Jorge Lorenzo, Dani Pedrosa, Jorge Martin, Marc Marquez und künftig wohl auch Pedro Acosta. Spanien dominiert die MotoGP schon seit vielen Jahren und ist längst zur zweiterfolgreichsten Motorradnation nach Italien aufgestiegen. Doch spanische Rennsiege und WM-Gewinne waren in der Königsklasse nicht immer an der Tagesordnung, im Gegenteil. Auf der iberischen Halbinsel erlangte der Motorradsport erst in den 70er- und 80er-Jahren durch MotoGP-Legende Angel Nieto einen hohen Stellenwert. Dieser hielt die spanische Flagge aber oft alleine hoch und konnte einzig in den kleinen 50ccm- und 125ccm-Klassen glänzen.

Erst Ende der 80er-Jahre kamen mit Sito Pons und Alex Criville weitere Spitzenfahrer hinzu, auch ihre Erfolge beschränkten sich zunächst aber auf die kleineren WM-Kategorien. Es dauerte bis zur Dutch TT im Jahr 1992, ehe Criville als Rookie den ersten spanischen Sieg in der Königsklasse erringen konnte. Ein Startschuss zur heutigen Dominanz war dieser Triumph aber noch lange nicht, erst 1995 sollten weitere spanische Siege folgen. Den ersten spanischen WM-Titel in der 500ccm-Klasse fuhr Criville sogar erst 1999 - der 50. Saison der Motorrad-Weltmeisterschaft - ein. Diesen historischen Titelgewinn fixierte der gebürtige Katalane vor exakt 25 Jahren am 24. Oktober 1999 in Rio de Janeiro. Motorsport-Magazin.com blickt zurück.

Legendäre Luftschlösser: Hier ist die MotoGP nie gefahren (07:03 Min.)

Mick Doohan stürzt folgenschwer: Machtvakuum in der Motorrad-WM entsteht

Als die Motorrad-WM in die Saison 1999 startete, war die 500ccm-Klasse noch ganz klar in der Hand eines Mannes: Mick Doohan. Der Australier hatte seit 1994 alle fünf möglichen WM-Titel gewonnen und dabei mit der legendären Honda NSR500 Kreise um seine Konkurrenten gefahren. 44 Rennsiege in 71 Grand-Prix-Starts standen in dieser Zeit zu Buche. Eine unfassbare Erfolgsquote von 62 Prozent also, in deren Nähe seither nur die MotoGP-Superstars Valentino Rossi und Marc Marquez kommen sollten. Daher überraschte es auch nicht, dass Doohan 1999 einmal mehr als Topfavorit in die neue Saison startete. Zu diesem Zeitpunkt ahnte jedoch noch niemand, welch dramatische Entwicklung das neue Kalenderjahr bringen sollte.

Die ersten beiden Saisonrennen in Sepang und Motegi gewann nämlich Suzuki-Neuzugang Kenny Roberts jr., womit sich der US-Amerikaner früh ein kleines Punktepolster in der Fahrer-WM erarbeiten konnte, da Doohan gleichzeitig nicht über die Plätze vier und zwei hinausgekommen war. Speziell die Niederlage im direkten Duell im Japan Grand Prix schien dem fünfmaligen Champion nicht geschmeckt zu haben, weshalb er in Jerez darum bemüht war, schon am Trainingsfreitag in schwierigen Bedingungen ein Zeichen zu setzen und der Welt zu beweißen, dass er noch immer am Höhepunkt seines Schaffens war - ein fataler Fehler.

Denn Doohan stürzte im Training auf dem Circuito de Jerez schwer und zog sich zahlreiche Verletzungen zu, welche ihn für die restliche Saison zum Zuschauen verdammten und schließlich sogar zum vorzeitigen Karriereende zwangen. Durch die Abstinenz des Honda-Superstars entstand in der 500ccm-Klasse in der Folge ein Machtvakuum, dass es nun zu füllen galt. Die Chance für Piloten, die zwischen 1994 und 1998 in Doohans Schatten gestanden hatten. Die Chance für Alex Criville.

Raus aus dem Doohan-Schatten: Alex Criville blüht 1999 auf

Der Spanier hatte in den fünf Jahren zuvor an der Seite Doohans kaum einen Stich setzen können und war einzig 1996 als Vizemeister halbwegs knapp am WM-Titel vorbeigeschrammt. In zahlreichen packenden und hartumkämpften Duellen zwischen den beiden Repsol-Honda-Piloten hatte jedoch stets Doohan die Oberhand behalten. So etwa auch bei ihrem legendären Zweikampf um den Sieg 1996 in Jerez, als hunderte Fans während der letzten Runde auf die Strecke stürmten und Criville letztlich in der Schlusskurve nach einem Überholmanöver seines Kontrahenten noch zu Sturz kam.

