Der Artikel wurde in der 79. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 01. Juli 2021 veröffentlicht.

Heuchelei, Ignoranz und künstliche Empörung wird uns auf unserem YouTube-Kanal Motorsport-Magazin Motorrad vorgeworfen. Der Auslöser: Ein Video mit dem Titel "Schmutziges Geld: Ärger über Rossis neues MotoGP-Team 2022". Darin berichten wir über die Verstrickungen von Valentino Rossis VR46-Team mit der saudi-arabischen Herrscherfamilie, die international regelmäßig mit schockierenden Menschenrechtsverletzungen für traurige Schlagzeilen sorgt.

Mehr als 50.000 Menschen wollen den Clip sehen, nicht wenige von ihnen ihre Meinung in der Kommentarspalte dazu kundtun. Neben einigen Usern, die sich unserer Kritik über Valentino Rossis Deal mit Saudi-Arabien anschließen, postet dort eine wahre Meute von Verteidigern und Befürwortern dieser Kooperation. Sind die Fans von 'Il Dottore' nun Anhänger eines absolutistischen Regimes? Wohl kaum. Viele von ihnen sind aber Opfer von Sportswashing geworden, ohne es überhaupt zu bemerken. Wahrscheinlich sogar ohne je von Sportswashing gehört zu haben. Wovon sprechen wir also? Der Begriff setzt sich aus den Worten Sport und Whitewashing, zu Deutsch Schönfärberei, zusammen. Der Plan dahinter: Staaten, Organisationen oder Unternehmen nutzen Sportveranstaltungen, Teams oder Athleten, um ihr Image via Sponsoring respektive Austragung von Events aufzupolieren und von Verfehlungen abzulenken. Die Idee ist keinesfalls neu, man denke nur an die Fußball-Weltmeisterschaft 1934 im faschistischen Italien oder die Olympischen Sommerspiele 1936 in Nazi-Deutschland. In den vergangenen Jahren hat dieses System die Sportwelt aber mit einer derartigen Wucht überrollt, dass kaum mehr ein Bereich davon unberührt blieb. Der Fußball wird finanziell mittlerweile fast ausschließlich von der arabischen Welt beherrscht, die Formel 1 zieht es nach Bahrain, Russland oder in die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch die MotoGP scheut sich nicht davor, fürstliche Summen aus Katar anzunehmen, um dort Jahr für Jahr den Saisonstart auszutragen.

Katar zahlt seit Jahren Millionen an die MotoGP, Foto: LAT Images
Katar zahlt seit Jahren Millionen an die MotoGP, Foto: LAT Images

Auf all diese Beispiele verweisen die verärgerten User. Und ja, Valentino Rossi ist mit seinem dubiosen Deal keinesfalls alleine. Ducati-Hauptsponsor Lenovo ist eng mit der chinesischen Regierung verbunden, der ebenfalls ein bedenkliches Verhältnis zu Menschenrechten attestiert werden muss. Vor der Lenovo-Partnerschaft warb Ducati für 'Mission Winnow'. Eine Kampagne des Tabakgiganten Philip Morris für eine - kein Spaß - rauchfreie Zukunft. Beste, oder viel mehr schlechteste Gesellschaft also für Superstar Rossi. Der soll deshalb an dieser Stelle auch nicht als schwarzes Schaf in einer Herde von Unschuldslämmern gebrandmarkt werden. Vielmehr soll an seinem Projekt und seiner Person verdeutlicht werden, wie weit Sportwashing geht. Denn selten zuvor wurde so gut sichtbar, welche Menschen mittlerweile Einfluss in unseren geliebten Sport gewinnen. Betrachten wir Rossis Saudi-Deal also genauer.

