Die Stimmung in der DTM ist während und auch nach dem drittletzten Wochenende der Saison 2024 auf dem Sachsenring sehr gereizt. Als Beobachter hat man den Eindruck, eine Explosion stünde kurz bevor. Für Gesprächsstoff sorgte neben einigen teils schwerer Kollisionen auch wieder die umstrittene Balance of Perfomance (BoP), mit der der Wettbewerb ausgeglichen gestaltet werden soll.

Die ist bisher so gut gemanagt, dass der Titelkampf immer noch völlig offen ist und drei Fahrer mit GT3-Sportwagen drei verschiedener Marken eine sehr gute Ausgangsposition besitzen, den Gesamtsieg unter sich auszumachen. Das Trio mit Spitzenreiter Kelvin van der Linde (Abt-Audi / 170 Punkte) sowie den Verfolgern Mirko Bortolotti (SSR-Lamborghini / 163) und Maro Engel (Winward-Mercedes / 155) trennt lediglich 15 Zähler.

Bei den letzten vier Rennen, davon zwei in Spielberg und zwei beim Finale in Hockenheim, dürfen sich theoretisch aber sogar noch zwölf weitere Piloten Hoffnungen machen, die begehrte DTM-Trophäe zu gewinnen, oder wenigstens dazu beitragen, dass der besser platzierte Markenkollege durch eine mögliche und legale „Schützenhilfe“ nach dem 16. und letzten Saisonrennen vom obersten Podiumsplatz grüßt.

Insgesamt werden noch 112 Punkte vergeben, 100 für die jeweiligen Sieger in den letzten vier Rennen sowie zwölf für die Fahrer, die im Qualifying die Bestzeit erzielt haben. Experten und Insider sind sich jetzt schon einig, dass die Entscheidung bei der Titelvergabe erst im alles entscheidenden Finalrennen am 20.10.2024 in Hockenheim fällt.

Wer spielt Zünglein an der Waage im DTM-Titelrennen?

Aber: Eine Vorentscheidung könnte tatsächlich bereits im österreichischen Spielberg (27. - 29.09.2024) fallen, was auch mit der Streckencharakteristik des Red Bull Ring zu tun hat. Die unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte der sieben verschiedenen Hersteller stellen die Verantwortlichen des Dienstleisters Stephane Ratel Motorsports Group (SRO) vor eine schwierige Aufgabe, nämlich die BoP so zu gestalten, dass zumindest theoretisch auch alle Marken um Siege und Podiumsplätze kämpfen können.

Favorisiert werden unter den Teams vor allem die Fahrer von BMW und Ferrari, die auf der schnellen Berg- und Talbahn in der Vergangenheit meist den Ton angegeben haben und: wenn dabei auch das Wetter (wie beispielsweise im vergangenen Jahr) mit all seinen Möglichkeiten keinen Einfluss nimmt.

SSR-Lamborghini: „Kämpfen mit stumpfen Waffen um den Titel“

Um sich im Endspurt richtig zu positionieren, werden jetzt schon hinter den Kulissen die Messer gewetzt - nicht auf, sondern - politisch gesehen - auch neben der Rennstrecke. Aktuell gibt es zwei Beispiele, wie versucht wird, Verantwortliche auf durchaus legale Art und Weise, zu beeinflussen.

„So schnell kann es gehen. Am Samstag werden wir souverän Zweiter und klettern an die Spitze der Tabelle. Nur einen Tag danach verlieren wir die Meisterschaftsführung wieder, da es über Nacht eine BoP-Anpassung gab und der zu unserem Fahrzeug sehr ähnliche Audi Gewicht ausladen durfte. Wir haben das schwerste Auto im Feld, wodurch wir mit stumpfen Waffen um den Titel kämpfen“, übt SSR Performance-Teameigner Stefan Schlund in einer Teammitteilung an den BoP-Machern gezielte Kritik für einen angeblichen Vorteil der beiden einzigen Audi des Teams Abt Sportsline im 20-köpfigen Teilnehmerfeld.

Schlund betont zudem: „Am Red Bull Ring sind wir darauf angewiesen, dass die Voraussetzungen für alle Teams und Hersteller gleich sind. Nur so kann es einen ebenbürtigen Kampf um die Meisterschaft geben.“

Im ersten Rennen auf dem Sachsenring belegte SSR-Speerspitze Bortolotti nach einer kontrollierten Fahrt ohne jegliches Risiko souverän den zweiten Platz hinter Jack Aitken im Emil-Frey-Ferrari. Aber: Mit dem Erfolgsgewicht für diese Platzierung (10 kg) und der Gewichtsreduzierung beim Audi (ebenfalls 10 kg) hatte der in Wien lebende Italiener weder im Qualifying (P11) noch im zweiten Rennen am Sonntag eine realistische Chance, ganz vorn mitzufahren. Deshalb musste sich Bortolotti am Ende mit Platz sieben begnügen, seiner Meinung nach „das maximal mögliche Resultat“.