1999 war jedoch alles anders, denn Doohan war plötzlich nicht mehr da - und Criville drehte auf. Nur zwei Tage nach dem Horrorsturz seines Erzrivalen feierte der Spanier vor heimischem Publikum in Jerez seinen ersten Saisonsieg nach einem spektakulären Zweikampf mit Max Biaggi und beflügelte sich damit selbst. Anschließend gewann Criville nämlich auch die folgenden drei Grand Prix in Paul Ricard, Mugello und Barcelona, wobei speziell Letzterer mit einem Überholmanöver in der letzten Runde gegen Teamkollege Tadayuki Okada eine deutliche Sprache sprach. Bereits komfortabel vor Roberts jr. (45 Punkte) und Sete Gibernau (57) in WM-Führung liegend, schmerzte somit auch der erste Ausfall des Jahres in Assen nicht, zumal Criville sofort mit einem weiteren Sieg in Donington Park antwortete.

Alex Criville raste 1999 in der ersten Saisonhälfte von Sieg zu Sieg, Foto: Milagro
Alex Criville raste 1999 in der ersten Saisonhälfte von Sieg zu Sieg, Foto: Milagro

Im weiteren Saisonverlauf folgte dann zwar nur noch ein weiterer Triumph in Imola, zeitgleich landete der Repsol-Honda-Pilot aber auch nur zweimal abseits der Podestplätze. Die vorletzte Saisonstation im brasilianischen Rio de Janeiro erreichte Criville damit mit 44 WM-Punkten Vorsprung auf Stallgefährte Okada und einem ersten Matchball: Bereits Platz zehn reichte zum zweiten Titelgewinn seiner Grand-Prix-Karriere. Eine auf dem Papier einfache Aufgabe, allerdings kämpfte der damals 29-Jährige noch mit den Folgen einer Handgelenksfraktur, zugezogen bei einem Highsider auf Phillip Island. Im Qualifying kam Criville somit nicht über Startplatz elf hinaus, während sich Okada mit Position fünf in eine deutlich bessere Ausgangslage gebracht hatte.

Alex Criville fixiert ersten 500ccm-Weltmeistertitel 1999 in Rio de Janeiro

Diese nutzte Okada auch, um gleich am Start auf den zweiten Rang nach vorne zu schießen, während Criville inmitten des Feldes stecken blieb. Die Überraschung war plötzlich greifbar, nur wenigeÜberholmanöver fehlten zur Vertagung der Titelentscheidung. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, denn Okada biss sich am Führenden Roberts jr. die Zähne aus und machte zur Rennhalbzeit einen folgenschweren Fehler. Am Ende der Gegengeraden touchierte er das Hinterrad vom späteren Rennsieger Norick Abe, der ihn gerade überholt hatte, kam daraufhin von der Strecke ab und fiel weit zurück.

Genauergesagt sortierte sich Okada direkt hinter der Gruppe um WM-Rivale Criville wieder ein, der zu diesem Zeitpunkt mit Garry McCoy, Anthony Gobert und Nobuatsu Aoki um den siebten Platz gekämpft hatte. Damit war die Titelentscheidung im Grunde schon gefallen, denn selbst bei einem Ausfall Crivilles würde Okada nun nicht mehr genug Punkte sammeln können, um den Titelkampf bis zum Saisonfinale in Argentinien offen zu halten. Sich dessen bewusst, konnte Criville den zuvor eingelegten Verwaltungsmodus ausschalten und in der Folge die Attacken seiner Konkurrenten beherzt abwehren, womit er das Ziel letztlich sogar noch als Sechster erreichte und den WM-Gewinn bei Zieldurchfahrt standesgemäß mit einem Wheelie fixierte.

Alex Criville und das Repsol-Honda-Team feiern den Titelgewinn 1999, Foto: Repsol Media
Alex Criville und das Repsol-Honda-Team feiern den Titelgewinn 1999, Foto: Repsol Media

Ein ganz besonderer Moment in der Geschichte der Motorrad-WM. Ein historischer Triumph, mit dem Criville eine ganze Nation inspirieren sollte. "Die Nummer eins auf meinem Motorrad zu haben, ist unglaublich. Ich werde wahrscheinlich noch einige Zeit denken, dass es Micks ist, aber es ist jetzt meins", gab der frischgekührte Champion einen ungläubigen Einblick in seine Gefühlswelt. Die Dominanz Doohans war durchbrochen, der Beginn einer neuen Ära eingeleutet. Zehn weitere Male sollte Spanien seither den MotoGP-Weltmeister stellen, mehr als jede andere Nation. Criville selbst sollte jedoch keinen Titel mehr gewinnen, seine Karriere stürzte nach dem historischen Erfolg in Rio dramatisch ab. Ihm gelang nur noch ein weiterer Sieg in der Königsklasse, als WM-Neunter scheiterte er im Jahr 2000 brachial an der Titelverteidigung. Nach einer weiteren schwachen Saison 2001 verabschiedete er sich schließlich aus der Motorrad-WM und kehrte nie mehr zurück.