Das Rennwochenende auf dem Nürburgring hat dem Kampf um die DTM-Meisterschaft 2022 eine neue Dynamik verliehen. Galt vor der Sommerpause der GRT-Lamborghini-Pilot Mirko Bortolotti als heißester Titelanwärter, hat sich nach zwei ereignisreichen Rennen in der Eifel Sheldon van der Linde in seinem BMW M4 GT3 von Schubert Motorsport als Favorit herauskristallisiert. Motorsport-Magazin.com beleuchtet die Gewinner und Verlierer des DTM-Titelkampfs beim fünften Saison-Event auf dem Nürburgring.

DTM-Meisterschaft 2022: Die Gewinner

Sheldon van der Linde (Schubert-BMW, 110 Punkte, P1): Sieg am Samstag vor Bruder Kelvin, Pole Position am Sonntag, ebenfalls vor dem älteren Bruder: Das Nürburgring-Wochenende geht als große van-der-Linde-Show in die Geschichtsbücher der DTM ein. Sheldon, zuvor auf dem Norisring komplett ohne Punkte, hat sich mit der Ausbeute von 30 Zählern in der Eifel mehr als eindrucksvoll zurückgemeldet und die Spitze in der Meisterschaft zurückerobert.

Im Samstagsrennen profitierten Sheldon und Kelvin von einer Kollision zwischen Mirko Bortolotti und Felipe Fraga beim Sieg-Duell und erzielten den ersten 'Brüder-Doppelsieg' der DTM-Geschichte. Im Sonntags-Qualifying knüpften die nahe Kempten lebenden Brüder aus Südafrika an ihre Leistungen an: Sheldon mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung vor Kelvin auf der Pole Position. Mit acht Extra-Punkten ist Sheldon übrigens der erfolgreichste Qualifyer der laufenden Saison.

Wäre Sheldon im Sonntagsrennen nicht in Folge eines Missverständnisses mit Gaststarter Theo Oeverhaus (Van der Linde: "Ich mache ihm - auch wegen seines Alters - aber keinen Vorwurf, auch wenn ich dadurch einige Plätze verloren habe") beim Re-Start nach der Safety-Car-Phase vom virtuellen zweiten bis auf den realen neunten Platz zurückgefallen, auf dem er auch die Ziellinie überquerte, wäre ein zweiter Podestplatz drin gewesen. Mit 110 Punkten auf dem Konto hat der 23-Jährige seinen Vorsprung auf den Gesamtzweiten Bortolotti auf 21 Zähler ausgebaut.

Lucas Auer (Winward-Mercedes, 85 Punkte, P3): Mit dem Österreicher hat sich nun erstmals seit dem Saisonbeginn ein Fahrer aus dem Mercedes-AMG-Lager aktiv in den Titelkampf eingemischt. Hatte den Winward-Fahrer während der Sommerpause kaum jemand auf dem Schirm, belegt Auer jetzt sogar den dritten Platz in der Gesamtwertung! Sein Rückstand auf den inzwischen zweitplatzierten 'Halbzeit-Meister' Bortolotti ist von einst 29 Punkten auf nur noch 4 Zähler geschrumpft.

Vor allem im Sonntagsrennen präsentierte sich Auer stark aufgelegt und fuhr vom zehnten Startplatz als Dritter aufs Podium - sein dritter Podesterfolg nach dem Sieg beim Saisonauftakt in Portimao und P3 auf dem Lausitzring. Trotz einer zwischenzeitlichen Punkte-Dürreperiode glänzte Auer fast durchweg in den Qualifyings: neun von zehn Rennen begann er aus den Top-10 der Startaufstellung.

Nürburgring-Sieger Luca Stolz, Foto: DTM Media
Nürburgring-Sieger Luca Stolz, Foto: DTM Media

Luca Stolz (HRT-Mercedes, 73 Punkte, P5): Der AMG-Fahrer hat sich fast schon heimlich in den erweiterten Kreis der DTM-Titelanwärter geschlichen. Im Sonntagsrennen gelang Stolz nach Start von P7 sein erster Sieg in der deutschen Traditionsserie - und der zweite von Marken-Meister Mercedes-AMG in der laufenden Saison. Einen weiteren Zähler kassierte der 27-Jährige für die schnellste Rennrunde. Eine absolute Macht-Demonstration des erfahrenen GT3-Piloten, der nicht unbedingt das Scheinwerferlicht sucht.

37 Punkte Rückstand zu Spitzenreiter Sheldon van der Linde sind bei noch sechs ausstehenden Rennen zwar eine Hausnummer, aber in der DTM ist bekanntermaßen so ziemlich alles möglich. Stolz hatte die erste Saisonhälfte auf dem neunten Platz in der DTM-Tabelle beendet, dabei immerhin zwei zweite Plätze in Portimao und in der Lausitz erzielt. In den bisherigen zehn Rennen ging er allerdings schon fünfmal leer aus, Extra-Punkte aus dem Qualifying hat er trotz oftmals höchstsolider Leistungen auf einer schnellen Runde ebenfalls noch nicht auf dem Konto.