Die beiden Rennen am Sachsenring seien eine emotionale Achterbahn gewesen, meinte SSR-Teamchef Mario Schuhbauer. „Wir haben uns am Samstag für eine absolut fehlerfreie Leistung zu Recht mit dem zweiten Platz und dem Sprung an die Spitze der Meisterschaft belohnt. Am Sonntag waren wir nicht in der Lage über die gesamte Renndauer zu attackieren, da der schnelle Reifenverschleiß aufgrund des hohen Fahrzeuggewichts die Piloten zwingt, sich meist ausschließlich nach hinten zu orientieren.“

BoP-Frust bei Abt-Audi: Sind einfach zu schwer

Apropos Gewicht: Das galt am Samstag auch für den chancenlosen und enttäuschten Kelvin van der Linde, der mit seinen Äbten als Tabellenführer an den Sachsenring gereist war. Obwohl sich der Deutsch-Südafrikaner und sein Allgäuer Team mit einem Testtag am 28.08. auf das drittletzte Event optimal vorbereitet hatten - was auch durch die Bestzeit im einzigen Freien Training am Freitag bestätigt wurde - ließen sich die Audianer nicht täuschen und drückten trotz eines „guten Set-ups“ auf die Euphorie-Bremse.

„Das vielleicht der Testtag gut war, wir vom Start weg ein vernünftiges Auto hatten und darum die ersten Runden vernünftig fahren konnten, wo die anderen sich zuerst mal anpassen mussten, lag daran, dass wir (im Training, d. Red.) vielleicht mehr gezeigt haben als alle anderen“, mutmaßte Abt-CEO und Teamchef Thomas Biermaier im exklusiven Gespräch mit Motorsport-Magazin.com die grundsätzlich niedrige Erwartungshaltung seiner Mannschaft vor dem Wochenende. Das hatte auch damit zu tun, dass der GT3-Audi von der BoP mit zehn Kilogramm mehr Gewicht als im Vorjahr am Sachsenring bedacht worden war.

„Wir haben gestern schon gesagt: 'Hey Männer, bleibt ganz am Boden, das wird ein ganz schweres Wochenende. Wir sind schwerer als letztes Jahr“, warnte Biermaier sein Team vor zu großem Optimismus. „Und wenn du mal siehst, wie letztes Jahr hier schon der Abstand zu anderen Marken war: Warum soll es dann dieses Jahr besser sein?“ Der Testtag habe zwar geholfen, „aber wir sind einfach ein paar Kilo zu schwer. Das haben wir gestern schon intern gewusst.“

Außerdem sei im Vergleich aller Autos untereinander das Potenzial des Audi nahezu ausgeschöpft. „Wenn dann die BoP nicht passt, können wir nicht mehr rausholen, sondern bei uns ist es das Maximale!“

Diese Einschätzung bestätigte sich dann auch im ersten der beiden Rennen, in dem sich van der Linde vom zehnten Startplatz kommend und wegen fehlendem Speed extrem hart verteidigen musste, um wenigstens Rang acht zu belegen - mit mehr als 23 Sekunden Rückstand auf Sieger Jack Aitken im Emil-Frey-Ferrari.

Abt-Teamchef verzweifelt: Sind wie ein Safety-Car

Biermaier verglich die Einstufung des Audi am Sachsenring mit dem Rennwochenende in Zandvoort Anfang Juni. Auch damals klagte er bereits deutlich über die Beurteilung des R8 LMS GT3 evo II durch SRO. „Da hatten wir auch keine Chance", verglich Biermaier. „Eigentlich sind Zandvoort und Sachsenring Strecken, die unserem Auto liegen.“

Zugleich wollte Biermaier seine Kritik aber nicht als Rundumschlag gegen SRO verstanden haben: „Die versuchen ihr Bestes zu geben, aber jetzt hat es uns halt schon zweimal erwischt. Du bist wie ein Safety-Car. Dass vor uns nichts ist und hinter uns Autos aufkreuzen.“

Trotz all seiner Enttäuschung konnte Biermaier jedoch auch etwas Positives mitnehmen und verwies dabei auf seine eingeschworene Truppe. „Selbst, wenn wir keine Chance haben, punkten wir relativ vernünftig, weil Kelvin einen echt guten Job macht.“ Deshalb werde es jetzt nur noch Attacke im Titelkampf geben. „Wir wissen, wenn wir eine vernünftige BoP haben, dass wir aus dem R8 alles rausquetschen können, dass wir zwei Topfahrer haben, dass wir bis zum Schluss vorne mitfahren können. Das wissen wir. So selbstbewusst sind wir.“