Gerhard, warum hast du dich der Fortführung der DTM angenommen?
Gerhard Berger: Es war wirklich eine schwierige Aufgabe, das Thema aufzustellen. Ich bin reingestartet, weil ich überzeugt bin, dass die DTM für den europäischen und vor allem für den deutschen Motorsport eine gute Sache ist, die man weiterführen sollte und vielleicht wieder auf die Überholspur bringen kann. In der DTM stecken 35 Jahre harte Arbeit verschiedener Personen, angefangen von Hans Werner Aufrecht und Norbert Haug über viele unterschiedliche Hersteller-Vorstände, die diese Meisterschaft mit großer Leidenschaft Schritt für Schritt aufgebaut und unterstützt haben. Die DTM bietet wirklich einen Mehrwert für den Motorsport. Leider sind die Umstände aktuell nicht einfach, weil die Automobilindustrie mitten in der Transformation zur Elektrifizierung steckt und sich die Marketing- und Kommunikations-Abteilungen dementsprechend auf dieses Thema fokussieren.
Ein Problem für den gesamten Motorsport?
Gerhard Berger: Vielleicht ist der Motorsport momentan etwas in den Hintergrund gerückt, weil die Transformation hin zur Elektromobilität im Motorsport noch nicht erfolgreich stattgefunden hat. Wenn man aber die 1,2 Millionen Zuschauer am TV und vor Corona bis zu 50.000 Zuschauer pro Rennen vor Ort sieht, ist es die DTM wert, sie weiterzuführen. Deshalb habe ich diese Aufgabe angenommen und mir zum Ziel gesetzt, die DTM wieder nach vorne zu bringen.
Keine einfache Aufgabe, oder?
Gerhard Berger: Es wäre gelogen, wenn ich nicht auch überlegt hätte, das nicht zu machen. Aber ich bereue es nicht. Ich habe mir vorgenommen, meine zukünftige Zeit so einzuteilen, dass ich 50 Prozent der Zeit meiner Familie widme und die anderen 50 Prozent mit meinen Betrieben verbringe, zu denen auch die DTM gehört. Leider bin ich von diesem Ziel noch recht weit entfernt. Momentan ist es entscheidend, mit meinem Team das Unmögliche möglich zu machen. Aber irgendwann muss und wird sich das schon wieder verändern. Denn ich habe nur ein Leben und meine späten Jahre möchte ich in erster Linie mit meinen Kindern und meiner Familie verbringen.
Dein 50/50-Plan klingt angesichts all der Herausforderungen für die DTM-Zukunft eher nach einem Wunschtraum...
Gerhard Berger: Momentan geht es einfach nicht anders. Nach jedem Meeting am späten Sonntagabend, wenn wir die kommende Woche planen, denke ich mir: Wäre schön, wenn heute Freitag wäre, dann hätte ich endlich mal ein Wochenende!
Die Hersteller haben sich aus der DTM verabschiedet. Was ist daran positiv und was negativ?
Gerhard Berger: Das stimmt so nicht. Die Hersteller unterstützen ihre Top-Teams nach wie vor, aber das Modell hat sich im Vergleich zu früher verschoben. Die Teams erhalten weniger finanzielle Unterstützung und sind dadurch wieder mehr in ihrer ursprünglichen Rolle, die mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung verlangt. Zum Beispiel in den Bereichen Strategie, Technik und Sponsorenakquise. Trotzdem wählen die Hersteller Teams wie Abt oder Rosberg aus und setzen größtenteils auch eigene Werksfahrer wie Timo Glock oder Nico Müller ein.
Fest steht aber, dass die Hersteller früher großen Einfluss auf das Gesamtgeschehen der DTM-Plattform und auch sportliche Aspekte genommen haben.
Gerhard Berger: Ich glaube, dass die Hersteller verstanden haben, dass es der falsche Weg ist, selbst die Teams zu organisieren und dann dort alle technischen, sportlichen und finanziellen Entscheidungen zu treffen. Dadurch entmachtet man die Fähigkeiten der Teams, die ja gerade deshalb ausgewählt werden, weil sie so große Erfahrung mitbringen. Mit der Unterstützung verlieren sie auch an Schärfe und Infrastruktur. Das war auch der Grund, warum viele Teams ihre eigenen Sponsoringabteilungen aufgelöst haben. Jetzt sind sie in diesen Bereichen wieder gefordert. So kommen wir auf das ursprüngliche Modell zurück, das etwas verloren ging, nun aber wieder korrigiert wurde.
Was waren die entscheidenden Schritte hin zur Fortführung der DTM?
