In der DTM-Saison 2022 ist jetzt endgültig die große Debatte um Fahr-Standards ausgebrochen. Was vor zwei Monaten am Norisring mit dem Crash-Rennen und Millionenschäden begann, setzte sich beim Rennwochenende auf dem Nürburgring konsequent vor: Im Fahrerlager beschweren sich immer mehr Fahrer und Teamchefs über mangelnden Respekt auf der Rennstrecke zwischen den Piloten.

Auslöser für die Diskussionen sind die zahlreichen Kollisionen und zu Ausfällen führenden Kontakte bei den Rennstarts und in Positionskämpfen. In beiden Rennen in der Eifel sahen jeweils acht Fahrer aus dem großen Starterfeld mit 28 GT3-Autos nicht die Zielflagge. Darunter beide Male Titelkandidat Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini) nach Kollisionen mit Felipe Fraga um den Sieg (Samstag) und Kelvin van der Linde um Platz vier (Sonntag).

Rast fordert: "Es muss härtere Strafen geben"

Zur Erinnerung: Im Samstagsrennen auf dem Nürnberger Stadtkurs vor der Sommerpause fielen 16 Piloten vorzeitig aus - Rekord in der Neuen DTM seit der Rückkehr im Jahr 2000. Unüberhörbar beschwerte sich am vergangenen Sonntag der dreifache DTM-Champion Rene Rast, der schon im ersten Rennen nach einer Kollision mit Laurens Vanthoor (SSR-Porsche) ausgefallen war und mit null Punkten aus der Eifel abreiste.

Nach einem weiteren Crash mit David Schumacher polterte der Abt-Audi-Pilot und Titelanwärter am ProSieben-Mikro unter anderem: "Es gibt keinen Respekt, man lässt sich keinen Platz. Es wird einfach alles durchgehen gelassen. Jeder macht, was er will. Es macht keinen Spaß mehr! Es muss härtere Strafen geben, damit sich die Jungs und Mädels an die Regeln halten."

DTM-Rookie und GT3-Umsteiger Schumacher, weiterhin punktelos in der Saison 2022, übernahm eine Teil-Verantwortung an der Kollision mit Rast. Und die blieb nicht ohne Folgen: Dass Schumacher eine 5-Sekunden-Zeitstrafe kassierte, obwohl er schon ausgefallen war, machte keinen Unterschied. Im Nachgang wurde der 20-jährige Nachwuchspilot aber noch mit einer 5-Platz-Strafe in der Startaufstellung für das nächste Rennen in Spa-Francorchamps (10./11. September) belegt.

"Ich war schneller als Rast und wollte rasch vorbei, um den Anschluss nicht zu verlieren", erklärte der junge Winward-Mercedes-Pilot. "Er hat mir sehr wenig Platz gelassen, aber dennoch geht die Kollision natürlich auch zum Teil auf meine Kappe."

Foto: DTM
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DTM-Renndirektor: "Die Entscheidungen brauchen Zeit"

Neben Schumacher kassierte auch Mercedes-AMG-Markenkollege Maro Engel für seinen Crash mit Nick Cassidy (AF-Corse-Ferrari) von den Sportkommissaren eine Rückversetzung um fünf Startplätze für das nächste DTM-Rennen. Warum die Bestrafungen nachträglich ausgesprochen wurden, erklärte Renndirektor Scot Elkins auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com: "Die Entscheidungen brauchen Zeit, da wir Videos und andere Daten überprüfen müssen. Zum Zeitpunkt der Vorfälle waren diese Autos nicht aus dem Rennen und daher waren die Zeitstrafen angemessen."

Die Strafen-Diskussion gibt es seit längerer Zeit in der DTM unter dem 2021 eingeführten GT3-Reglement. Die Verantwortlichen um Gerhard Berger wollen keine Rennen zerstörenden Durchfahrtstrafen wie zu früheren Class-1-Zeiten, sondern setzen konsequent auf 5-Sekunden-Zeitstrafen für Vergehen. Sorgt diese vergleichsweise milde Bestrafung für eine ruppigere Gangart in den Rennen?

Dass es auch anders laufen kann, zeigte das Sonntagsrennen auf dem Norisring: Nach einer Ansage der Rennleitung und unter Androhung knallharter Strafen ging es beim zweiten Lauf entlang des Dutzendteichs fast schon handzahm zur Sache. Davon war jetzt auf dem Nürburgring allerdings nichts mehr zu merken - es wurde nach Lust und Laune quer durchs Feld hindurch reingehalten.

