"Das ist nicht gut für die gesamte Weltmeisterschaft. Es ist nur eine gute Idee, wenn sie die Rennen langweiliger machen wollen. Dann ist es eine sehr, sehr gute Idee sogar, weil du zwischen allen Bikes eine Sekunde Abstand sehen wirst", befürchtete Aleix Espargaro am Donnerstag vor dem MotoGP-Wochenende in Silverstone. Das Thema war die neue Regelung für den Mindestdruck der Reifen. Langweiliges Racing und eine Strafenflut drohten, so die Befürchtung.
Nur drei Tage später lieferte der Großbritannien GP das komplette Gegenteil. Espargaro gewann von Startplatz 12 aus, es wurde an allen Ecken und Enden überholt und nach dem Rennen erhielt kein einziger Fahrer eine Strafe, weil er den Mindestdruck der Reifen unterschritten hatte. Waren die Befürchtungen also viel Lärm um nichts? Oder blieb das Drama nur aufgrund besonderer Umstände aus?
Keine Gewissheit für Teams: MotoGP nimmt nur Stichproben
Die Teams sehen den Mindestdruck als deutlich zu hoch angesetzt. Sie gehen am liebsten so niedrig, wie nur irgend möglich. Sieger Espargaro bestätigte, dass Aprilia sich anpassen musste: "Wir fuhren in manchen Rennen sehr niedrig. Wenn es noch weniger gewesen wäre, hätte das Bike nicht eingelenkt. Der Reifen bewegt sich sehr stark. Der perfekte Druck für uns wäre unter dem Limit."
Haben sich neben Aprilia auch alle anderen Teams erfolgreich angepasst und so Strafen vermieden? Darauf kann keine definitive Antwort gegeben werden. Michelin-Sportdirektor Piero Taramasso bestätigte am Wochenende, dass entgegen der ursprünglichen Annahme nicht alle Fahrer kontrolliert wurden, sondern nur zufällige Stichproben erfolgten. Dass keine einzige dieser Stichproben zur Strafe führte, spricht dennoch für die Anpassung der Teams.
Kühle Temperaturen der Grund für niedrige Drücke? Bagnaia warnt vor Sturzgefahr
Oder es spricht für die Umstände. "Die Bedingungen mit den kalten Temperaturen ließen die Drücke im Vorderreifen nicht stark ansteigen", hatte Espargaro eine Erklärung parat. Tatsächlich könnten die Bedingungen das Bild verzehrt haben. Die Reifendrücke werden nur im Sprint und im Rennen gemessen. Der Sprint fand auf nasser Strecke statt, war also nicht repräsentativ. Im Rennen herrschten Asphalttemperaturen von etwa 24 Grad und eine Lufttemperatur von 16 Grad Celsius. Dazu kamen auch hier in der Schlussphase Regentropfen. Der drittplatzierte Brad Binder beschrieb die schwierigen Bedingungen: "Der Regen hat alles durcheinandergewirbelt. Es war so schwer zu verstehen, ob du pushen konntest oder nicht, ob es nass oder trocken war."
War das kühle britische Wetter zwar vielleicht mit ein Grund für die ausbleibenden Strafen, so machte es den Fahrern das Leben aber alles andere als einfach. Der zweitplatzierte Francesco Bagnaia vermutete negative Effekte der neuen Reifendruckregel: "Ich war nicht mit dem besten Gefühl für den Vorderreifen ausgestattet, da war ich am Limit. Es war aber die einzige Möglichkeit aufgrund der Kälte. Mit dieser neuen Regel brauchst du Spielraum an der Front und ich glaube, dass Bezzecchi deswegen Probleme hatte."
Marco Bezzecchi stürzte in Stowe, als er Bagnaia verfolgte. Der VR46-Pilot widersprach aber der Theorie des Weltmeisters: "Sicherlich helfen die Drücke in diesen Situationen nicht. Ich war schon einige Runden knapp hinter ihm. Aber ich glaube nicht, dass das in diesem Moment das Problem war." Bagnaia ist dennoch davon überzeugt, dass die neue Regel wenig hilfreich ist: "Selbst als ich in Front lag, war ich am Limit. Es macht es riskanter."
Silverstone-Rennen nicht repräsentativ
Normalerweise schießen die Drücke erst so richtig in die Höhe, wenn die Fahrer einem anderen dicht folgen. Bagnaia lag aber bis zur letzten Runde stetig in Führung und hatte somit frische Luft vor sich. Aufgrund der Bedingungen hatten seine Verfolger beim Hinterherfahren aber nicht nur Nachteile, wie es ansonsten der Fall ist. Sie konnten am Italiener erkennen, wo sie pushen können und wo nicht. Nicht umsonst lobte der siegreiche Espargaro den Weltmeister: "Pecco [Bagnaia] hat einen super Job gemacht. Es ist sehr schwer vorneweg zu fahren, wenn es zu regnen beginnt."
Viele der normalen Gesetzmäßigkeiten der MotoGP waren in Silverstone verschoben. Der Großbritannien GP scheint also noch keine klare Antwort auf die Frage der Mindestdrücke gegeben zu haben. Die Bedingungen in Silverstone könnten das Ausmaß der neuen Regel kaschiert haben. In diesem Fall würde der MotoGP in den nächsten Rennen ein böses Erwachen bevorstehen. Die Strecke in Spielberg (18. bis 20. August) ist ebenfalls immer wieder für Regenfälle gut, aber spätestens in Barcelona (1. bis 3. September) und in Misano (8. bis 10. September) dürften die Temperaturen deutlich höher sein.
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