Die Schlussphase des WEC-Saisonauftakts in Katar war an Dramatik kaum zu überbieten. Das Ausrollen des auf Platz zwei liegenden Peugeot in der vorletzten Runde brachte ohnehin Erinnerungen an das einstige Toyota-Trauma in Le Mans anno 2016 hoch. Und auch rund um den siegreichen #6 Penske-Porsche 963 mit Kevin Estre, Andre Lotterer und Laurens Vanthoor bahnte sich unter dem Flutlicht des Losail International Circuit eine potenzielle Tragödie an!
Nachdem der Porsche das Rennen ab der 54. von insgesamt 335 Runden durchgängig angeführt hatte, wurde Schlussfahrer Estre rund eineinhalb Stunden vor dem Rennende in eine Kollision mit dem #87 GT3-Lexus von Bronze-Fahrer Takeshi Kimura verwickelt. In der Folge des Kontakts auf der Innenseite von Kurve 3 löste sich die beleuchtete Nummerntafel auf der linken Fahrzeugflanke des Porsche.
Porsche verliert Nummerntafel - Regelverstoß?!
Experten und Fans diskutierten wild, ob damit ein Regelbruch vorlag, denn: Im Sportlichen Reglement steht geschrieben, dass die Rennleitung ein Auto stoppt, wenn es unmöglich ist, dieses bei Tag und Nacht anhand der Rennnummern identifizieren zu können. Zwar sind an den Hypercars mehrere Startnummern aufgeklebt, unter anderem auf der Motorhaube, doch nur die Seiten-Nummernschilder sind illuminiert.
Auch in der Porsche-Box wurde es immer hektischer, bis das Team in der 328. Runde - sieben Umläufe vor dem Rennende - entschied, Estre für einen kurzen Reparatur-Stopp reinzuholen. Ein Porsche-Mechaniker brachte flugs und wenig galant - Handy-Schutzhüllen-Besitzer würden ausflippen - eine Klebe-Nummerntafel an der hinteren Fahrzeugseite an.
Porsche-Sieger Estre: "Bitte nicht!"
Porsche wollte in dieser Situation sichergehen, keine Strafe zu riskieren und konnte sich den Stopp, der insgesamt 47,616 Sekunden dauerte, durchaus leisten. Zu diesem Zeitpunkt betrug Estres Vorsprung auf den Zweitplatzierten Jean-Eric Vergne im #93 Peugeot immerhin 1:26 Minuten. Dass die Porsche-Mannschaft und vor allem Estre in dieser entscheidenden Rennphase aber nur zu gerne auf den ungeplanten Boxengassenbesuch verzichtet hätten, dürfte selbsterklärend sein.
Der französische Werksfahrer hatte nach mehreren Feindkontakten mit überrundeten GT3-Autos ohnehin Mühe, den #6 Porsche bei der Pace zu halten. "Es war ein bisschen verrückt", sagte Estre rückblickend. "Ich hatte nicht angenommen, im Verkehr Risiken eingehen zu müssen. Aber wir haben uns ein paar Male nicht verstanden, und dann erhielt ich einen harten Schlag von einem Lexus. Danach spürte ich Vibrationen und einen Grip-Verlust. Aber wir sind die letzten eineinhalb Stunden so weitergefahren. Als mir dann gesagt wurde, dass ich an die Box kommen sollte, dachte ich: 'Bitte nicht!'"
Snickers-Stressbewältigung in der Porsche-Box
Zur Beruhigung des Nervenkostüms von Monsieur Estre - und dem seiner Teamkollegen (Vanthoor: "Wir haben zur Stressbewältigung bestimmt 20 Snickers gefuttert!") - erhielt er noch am Funk die Ansage, dass es sich bloß um einen wenige Sekunden dauernden Boxenstopp handele. Und so feierte Porsche am Ende, angeführt von Estre, einen sensationellen Dreifachsieg beim WEC-Auftakt in Katar.
Zwar schien der von P5 gestartete #6 Porsche wie ein Uhrwerk in der Wüste zu laufen, doch laut Estre sei es keine Spazierfahrt gewesen: "Ich hatte in diesem Rennen gefühlt mehr Kontakte als in einer kompletten WEC-Saison! Der Lexus hat mich vielleicht gesehen, vielleicht auch nicht, aber er zog trotzdem rüber. Ich kam auf den Kerb, aber hier kann man nicht wirklich die Strecke verlassen. Also berührten wir uns."
Auch mit einem Ford Mustang GT3 sei Estre aneinandergeraten. "Mit dem blauen Mustang, der mich nicht gesehen hat", schilderte er. "Er kam rüber und dann... bäm! Da war ein Loch im Auto, was ich auch am Lenkrad spürte. Es gab viele Vibrationen. Die Pace war okay, aber das Gefühl, dass 90 Minuten vor dem Ende etwas brechen könnte... Das war genauso hart wie der Stopp am Ende und hat noch mehr Würze reingebracht."
Laurens Vanthoor: Ansage von Roger Penske und Ehefrau
Abseits der finalen Zitterpartie lieferte die erfahrene #6-Crew eine blitzsaubere Leistung ab, die Porsche den ersten WEC-Sieg mit dem 963 bescherte und den ersten Langstrecken-WM-Sieg eines nach dem IMSA-Reglement gebauten LMDh-Autos markierte. "Mit einem Dreifacherfolg für Porsche konnte niemand rechnen", sagte Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach. "Mein Respekt gilt aber auch Peugeot. Es ist bitter, so kurz vor Schluss auszufallen. Sie hätten es verdient gehabt, zusammen mit uns auf dem Podest zu stehen."
Die siegreiche Fahrt begann bereits mit einem cleveren und ohnehin schnellen Startfahrer namens Laurens Vanthoor, der in der Vergangenheit nicht immer ohne Kratzer über die Runden kam... "Ich war motiviert für den Start", sagte der Belgier. "Vorher kam Roger (Penske) zu mir und sagte, dass ich smart sein solle. Dann hatte ich plötzlich meine Nase inmitten von drei Autos. Ich habe zurückgezogen, und rückblickend war das wohl die beste Entscheidung. Ich habe ein paar Plätze verloren, aber das lange Spiel gespielt. Meine Frau hatte mir auch gesagt, dass ich schlau sein soll. Das waren wohl Zeichen..."
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