2021 wurde Fabio Quartararo noch erstmals in seiner Karriere MotoGP-Weltmeister. In nur zwei Jahren hat degradierte die leistungsschwache Yamaha M1 den Franzosen nun vom Champion zum biederen Mittelmaß der Königsklasse. Er wartet seit dem Sachsenring 2022 auf einen Sieg, in der vergangenen Saison waren lediglich vereinzelte Podestplätze möglich. Motorsport-Magazin.com sprach mit 'El Diablo' über die aktuelle Krise und Auswege für die Zukunft.
MSM: Fabio, ich würde gerne mit einer persönlichen Frage beginnen. Wie wichtig ist Geld für dich?
Fabio Quartararo: Hahaha. Ich glaube, dass Geld für jeden Menschen wichtig ist. Entscheidend für mich war immer, dass ich meine Familie absichern kann. Ich komme aus einem ganz normalen Umfeld. Mein Vater ist Schlosser, meine Mutter Friseurin. Ich bin stolz darauf, ihnen finanzielle Sicherheit bieten zu können.
Ich frage, weil es in der MotoGP in den letzten Jahren eine gewisse Veränderung gab. In der Vergangenheit wollte jeder Fahrer in ein Werksteam, weil es dort neben dem besten Verdienst auch das beste Material gab. Jetzt ist das nicht mehr zwangsläufig so. Marc Marquez hat bei Repsol Honda den bestdotierten Vertrag der MotoGP-Geschichte frühzeitig aufgelöst und ist zu Gresini Racing gewechselt, wo er praktisch umsonst fahren wird. Wärst du zu einem vergleichbaren Wechsel bereit, wenn dieser für dich den größtmöglichen sportlichen Erfolg bedeuten würde?
Ich denke, man muss da ein gutes Mittelmaß finden. Du kannst nicht alles haben. Vielleicht in der Vergangenheit, aber das hat sich eben geändert. Man kann Marcs Situation nicht ganz mit meiner vergleichen. Ich kenne auf jeden Fall meinen Wert. Das ist keine Ego-Sache, aber ich will nicht auf Knien bei einem Team um ein Motorrad betteln. Wenn mich jemand verpflichten will, dann muss da auch ein gewisser Respekt mir gegenüber da sein. Das ist mir sehr wichtig.
Quartararo: Mehr Chancengleichheit würde MotoGP guttun
Du bist ja auch zweifelsohne einer der besten Fahrer der MotoGP. Gleiches gilt für Marc. Dennoch seid ihr in der Fahrerweltmeisterschaft in diesem Jahr beide nur im Mittelfeld gelandet. Spielt das technische Paket im Vergleich zur Leistung der Fahrer aktuell eine zu große Rolle?
Definitiv. Das Material ist extrem wichtig und man sieht ja auch ein klares Leistungsgefälle unter den Herstellern. Ducati ist einen Schritt voraus und dann haben sie auch noch acht Motorräder. Wären es nur zwei so wie hier bei Yamaha wäre es halb so schlimm, aber mit acht Ducatis wird es wirklich schwierig. Vor drei oder vier Jahren war das Feld sicherlich ausgeglichener, aber das ist nun mal die Evolution unseres Sports. Die MotoGP soll immer größer und schneller werden. Daran muss sich eben jeder Hersteller bestmöglich anpassen.
Die besten Fahrer irgendwo im Mittelfeld zu haben ist aber sicher nicht gut für den Sport. Was können die Verantwortlichen deiner Meinung nach tun, um sicherzustellen, dass die Spitzenpiloten auch um Spitzenpositionen kämpfen?
Ich weiß es nicht wirklich, aber etwas mehr Chancengleichheit würde der MotoGP schon guttun. Ich verstehe aber natürlich auch, dass wir hier von der Königsklasse des Motorradsports sprechen und man aus dieser nicht eine Art Einheitsserie wie die Moto2 machen kann. Man muss gewisse Entwicklungen wie im Bereich der Aerodynamik akzeptieren. Dann liegt es eben an jedem Hersteller, das Beste daraus zu machen und Dinge zu entwickeln, die es zuvor nicht gab. Die MotoGP ist definitiv komplexer geworden. Das haben die europäischen Werke in den vergangenen Jahren einfach besser gemeistert als die Japaner. Wir sind im Bereich des Rahmens und der Aerodynamik vom richtigen Weg abgekommen. Wenn du dir eine Yamaha oder eine Honda anschaust, dann siehst du immer noch ein klassisches Motorrad. Die anderen Bikes sind eher Formel-1-Autos, Raketen oder was weiß ich.
Quartararo stellt klar: 2024 häufiger um Top-5 und Podestplätze kämpfen
Für die kommende Saison wird es auf jeden Fall keine Änderungen am Concessions-Reglement geben, die Yamaha mehr Möglichkeiten zum Anschluss an die Spitze bieten [Die MotoGP verabschiedete Ende 2023 doch noch ein neues Concession-System, welches strauchelnde Hersteller schneller an die Spitze zurückbringen soll, Anm.]. Die ersten Testfahrten für 2024 verliefen für dich allerdings enttäuschend. Denkst du, dass du im nächsten Jahr ein konkurrenzfähiges Motorrad haben wirst?