Gerhard Berger: Es gab viele wichtige Schritte. Begonnen hat es mit der Übernahme der Plattform und Gesprächen mit Audi und BMW und deren Bereitschaft, mein Vorhaben zu unterstützen. Ein weiterer wichtiger Schritt war, mit Ferrari und Red Bull zu reden, ob sie sich vorstellen können, auf der DTM-Plattform ein Gemeinschaftsprojekt aufzusetzen. Zwei Ferrari mit Red Bull und dem Werksteam AF Corse waren der Startschuss. Es macht mich sehr stolz, dass wir zwei Marken zusammengebracht haben, die sich ja in der Formel 1 bekämpfen. Ab diesem Zeitpunkt haben mich auch Mercedes, Audi und BMW optimal für die Aufstellung unterstützt.
Dabei war Red-Bull-Berater Dr. Helmut Marko in der Vergangenheit nicht allzu gut auf die DTM zu sprechen. Wie hast du ihn überzeugt?
Gerhard Berger: In der Vergangenheit hatte die DTM in der Außenwirkung - zurecht oder zu Unrecht - eine Zeit lang den Ruf, dass sie unter sich in Deutschland ausgemacht wird. Aber nicht wegen der Hersteller, sondern aus anderen Gründen. Und wer nicht in diesem Umfeld mitspielte, wäre dort ein Verlierer gewesen. Von außen betrachtet konnte man den Eindruck gewinnen, dass alles am grünen Tisch entschieden wird. Ich denke, dass auch Helmut diesen Eindruck hatte. Es gab Vorbehalte, die sich aber auch durch meine Person etwas verändert haben.
Was waren und sind die größten Baustellen beim DTM-Projekt?
Gerhard Berger: Wenn die eine Baustelle bewältigt war und man dachte, das sei die größte, kam schon die nächste - und war dann wieder die größte! Zuerst mussten wir eine Lösung mit Audi und BMW finden und parallel unser Team zusammenzuhalten. Dann mussten wir die Autos auf die Startaufstellung bekommen. Ganz am Anfang war die Unsicherheit auch bei einigen Teams groß. Natürlich gab es auch Gegenwind und Gespräche mit Sponsoren sind in der Pandemie keine einfache Aufgabe. Aber wir haben die Weichen relativ schnell gestellt. Man darf aber auch nicht vergessen: Wir befinden uns immer noch mitten in der Pandemie und der Zuschauerumsatz fällt als Einkommenssäule zunächst weg. Es bleibt also ein harter Kampf.
Apropos Zuschauer: Gibt es Neuigkeiten zum verschobenen Rennwochenende auf dem Norisring?
Gerhard Berger: Zum vorgesehenen Zeitpunkt hätten wir das Event auf dem Norisring nicht mit Zuschauern durchführen können. Keine andere Rennstrecke braucht die Zuschauer aber so sehr, um wirtschaftlich bestehen zu können. Denn neben der Steintribüne gibt es dort sehr viele Aufbauten, die mit einem entsprechenden Kosten- und Infrastrukturaufwand verbunden sind. Die Gespräche für einen möglichen Ersatztermin laufen, aber zur Zulassung von Zuschauern besteht immer noch große Unsicherheit. Bis jetzt wurde keine Lösung gefunden, bei der die Zuschauer-Kostenseite und die Terminfindung in Einklang stehen.
Wir hatten mit Blick auf den Norisring-Termin von einem möglichen Triple-Header im Rennkalender berichtet. Ist das weiterhin eine Möglichkeit?
Gerhard Berger: Es lag ein Terminvorschlag auf dem Tisch, der zu einem Triple-Header führen würde. Drei aufeinanderfolgende Rennwochenenden an unterschiedlichen Orten sind für die Teams mit Blick auf die Arbeitszeiten und Logistik aber schwierig umzusetzen. Klar ist, dass der MCN und wir alle versuchen, eine Lösung zu finden. Und sie im Sinne aller hoffentlich auch finden werden.
War zu jedem Zeitpunkt klar, dass die DTM-Saison theoretisch auch komplett ohne Zuschauer vor Ort über die Bühne gehen würde?
Gerhard Berger: Ende 2020 hätte niemand geglaubt, dass wir heuer wieder Rennen ohne Zuschauer haben. Wir sind alle davon ausgegangen, dass die Fans wieder dabei sein können, natürlich in verringerter Zahl. Aber wir hatten den Zuschauer-Einkommensstream im Budget. Das ist für diese Saison natürlich eine extra Hürde. Aber das gehört dazu - als Geschäftsmann muss man laufend abwägen und Entscheidungen auch situativ treffen.