Valentino Rossi wird 2022 erstmals sein eigenes MotoGP-Team an den Start bringen, nachdem man 2014 in der Moto3 auf WM-Niveau debütierte und 2018 in die Moto2 expandierte. Der Einstieg in die Königsklasse wurde bereits mit der laufenden Saison vorbereitet, fährt Luca Marini im Avintia-Team schließlich bereits mit Sky-VR46-Lackierung und wird offiziell auch als Fahrer von Sky VR46 Avintia geführt. Für ein vollwertiges Engagement mit zwei Piloten in der MotoGP hätte der finanzielle Support des Pay-TV-Anbieters und bisherigen Hauptsponsors Sky nicht gereicht, beteuert Rossi. Daraufhin machten sich die wirtschaftlich Verantwortlichen des VR46-Imperiums auf die Suche nach alternativen Geldgebern. Gefunden hat man die nun eben in Form eines Konstrukts in Saudi-Arabien. Wichtigster Teil davon: Aramco. Ein Name, der Motorsportfans bereits ein Begriff sein dürfte. Auch Formel 1 und Formel E werben an ihren Rennstrecken für die Marke. Dahinter steckt nicht weniger als das wertvollste Unternehmen der Welt. Bei Aramco handelt es sich nämlich um die staatliche Erdölfördergesellschaft Saudi-Arabiens. Unternehmenswert: Mehr als 2 Billionen US-Dollar. Aramco ist ein Teil der 'Vision 2030'. Ein Programm unter der Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman mit dem Ziel, die saudische Wirtschaft weniger abhängig von den begrenzten Erdöl- und Erdgasreserven zu machen. Stattdessen will man Saudi-Arabien als weltoffene Tourismusnation platzieren. Um die dafür nötigen Investitionen zu refinanzieren, sollen in den nächsten Jahren bis zu fünf Prozent von Aramco an ausländische Investoren verkauft werden. Hier kommen Formel 1, Formel E und Valentino Rossi ins Spiel. 'Il Dottore' gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen muss Saudi-Arabien sein internationales Image aufpolieren, will man es westlichen Unternehmen ermöglichen, ohne öffentliche Ächtung im eigenen Land Geld bei Aramco zu investieren. Nur so kann man die milliardenschweren Anteile an den Mann (auf die Verwendung des Wortes 'Frau' wird an dieser Stelle aus Rücksicht auf die Gepflogenheiten des Königshauses verzichtet) bringen. Eine weitere wichtige Aufgabe kommt Rossi im Aufbau des saudi-arabischen Tourismus zu. Dieser soll in der Zeit nach fossilen Brennstoffen eine der Haupteinnahmequellen des Landes sein. Den Gästen will man in auf dem Reißbrett geplanten Städten wie Neom einzigartige Attraktionen bieten. Eine davon: Ein VR46-Vergnügungspark nach Vorbild der Ferrari World in Abu Dhabi. "Ich habe mich im Juni 2019 erstmals mit Marco Bernardini, einem von Kronprinz Mohammed bin Salman sehr geschätzten Architekten getroffen", erklärt VR46-Geschäftsführer Alberto Tebaldi. "Wir haben über den Bau des VR46-Vergnügungsparks nachgedacht und haben dann über eine Reihe von Synergien gesprochen. Am Ende sind wir zur Erkenntnis gekommen, dass es schön wäre, dieses Commitment auch auf einer sportlichen Ebene zu teilen."

Aramco ist in der Formel 1 omnipräsent, Foto: LAT Images
Aramco ist in der Formel 1 omnipräsent, Foto: LAT Images

Dass es zunehmend schwieriger wird, Sponsoren für Motorsport zu begeistern, ist Fakt. Die Corona-Krise mit ihren ökonomischen Nachwehen ist da keine Hilfe. Rossi und seine Statthalter rund um Alberto Tebaldi hätten also keine andere Wahl gehabt, als eine unheilige Allianz mit dem saudischen Königshaus einzugehen, argumentieren dementsprechend seine Unterstützer. Dass es ausgerechnet für ein Team unter der Führung des populärsten Motorradrennfahrers in der Geschichte des Sports nicht möglich ist, moralisch zumindest einigermaßen vertretbare Sponsoren zu finden, ist allerdings nur sehr schwer zu glauben. Tech3, LCR oder Pramac gelingt das ohne schillernde Persönlichkeiten an der Spitze ebenfalls, teilweise bereits seit Jahrzehnten.

Dass Rossi die Brisanz des Deals durchaus bewusst ist, wurde schnell klar. Nur einen Tag nach der Bekanntgabe wurde er im Zuge seiner Medienrunde vor dem Spanien-Grand-Prix erstmals über die Sponsorvereinbarung mit Saudi-Arabien befragt. Rossi, normalerweise stets mit bestem Einblick in alle Bereiche seines VR46-Imperiums, wälzte die Verantwortung auf seinen Kreis von Vertrauten bei VR46 ab. "Ich bin in erster Linie Fahrer und muss mich darauf konzentrieren. Ich war in diesen Deal nicht direkt involviert, für so etwas habe ich meine Leute", erklärte er. In der Medienrunde von Halbbruder und Sky-VR46-Pilot Luca Marini waren Fragen bezüglich der pikanten Kooperation sogar völlig verboten. Der MotoGP-Rookie gab lediglich ein vorgefertigtes Statement zum Besten, in dem er seine Freude über den Deal ausdrückte. Valentino Rossi ist der größte und einflussreichste Fahrer in mehr als sieben Jahrzehnten Motorrad-Weltmeisterschaft. Ihre aktuell gewaltige Popularität ist auch sein Verdienst. Rossi begeistert seit Mitte der 90er Jahre Zweiradfans rund um den Erdball. Dafür gebührt ihm Respekt. In dieser Zeit trat 'Il Dottore' oft auch als Pilot auf, der im Renngeschehen die Grenzen der Legalität auslotete und auch vor psychologischen Attacken gegen seine Rivalen nicht zurückscheute. All das ist nicht verwerflich, sondern macht einen Champion vom Format eines Valentino Rossi aus. Außerhalb des Rennsports zeigte er sich aber stets als menschlich ehrenwerte Person, die das Herz am rechten Fleck trägt. Dass sich Rossi als einer der reichsten Sportler aller Zeiten nun ohne Not als Werbefigur eines autoritären Regimes einspannen lässt, darf und muss man ihm aber ankreiden. Auch wenn das so manchem Rossi-Ultra nicht schmeckt.