Kelvin van der Linde (Abt-Audi, 66 Punkte, P7): Dass die Begriffe 'Kelvin van der Linde' und 'Titelkampf' dieses Jahr noch mal in einem Satz auftauchen, hatte der Abt-Pilot und Gesamt-Dritte der Vorsaison vermutlich selbst nicht mehr so ganz auf dem Schirm. Dann kam der Nürburgring - und mit ihm 33 Punkte, die van der Linde zum erfolgreichsten Fahrer des gesamten Wochenendes machen. In der bisherigen Saison gelang es nur Bortolotti (Portimao, 35 Punkte)) und Bruder Sheldon (Lausitzring, 56 Punkte), noch mehr Zähler an einem Rennwochenende abzugreifen.

Kelvin meldete sich am Ring pünktlich nach einem punktelosen Wochenende auf dem Norisring und einem generell schwierigen Saisonverlauf zurück. Beeindruckend war vor allem seine Triumphfahrt im turbulenten Samstagsrennen vom 13. bis auf den 2. Platz. Am Sonntag eilte 'KVDL' im Qualifying zu P2, bevor er sich später gegen Bortolotti erfolgreich beim rundenlangen und hart geführten Kampf um die vierte Position durchsetzte.

DTM-Meisterschaft 2022: Die Verlierer

Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini, 89 Punkte, P2): Angesichts der Nullrunde am Nürburgring und nicht zuletzt einigen Fehlern bei teaminternen Abläufen (Grid-Strafe in Imola wegen falscher Reifen, Qualifying-Disqualifikation am Norisring wegen verpassten Wiegens) ist es fast schon ein kleines Wunder, dass Mirko Bortolotti weiter den zweiten Platz in der DTM-Meisterschaft belegt. Man könnte auch sagen: Das Team und er selbst haben drum herum sehr viel richtig gemacht. Sieben Punktefahrten und vier Podien in den vorangegangenen acht Rennen als Beleg.

Bortolottis Kollision mit Felipe Fraga um seinen ersten DTM-Sieg am Samstag (plus 5-Platz-Gridstrafe) und den Reifenschaden in Folge eines Kontaktes mit Kelvin van der Linde im Sonntagsrennen waren ein großes Gesprächsthema im Fahrerlager. Im Gesamtbild und rückblickend betrachtet: Hätte Bortolotti jeweils die Positionen gehalten, wären 29 Punkte mehr (18 für P2, 10 für P5 plus 1 für schnellste Rennrunde am Samstag) auf seinem Konto. Das zeigt sich mit 89 Zählern weiter prall gefüllt.

Für den Fraga-Crash entschuldigte sich Bortolotti umgehend, zur Kollision mit van der Linde um Platz vier am Sonntag dürften die Sichtweisen auseinandergehen. Faktisch behandelte die Rennleitung den Vorfall des nun Meisterschafts-Zweiten mit dem Abt-Piloten als einen Rennzwischenfall und sparte sich eine Untersuchung. Später prangerte Bortolotti, jetzt 21 Punkte hinter Sheldon van der Linde, auf Instagram einen "hier und da fehlenden Respekt dieses Jahr" an.

Rene Rast (Abt-Audi, 81 Punkte, P4): Abgeschossen am Samstag, abgeschossen am Sonntag, nur zwei Punkte: Rene Rast hat in seiner DTM-Karriere schon deutlich erfolgreichere Rennwochenenden auf dem Nürburgring erlebt. Nach Startplatz drei am Samstag (keine Extra-Punkte wegen des ausgefallenen Qualifyings) war der dreifache Meister auf gutem Wege zu seinem fünften Podestplatz in der laufenden Saison, bevor ihm Laurens Vanthoor in die Quere kam und den Abt-Audi-Fahrer auf die neunte Position zurückbeförderte.

Das Fass bei Rast zum Überlaufen brachte die frühe Sonntags-Kollision mit David Schumacher, die den Noch-Audi-Werksfahrer nach Start von P17 aus dem Rennen warf. Höchst untypisch machte Rast seinem Ärger während des laufenden Rennens am ProSieben-Mikro Luft und beschwerte sich über mangelnden Respekt sowie die ruppige Gangart zwischen den Piloten. In der Gesamtwertung hat Rast den dritten Platz an Auer verloren, mit 81 Punkten beträgt sein Rückstand auf Spitzenreiter Sheldon van der Linde 29 Zähler.

Nico Müller (Rosberg-Audi, 70 Punkte, P6): Licht und Schatten (und Nebel) beim Audi-Werksfahrer auf dem Nürburgring: Im Samstagsrennen zog sich Nico Müller nach Start von P4 schon in der dritten Runde nach einer Kollision mit Rene Rast einen Reifenschaden zu. Beim ungeplanten Boxenstopp pokerte die Rosberg-Crew und schickte den Schweizer bei leichtem Nieselregen mit Regenreifen wieder auf die Strecke. Es wurde nicht nasser - Rennen für den frisch verheirateten Müller komplett gelaufen.

Nach seinem dritten punktelosen Rennen in Folge schlug der 30-Jährige im Sonntagsrennen zurück. Von Startplatz elf - nur 0,182 Sekunden Rückstand auf Pole-Setter van der Linde und einem Kontakt im Qualifying - ging es für Müller nur noch nach vorne. Ein schneller Boxenstopp brachte seinen Rosberg-Audi um drei Plätze bis auf P8 nach vorne, dann kassierte er Preinings Porsche und bekam einen weiteren Platz durch Bortolottis Ausfall 'geschenkt'. Laut Müller sei Platz sechs das Maximum gewesen. Sein Rückstand auf Platz eins in der Tabelle ist allerdings von 27 auf 40 Punkte angewachsen.