In der Öffentlichkeit wurdest du zuletzt häufig als Retter der DTM bezeichnet. Was sagst du zu diesem Lob?
Gerhard Berger: Ich mag das Wort 'Retter' nicht. Ich habe zusammen mit einer guten Mannschaft und auch vielen guten Mitspielern, die um den Wert der DTM wissen, geholfen, sie weiterzutragen. Natürlich gibt es auch andere Parteien mit eigenen Interessen, die glücklich wären, wenn es die DTM nicht mehr gäbe. Immerhin hat die DTM ja einige gute Zutaten, die man auch andernorts gerne hätte...
Und jetzt auch eine Balance of Performance, über die noch vor dem ersten Rennen heiß diskutiert wird.
Gerhard Berger: Wir werden in Monza sehen, wie gut die BoP passt. Per Reglement können wir nach jedem Rennen Anpassungen vornehmen und wir stufen auch jede Rennstrecke unterschiedlich ein. Ich gehe davon aus, dass die AVL das Thema gut hinbekommt und innerhalb der ersten drei Rennwochenenden so viele Daten sammelt, dass es keine großen Diskussionen um die BoP gibt.
Hast du Sorge, dass das Thema BoP alles andere überstrahlen könnte?
Gerhard Berger: Ich hätte liebend gerne eine Rennserie ohne BoP, aber daran kommen wir nicht vorbei. Unser Standard, wie wir das Thema angehen, ist sehr hoch. Man kann bei anderen Rennserien sehen, dass die BoP schon sehr gut funktionieren kann. Wichtig ist, dass man Vertrauen hat, dass alles fair abläuft. Deshalb haben wir das Thema auch komplett an die AVL abgegeben, die wir als stärksten Partner auf diesem Gebiet erachten.
Rund um die BoP-Diskussionen kam der Spruch auf, dass die DTM anstrebe, die schnellste GT3-Serie der Welt sein zu wollen. Gilt das weiterhin?
Gerhard Berger: (lacht) Die DTM wird die schnellste Serie sein, weil die besten Fahrer und Teams am Start sind!
Das eine oder andere Team hat im Vorfeld Sorgen über die Reifen geäußert. Wie gehst du damit um?
Gerhard Berger: Michelin ist aus meiner Sicht ein unglaublich guter Partner. Sicherlich merkt man nach den Testfahrten bei einigen Teams die Nervosität, dass bei ihnen hintenraus die Reifen nachlassen. Aber das sollen sie ja auch, sonst bräuchten wir keine Boxenstopps. Mir war auch wichtig, dass wir zu Beginn die weichere S8M-Reifenmischung nutzen. Die alternative Reifenmischung (S9M; d. Red.) wäre schon sehr hart. Wenn es etwas zu korrigieren gibt, werden wir das machen.
Während Alex Albon trotz seiner Formel-1-Verpflichtungen von Red Bull die Freigabe für den DTM-Auftakt in Monza erhalten hat, verpasst der zweifache Champion Gary Paffett in seiner Rolle als Berater für das Formel-E-Team von Mercedes die ersten beiden DTM-Rennwochenenden. Was hältst du davon?
Gerhard Berger: Gary Paffett ist Rennfahrer. Wenn er lieber Management macht, hätte ich auch einen Job für ihn.
Hat Mercedes dich vorab über diese Entscheidung informiert, die vielerorts für Unverständnis sorgt?
Gerhard Berger: Nein, ich habe es von meinem Team erfahren, dass er nicht dabei ist. Aber: Macht doch nix! Das ist eine tolle Chance für Maxi Buhk, der ein sehr guter Fahrer ist, auch in der DTM zu zeigen, was er drauf hat. Ein Problem hätte ich, wenn ich Gary Paffett wäre. Da würde ich sagen: 'Ich habe doch einen Fahrersitz, warum sitze ich dann in Mexiko am Meeting-Tisch?' Das ist aber nicht mein Thema.
Zum Abschluss ein kurzer Blick in die Zukunft: Wird BMW mit dem neuen M4 GT3 dieses Jahr Testrennen auch in der DTM bestreiten, bevor das Auto ab 2022 von Kunden eingesetzt wird?
Gerhard Berger: Ich habe mit BMW ausgemacht, dass es den M4 nächstes Jahr auf der DTM-Plattform geben wird. Und dass sie in diesem Jahr, wann immer sie bereit sind und sich wohlfühlen, den einen oder anderen Gaststart absolvieren.
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