Mit Nachtrennen sorgen die Saudis für spektakuläre Bilder, Foto: LAT Images
Mit Nachtrennen sorgen die Saudis für spektakuläre Bilder, Foto: LAT Images

Übrigens: Viele Fans fragten im eingangs erwähnten Video, warum wir bei der Kritik an Rossi und seinem Deal nicht auch über US-Kriege oder deutsche Waffenexporte berichten. Die Antwort ist simpel. Das ist nicht Aufgabe eines Motorsportmediums. Wenn sich einer der wichtigsten Akteure unseres Kerngebietes in ein moralisch derart bedenkliches Umfeld begibt, sehen wir die Information und Aufklärung darüber sehr wohl als unsere Pflicht. MotoGP, das bedeutet eben nicht nur geniales Racing und geile Motorräder. Auch dunkle Machenschaften sind Teil dieses Zirkus. Den kann man lieben und die Schattenseiten dennoch kritisieren.

Rossis Geschäftspartner: Mister Bone Saw

Valentino Rossis Aramco-Deal wurde durch die 'Vision 2030' von Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud möglich. Der ist stellvertretender Premierminister sowie stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats, des Verteidigungsministers und des Vorsitzenden des Rats für Wirtschaft und Entwicklung in Saudi-Arabien. Mit seinen gesellschaftspolitischen und ökonomischen Reformen sorgte er international für Aufsehen. Experten sehen diese grundsätzlich begrüßenswerten Schritte vorranging als Image-Maßnahmen, vergleichbar eben mit den betriebenen Sportwashing-Projekten. Fakt ist: Frauenrechte etwa sind in Saudi-Arabien nach wie vor massiv eingeschränkt. Frauen dürfen nicht ohne Zustimmung ihres männlichen Vormunds heiraten. Auch dürfen sie nicht ihre Zustimmung zur Vermählung ihrer Kinder geben. Frauen dürfen nicht ihre eigene Meinung äußern. Umso weniger, wenn sie sich nicht mit der des Herrscherhauses deckt. So wurden beispielsweise 2018 die wichtigsten Frauenrechtlerinnen des Landes in einer Verhaftungswelle willkürlich weggesperrt. Es folgte eine Hetzkampagne in den Staatsmedien, in der den Aktivistinnen Verrat vorgeworfen wurde. Des Weiteren dürfen Frauen nicht ohne ihren männlichen Vormund vor Gericht erscheinen und ohne dessen Zustimmung auch nicht aus dem Gefängnis entlassen werden. Die in manchen Bereichen abgeschaffte Geschlechtertrennung gilt beispielsweise immer noch an Universitäten: Frauen dürfen nicht zusammen mit Männern studieren, die Vorlesungen werden geteilt abgehalten. Für internationale Entrüstung sorgte Kronprinz Mohammed bin Salman im Jahr 2018. Da wurde der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi in Istanbul ermordet. Als großer Kritiker des Kronprinzen lebte Khashoggi zu diesem Zeitpunkt bereits in den USA und war unter anderem als Kolumnist für die Washington Post tätig. Am 2. Oktober suchte Khashoggi das saudi-arabische Konsulat in Istanbul auf, um Dokumente für seine Heirat zu organisieren. Für seinen Aufenthalt wurde ihm von offizieller Seite Sicherheit gewährt. Auf dem Grundstück des Konsulats soll der Journalist getötet, zerstückelt und anschließend in Säure aufgelöst worden sein. Mohammed bin Salman wollte ihn zuvor zur Rückkehr nach Saudi-Arabien bewegen, wo Khashoggi verhaftet werden sollte. MBS, das Namenskürzel des Kronprinzen, wurde daraufhin sarkastisch zur Abkürzung für Mister Bone Saw, zu Deutsch also Herr Knochensäge.

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