Hamilton war.