Ich glaube es ist noch etwas zu früh, um das zu beurteilen. Vom ersten Test mit dem 2024er-Prototyp in Misano bis zu den ersten Testfahrten nach der Winterpause in Sepang (6. bis 8. Februar) vergehen fast fünf Monate. In dieser Zeit kann viel passieren und ich hoffe wirklich, dass ich in Sepang ein besseres Motorrad zur Verfügung habe.
Du hast aber bereits vor einigen Wochen klargestellt, dass du 2024 sicher nicht um den Titel kämpfen wirst können. 2021 warst du Weltmeister. Da willst du natürlich auch in jeder weiteren Saison um den Gesamtsieg kämpfen. Da muss es extrem schwierig sein, bereits vor dem ersten Rennen zu wissen, dass das große Ziel unerreichbar ist.
Natürlich ist das schwierig, aber wir sind momentan einfach zu weit von der Spitze entfernt. Die Konkurrenz wird im nächsten Jahr wieder einen Schritt nach vorne machen, also brauchen wir drei oder vier Schritte. Wir können daher nicht erwarten, dass wir auf einem Level mit ihnen sein werden. Unser Ziel muss es sein, den Abstand zu verringern. Viele Hersteller haben aktuell schon sehr gute Motorräder. Wir können uns sicher noch mehr steigern als sie. Aber von Platz zehn in der Weltmeisterschaft plötzlich an die Spitze springen? Das wird nicht funktionieren.
Mit welchen Resultaten wärst du in der näheren Zukunft zufrieden?
Ich denke, wir sollten regelmäßige Top-Fünf-Ergebnisse ins Auge fassen und auch häufiger um Podien oder Siege kämpfen. In diesem Jahr konnte ich nur in Indonesien wirklich um den Sieg kämpfen, denn in Indien habe ich es zwar auf das Podium geschafft, aber auch fast neun Sekunden auf die Siegerzeit verloren. Wieder um diese Spitzenposition kämpfen zu können wäre für mich sehr wichtig, denn man hat ja zu Beginn dieser Saison gesehen, was ansonsten passiert: Wir waren nicht schnell genug für Top-Resultate, also habe ich es übertrieben, bin nicht so gefahren wie ich fahren hätte müssen und habe deshalb viele Fehler gemacht.
Nach dem für dich katastrophalen Rennen auf Phillip Island hast du gemeint, dass Yamaha ein Winter nicht reichen wird, um die Lücke zu schließen. Stattdessen würden sie 15 Winter brauchen. Wie ernst dürfen wir diese Aussage nehmen?
Das war natürlich scherzhaft gesagt. Ich habe das nicht ernstgemeint. Wir müssen aber tatsächlich in vielen Bereichen arbeiten. Ich habe 100 Wünsche, aber wenn mir Yamaha nur 50 erfüllen kann, wäre ich schon glücklich. Dann würden wir meiner Meinung nach ein Niveau erreichen, mit dem wir regelmäßig auf das Podium fahren können.
Quartararo rät Yamaha zum Konzeptwechsel: Nichts zu verlieren!
Denkst du, dass dein neuer Teamkollege dabei helfen wird können? Alex Rins ist sechs Jahre lang die Suzuki GSX-RR gefahren - ein Motorrad, das der Yamaha M1 sehr ähnlich war.
Ich hoffe es. Alex verfügt über viele Informationen aus seiner Suzuki-Zeit und die GSX-RR war bis zum Ausstieg Ende 2022 ein sehr konkurrenzfähiges Motorrad.
Seit Suzuki die MotoGP verlassen hat, ist Yamaha ja der einzige Hersteller, der noch auf einen Reihenvierzylinder setzt. Denkst du, dass ein Konzeptwechsel für Yamaha sinnvoll wäre?
Das hängt auch ein wenig davon ab, wie die Saison 2024 läuft. Aktuell pendeln wir in der Konstrukteursweltmeisterschaft immer irgendwo zwischen dem letzten und vorletzten Platz. Yamaha muss aber großes Interesse daran haben, der beste Hersteller zu sein. Wenn wir nächstes Jahr immer noch in derselben Position sind, dann wäre das für mich schon eine Option. Wir sind so weit weg, dass wir auch ein Risiko eingehen können. Wir haben ja nicht zu verlieren!
Der Reihenvierzylinder generiert für deinen Geschmack ja seit Jahren zu wenig Leistung. Yamaha-Testfahrer Cal Crutchlow meinte aber zuletzt, dass das Motorrad nicht unbedingt mehr Power braucht. Es scheint, als würdet ihr in unterschiedliche Richtungen arbeiten. Wie ist dein Verhältnis zu Cal?
Wir wissen alle, dass Cal manchmal etwas schwierig sein kann. Ich verstehe seinen Zugang durchaus und weiß was er meint, aber ich glaube auch, dass er nicht wirklich versteht, was unser Problem ist. Cal fährt alle anderthalb Monate einen Test und dreht dabei allein seine Runden. Wenn du dich da auf das Motorrad setzt, dann fühlt es sich natürlich schnell an. Wenn du aber so wie ich gegen die Spitzenpiloten kämpfst, dann merkst du, dass uns etwas fehlt. In manchen Bereichen brauchen wir tatsächlich nicht mehr Leistung, in sehr vielen aber schon.
