Nach langem Hin und Her hat sich die MotoGP während der fünfwöchigen Sommerpause dazu entschieden, die lange angekündigte und immer wieder verschobene Mindestreifendruck-Regel für den Vorderreifen von Einheitshersteller Michelin ab dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone verbindlich einzuführen. Bei Unterschreitung der Minimaldrücke in Sprint oder Grand Prix drohen heftigen Zeitstrafen. Die MotoGP-Piloten reagierten am Medien-Donnerstag in Silverstone mit teils heftiger Kritik.
Ihre Hauptsorge ist dabei, dass das Racing in der Königsklasse künftig deutlich schlechter werden wird. Hintergrund ist die Tendenz des Michelin-Gummis, im Verkehr zu überhitzen, was zu Gripverlust und erhöhter Sturzgefahr führt. Außerdem wird das Überholen dadurch deutlich erschwert. Bisher tendierten die MotoGP-Teams deshalb dazu, mit recht geringen Reifendrücken zu starten, um solchen Problemen aus dem Weg zu gehen. In Zukunft wird das durch die Mindestwerte jetzt aber nicht mehr möglich sein.
"Wenn ich hinter einem anderen Fahrer bin, will ich nicht nah an ihm dranbleiben, ich muss Tempo rausnehmen. Ich kann nicht überholen, weil ich den Druck reduzieren muss", erwartet etwa Johann Zarco. Der Pramac-Pilot befürchtet deshalb, dass sich die MotoGP-Piloten künftig aus Zweikämpfen zurückziehen müssen, um den Reifen in sauberer Luft zu kühlen. Es kommt folglich zu weniger Duellen auf der Strecke und auch zu weniger Überholmanövern. Darin sieht Zarco eine große Gefahr: "Wir werden im Rennen zu Robotern - so wie das in der Formel 1 der Fall ist. Wir werden unsere Show verlieren."
Aleix Espargaro fürchtet: Rennen werden langweilig
Dem stimmt auch Aleix Espargaro zu: "Ich halte das für keine gute Idee. Und ich spreche dabei nicht für Aprilia, Ducati oder Yamaha. Das ist nicht gut für die gesamte Weltmeisterschaft. Es ist nur eine gute Idee, wenn sie die Rennen langweiliger machen wollen. Dann ist es eine sehr, sehr gute Idee sogar, weil du zwischen allen Bikes eine Sekunde Abstand sehen wirst - zu 100 Prozent." Weltmeister Francesco Bagnaia schließt sich an: "Es wird die Rennen verändern. Wenn der Druck zu hoch ist, stürzt du leicht. Um das zu verhindern, musst du langsamer fahren oder riskieren, bestraft zu werden."
Der WM-Führende sieht vor allem in der Zufälligkeit der Auswirkungen ein großes Problem: "Du kannst das nicht kontrollieren. Es hängt vollkommen davon ab, ob du führst oder hinter einem anderen Fahrer fährst." Auch VR46-Academykollege und WM-Rivale Marco Bezzecchi sieht darin eine Gefahr für die MotoGP-Piloten: "Die Rennen werden schwieriger, weil er [der Reifendruck, Anm.] sich nicht so einfach managen lässt. Wenn du zu hoch startest, können die Rennen schwer und gefährlich werden."
Mehr Sicherheit durch Mindestreifendruck? Im Gegenteil!
Doch warum führte die MotoGP überhaupt Mindestreifendrücke ein, wenn die Fahrer dem neuen Reglement durchweg kritisch gegenüberstehen? "Sie werden sagen, dass es für die Sicherheit ist", glaubt Zarco. "Es ist aber fast das Gegenteil: Wenn es zu warm und der Druck zu hoch wird, dann stürzen wir. Genau das ist mir dieses Jahr in Jerez passiert." Der Franzose kann die Entscheidung nicht nachvollziehen, besonders weil "wir schon gezeigt haben, dass ein geringer Reifendrück in der Front nicht gefährlich ist. Es gab bisher nie einen Reifenplatzer." Markenkollege Bagnaia schlägt in die gleiche Kerbe: "Es soll die Sicherheit erhöhen, aber ich glaube nicht, dass es dadurch sicherer wird. Wir hatten bisher nie Probleme mit dem Vorderreifendruck."
Ob sich die Befürchtungen der MotoGP-Fahrer bewahrheiten werden, zeigt sich spätestens am Samstagnachmittag, wenn die Mindestwerte im Sprint von Silverstone ein erstes Mal im Renntrimm angewendet werden müssen. Erledigt scheint die Reifendruck-Saga jedenfalls noch lange nicht. Schon am Donnerstag kündigten mehrere Fahrer an: "Wir müssen in der Safety Commission darüber sprechen."
diese MotoGP Nachricht