Fabio Di Giannantonio? 62 Kilogramm. Jorge Martin, Pedro Acosta oder Brad Binder? 63 Kilogramm. Marc Marquez, Francesco Bagnaia oder Maverick Vinales? 64 Kilogramm. Die große Mehrheit des MotoGP-Fahrerfeldes der Saison 2024 zählt zur absoluten Leichtgewichtsklasse. Selbst Fabio Quartararo gehört mit 69 Kilogramm Körpergewicht schon zu den schwersten Piloten, nur Takaaki Nakagami (70 kg) und Augusto Fernandez (73 kg) bringen mehr auf die Waage. Bei einer Körpergröße von knapp 180 Zentimetern kann aber auch bei ihnen nicht von wohlgenährten Menschen gesprochen werden. Im Gegenteil: Sämtliche MotoGP-Stars bewegen sich seit vielen Jahren am Rande der Unterernährung. Ein Problem, dass künftig wohl noch schlimmer werden könnte.
"60 Kilogramm sind wenig, verdammt wenig. Das hat mich in letzter Zeit viel zum Nachdenken gebracht, wohin wir unseren Sport in Zukunft entwickeln wollen", kommentierte 500ccm-Rennsieger und MotoGP-Experte Simon Crafar während des Nachmittagstrainings in Jerez im internationalen Livestream auf 'MotoGP.com'. Mit Blick auf das neue Technische Reglement der Königsklasse ab 2027 fürchtet er eine weitere Verschlimmerung des Hungerwahns: "Wir sprechen über eine Reduktion auf 850ccm und wenn wir das tun, wird es noch wichtiger werden, ein kleiner und leichter Fahrer zu sein."
Leichte MotoGP-Piloten: Bessere Beschleunigung, weniger Reifenverschleiß
Was während dem Traininsgfreitag in Jerez noch ein schlecht gehütetes Geheimnis war, ist seit Montagmittag offiziell: Die MotoGP-Motoren werden ab der Saison 2027 tatsächlich von bisher 1.000ccm auf 850ccm verkleinert werden. Der Hintergedanke dessen ist eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten der Motorräder, die in den vergangenen Jahren im mittleren 360er-Bereich angekommen sind. Brad Binder wurde 2023 in Mugello etwa mit unfassbaren 366,1 km/h geblitzt. Das stellt auf vielen Strecken ein Sicherheitsrisiko dar, weil die Auslaufzonen nicht mehr ausreichen. Um die Sicherheit der Piloten wieder zu erhöhen, sollen die Spitzengeschwindigkeiten dank der Reduktion auf 850ccm-Motoren ab 2027 wieder gesenkt werden.
Doch wo eine Sicherheitsfrage zum Wohl der MotoGP-Piloten geklärt wurde, entsteht gleich die nächste. Denn das Körpergewicht eines Fahrers spielt beim Motorradrennsport eine entscheidende Rolle. "Ich bin ein schwerer Fahrer und sehe, wie gut ein Motorrad mit einem 10 bis 15 Kilogramm leichteren Fahrer aus der Kurve herausbeschleunigen kann. Er kommt einfach viel besser weg", weiß Crafar und beschreibt: "Es ist egal, was für eine Maschine du fährst. Selbst mit der Stock 1.000, da habe ich zwei davon, ist es das gleiche. Einmal saß ein junger Fahrer um die 60 Kilogramm darauf, ich wiege knapp 80 Kilogramm. Und wie er weggezogen ist, obwohl er die Strecke nichtmal kannte. Wie er beschleunigt hat ... es macht einfach einen Unterschied, selbst bei den großen Motorrädern."
Mit der besseren Beschleunigung spricht Crafar allerdings nur einen Punkt an. Ein kleiner, leichter Fahrer bringt noch weitere Vorteile mit sich. "Für mich ist es eindeutig, dass das Gewicht einen großen Unterschied im Umgang mit den Reifen ausmacht. Dani [Pedrosa, Anm.] ist wahrscheinlich 15 Kilogramm leichter als ich. Wenn du seinen Reifenverschleiß mit meinem vergleichst, liegen Welten dazwischen", erklärte Brad Binder bereits vor dem Saisonstart in Katar. "Wenn du leichter bist, hilft das. Speziell im Rennen könnte das ein 'Gamechanger' sein, wenn ich am Ende fünf Prozent mehr Reifenleben übrighabe."
Superbike-WM führte 2024 ein Mindestgewicht für Fahrer ein
Auch beim Reifenverschleiß zählt also jedes Kilogramm. Je leichter der Fahrer, desto geringer sein Gripverlust mit zunehmender Renndauer. Ein Vorteil, den sich in der Superbike-Weltmeisterschaft Alvaro Bautista zuletzt eindrucksvoll zunutze machen konnte. Mit lediglich 60 Kilogramm Körpergewicht war der kleine Spanier (1,69 cm) in den vergangenen beiden Jahren klar leichtester Fahrer im Feld. In Kombination mit der überlegenen Ducati Panigale V4 R war der ehemalige MotoGP-Pilot speziell über lange Renndistanzen kaum zu schlagen, er gewann zwischen 2022 und 2023 sagenhafte 43 von 72 Rennen. Im Frühling 2023 blieb Bautista sogar elfmal in Folge unbesiegt und krönte sich im vergangenen Herbst zum zweiten Mal in Folge zum WorldSBK-Weltmeister.
Dort wurde Mitte Oktober 2023 auf die Dominanz des Ducati-Piloten reagiert und ein neues Mindestgewicht für Fahrer eingeführt, welches seit Saisonbeginn 2024 greift. Der Grenzwert wurde dabei auf 80 Kilogramm gesetzt. Fahrer, die diesen Mindestwert nicht erreichen, müssen pro fehlendem Kilogramm Körpergewicht ein halbes Kilogramm Zusatzgewicht an ihrem Motorrad anbringen. Damit will die Superbike-WM für mehr Chancengleichheit sorgen und darf sind nach den ersten drei Rennwochenenden im Jahr 2024 in ihrem Vorgehen auch bestätigt fühlen. Schon fünf unterschiedliche Fahrer konnten ein Rennen gewinnen, womit die Werte der letzten beiden Jahre [2022: 3, 2023: 4, Anm.] bereits übertroffen sind. Bautista selbst gewann erst zwei WM-Läufe.
Simon Crafar fordert: Mindestgewicht in der MotoGP!
Ein Dominanz-Problem hatte die MotoGP in den vergangenen Jahren seit Ende der Marquez-Ära 2019 natürlich nicht, Crafar wünscht sich aber dennoch die Einführung eines Mindestgewichtes in der Königsklasse. "Es gibt kein kombiniertes Mindestgewicht für Fahrer un Maschine, das halte ich für falsch", sagt er. "Wenn wir reduzieren [auf 850ccm, Anm.], müssen wir etwas verändern. Wenn die Organisatoren und Fans nur noch Zwerge in der MotoGP sehen wollen, okay. Aber wenn wir eine größere Variation an Körpergrößen haben wollen, brauchen wir ein Mindestgewicht. Die Lücke muss nicht vollständig geschlossen werden. Es müssen nicht 15 Kilogramm Zusatzgewicht sein, aber zumindest die Hälfte. 7 Kilogramm werden schon einen Unterschied machen."
Nun seid ihr gefragt: Gebt ihr Simon Crafar recht? Muss die MotoGP etwas tun, um weiteren Hungerwahn in der Königsklasse zu unterbinden? Wäre ein Mindestgewicht die richtige Entscheidung? Sagt es uns in den Kommentaren!
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