GRT-Fahrer Schmid: "Aggressivität ist fragwürdig"

"Die Aggressivität einiger Teilnehmer ist fragwürdig und die Rennleitung greift meiner Ansicht nach nicht hart genug durch. Es fehlt eindeutig an Disziplin", wurde GRT-Lamborghini-Pilot Clemens Schmid deutlich. Der Österreicher fiel am Sonntag in Folge einer unglücklichen Dreifach-Kollision mit Felipe Fragas Ferrari und Schubert-Pechvogel Philipp Eng vorzeitig aus.

BMW-Werksfahrer Eng - nach dem Ausfall und einer Safety-Car-Phase, die sein Rennen auf P2 liegend effektiv schon vorher zerstörte - zunächst fuchsteufelswild, ordnete später ein: "Ein sehr zweischneidiges Schwert. Die Zuschauer wollen sehen, dass wir uns in die Kiste fahren. Das gehört zum Motorsport dazu, ein bisschen auf Kontakt zu fahren. Es muss aber fair bleiben. Ich hatte unglaublich coole Fights mit Auer und Cassidy, aber dann hast du Typen, die dir hinten in die Karre fahren und dich wegschieben. Es ist schon gut, dass die Rennleitung uns frei fahren lässt und uns Verantwortung übergibt. Aber dann müssen wir Fahrer diese auch übernehmen."

Aus Gesprächen mit Fahrern und Team-Verantwortlichen ergibt sich unweigerlich der Eindruck, dass im großen DTM-Starterfeld eine Zwei-Klassen-Gesellschaft herrscht. So sagte der GT3-erfahrene Maxi Buhk (Mücke-Mercedes): "Einige Leute im Feld fahren, als gäbe es kein Morgen, ohne jegliche Rücksicht auf Verluste. Mit Ricardo Feller habe ich mir einen beinharten Zweikampf geliefert, in dem jeder dem anderen die nötigen Zentimeter Platz gelassen hat. Mit vielen anderen ist so etwas nicht möglich. Die fahren dir einfach in die Kiste, koste es, was es wolle."

DTM-Meister Götz: "Immer die gleichen Chaoten"

Am Nürburgring hatte auch der amtierende DTM-Meister Maximilian Götz (Winward-Mercedes) seine Kritik an den Fahrer-Standards erneuert. Für seinen Streckengegner am Samstag beim Kampf um den letzten Podestplatz, Ricardo Feller (Abt-Audi), gab es noch Lob. "Wir haben eine coole Show und faires Racing gezeigt", so Götz, der dann anprangerte: "So muss es sein. Es sind aber Chaoten dabei, wo man sagen muss: Schon wieder und immer die gleichen. Die gehören mal ruhiggestellt."

Andere Fahrer hielten sich mit Kritik rund um das Nürburgring-Wochenende eher zurück. "Gestern war es ziemlich rutschig und das hat ein paar Jungs überrascht", sagte der Sonntags-Zweite Dennis Olsen (SSR-Porsche). "Für mich fühlte es sich heute nicht zu aggressiv an. Ich selbst hatte nicht allzu viele Kontakte, nichts Großartiges. Ich würde sagen, dass es faires Racing war."

Sonntags-Sieger Luca Stolz (HRT-Mercedes) erklärte: "Gestern gab es ein bisschen zu viel Kontakt. Aber es war nass und knifflig. In den ersten fünf Runden hatte man nicht viel Grip. Und im ersten Sektor kannst du immer zu dritt nebeneinander fahren. Heute fand ich das Racing toll." Mercedes-Markenkollege Lucas Auer (Winward-Mercedes, P3) fügte an: "Der Druck steigt und die Fahrer gehen aggressiver zu Werke, weil sie noch mehr auf die Resultate achten."

Und der von Auer angesprochene Druck dürfte weiter zunehmen. Mit Ausnahme des mit 21 Punkten Vorsprung etwas enteilten Spitzenreiter Sheldon van der Linde (Schubert-BMW) trennen den Gesamtzweiten Bortolotti und den auf P9 liegenden Porsche-Fahrer Olsen genau 30 Punkte. Noch sechs Rennen in Spa, Spielberg und beim Saisonfinale auf dem Hockenheimring stehen in der Saison 2022 bevor. Das hart umkämpfte Saisonfinale im vergangenen Jahr - gleichzeitig auf einer Strecke, auf der es traditionell gerne einmal kracht - dürfte allen Beteiligten noch bestens im Kopf sein...