In welchen?
Sieh dir mal meine Pace an, wenn ich im Training alleine fahren kann. Da bin ich auf keiner Strecke wirklich weit weg von der Spitze. Wenn wir aber dann weiche Reifen aufziehen, können die anderen Motorräder viel mehr von ihrer Power nutzen. Was die Renn-Pace betrifft, fehlen uns vielleicht zwei oder drei Zehntel pro Runde. In der Time-Attack ist es dann auf einmal eine Sekunde. Diese sieben Zehntel Unterschied sind ausschließlich auf die Motorleistung zurückzuführen.
Denkst du, dass Cal mehr testen und auch häufiger Wildcard-Starts absolvieren müsste? Er hat bei seinem Einsatz in Motegi selbst kritisiert, dass er nur selten auf dem Motorrad sitzt.
Der größere Fehler für mich war, dass Yamaha 2023 Misano nicht als Teststrecke gewählt hat, während alle anderen Hersteller dort gefahren sind. (Anm.: Jeder Hersteller darf drei Strecken des MotoGP-Kalenders für Privattests auswählen, Yamaha entschied sich für Jerez, Mugello und Motegi. Das Motorland Aragon war 2023 von dieser Regelung nicht betroffen, weil kein Grand Prix ausgetragen wurde.) Yamaha hat in Aragon getestet, wo du zwar manchmal gute Verhältnisse hast, dann aber wieder 100 km/h Wind und jede Menge Sand auf der Strecke. Da zu fahren, ist reine Zeitverschwendung. Für nächstes Jahr wird sich das glücklicherweise ändern.
Quartararo denkt an Yamaha-Abschied: Brauche siegfähiges Paket
Du hattest im Herbst ein paar durchaus gute Resultate, bist in Indonesien und Indien auf dem Podium gestanden. Kannst du solche Erfolge aktuell wirklich genießen oder blickst du schon besorgt auf das nächste Rennwochenende?
Ich kann es schon genießen, aber nicht so richtig. Ein Podium ist immer etwas Besonderes, vor allem wenn du so wie ich in diesem Jahr lange auf eines warten musst. Dann fühlt sich das eigentlich wie ein Sieg an. In Indonesien hat mir aber weniger als eine halbe Sekunde auf den Sieg gefehlt und ich wusste, dass ich fahrerisch mehr draufhatte. Das ist dann natürlich frustrierend. Aber man muss das Positive mitnehmen: Ich konnte mir selbst beweisen, wie schnell ich immer noch bin. So werde ich früher oder später wieder an der Spitze stehen. Dafür brauche ich aber natürlich auch ein siegfähiges Projekt.
Soll dieses Projekt jenes von Yamaha oder das eines anderen Herstellers sein?
Es wäre genial, wenn ich Yamaha wieder ganz nach oben führen könnte.
Dein Vertrag mit Yamaha gilt noch bis Ende 2024. Im kommenden Jahr wird es also zu Verhandlungen mit Yamaha und vermutlich auch mit anderen Herstellern kommen. Du hast dich im Sommer von deinem langjährigen Berater Eric Mahe getrennt und deine eigene Managementagentur FQ20 gegründet. Wirst du also zukünftig selbst am Verhandlungstisch sitzen?
Das habe ich vor, ja. Mein bester Freund und Assistent Tom wird mir dabei helfen. Vielleicht brauchen wir noch eine dritte Person zur Unterstützung, aber einen klassischen Manager werde ich nicht mehr haben. Support brauche ich in erster Linie bei Verträgen außerhalb des Rennsports. Wenn du in der MotoGP mal den Durchblick hast und deine ganzen Ausrüster-Deals eingetütet sind, dann ist das eigentlich eine Routineangelegenheit. Für so etwas brauche ich keinen Manager.
Das ist interessant, denn viele Fahrer halten diese Vertragsthemen bewusst von sich fern, um nicht abgelenkt zu werden. Wenn wir sie nach irgendwelchen Transfergerüchten fragen, verweisen sie auf ihre Manager.
Für mich ist das keine Ablenkung. Wenn es Gerüchte gibt, haben normalerweise auch Gespräche zwischen Fahrer und Team stattgefunden. Ob mich die Leute dann in diesem oder jenem Team sehen wollen, beeinflusst mich nicht. Wenn ich weiß, was ich will, dann schaffen es diese Spekulationen gar nicht erst in meinen Kopf. In solchen Situationen kann ich selbst dann auch viel schneller agieren, während ein Manager vielleicht sechs Monate braucht, um so einen Deal abzuschließen.
Viel Erfolg in deiner Doppelrolle als Fahrer und Manager!
Vielen Dank.
Dieses Interview mit Fabio Quartararo wurde ursprünglich in Ausgabe 94 unseres Print-Magazins veröffentlicht. Auf den Geschmack gekommen? Hier kannst du dir unser neuestes Heft sichern!
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