Marc Marquez erweist sich immer mehr als Spezialist für schwierige Rennen. Im Chaos von Flag-to-Flag-Rennen behält er meist den besten Überblick. So siegte er in Misano 2015 ebenso wie am Sachsenring im Vorjahr und am vergangenen Sonntag in Brünn. Durch eine goldrichtige Entscheidung holte er sich beim Motorradwechsel den Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

Warum Marquez' Taktik bei anderen Fahrern richtig in die Hose ging und wieso Valentino Rossi als eigentlich schnellster Fahrer des Rennens nicht einmal auf dem Podium stand, zeigt die Rennanalyse:

Startphase: Lorenzo top, Marquez ein Flop

Die noch nasse Strecke und die gleichzeitig abziehenden Regenwolken machten allen in der Startaufstellung klar, dass es in Brünn wohl zu einem Flag-to-Flag-Rennen kommen wird. Marc Marquez wechselte aus taktischen Gründen als einziger Fahrer im Grid auf den weichen Regen-Hinterreifen. "Mein Plan war es, damit vier oder fünf Runden voll zu pushen und dann hereinzukommen", sagte Marquez.

Die Taktik von Marquez ging aber komplett nach hinten los. Von der Pole Position wurde er rasch durchgereicht und lag gegen Ende der zweiten Runde nur noch auf dem zehnten Platz. Ganz anders hingegen Jorge Lorenzo, der nicht nur von Startplatz 6 die Führung übernahm, sondern nach zwei Runden auch schon eineinhalb Sekunden Vorsprung auf den Rest des Feldes herausgefahren hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt wurde es richtig hektisch.

Die entscheidende Phase: Boxenstopps

Alle Fahrer starteten auf Regenreifen, doch schon in den ersten Kurven wurde vielen klar, dass der Asphalt rasch auftrocknete. Bereits in der zweiten Runde entschieden sich daher einige Fahrer, die Box zum Motorradwechsel anzusteuern. Den Auftakt machte Marc Marquez, der bei der letzten Zwischenzeit vor seinem Stopp bereits dreieinhalb Sekunden auf Lorenzo verloren hatte und nur auf P10 lag. Ihm folgten Jonas Folger (12.), Jack Miller (14.), Pol Espargaro (15.) und Bradley Smith (22.). Diese Fahrer hatten zu diesem Zeitpunkt nichts zu verlieren.

Marquez machte seine schon vor dem Rennen zurechtgelegte Strategie - mit dem Soft-Regenhinterreifen nur wenige Runden zu fahren - die Arbeit einfach. Als er nach zwei Runden an die Box kam, wartete seine Zweit-Honda bereits perfekt vorbereitet auf Slicks auf ihn. Zwischen letzter Zwischenzeit vor dem Boxenstopp und erster Zwischenzeit danach vergingen bei Marquez nur 1:18,643 Minuten (in der MotoGP werden weder Standzeit, noch Boxendurchfahrtszeit gemessen - daher sind die Sektorzeiten das einzige Hilfsmittel bei der Bestimmung von Boxenstoppzeiten).

Bei seinen ebenfalls in der zweiten Runde gestoppten Kollegen dauerte die Wechselphase deutlich länger: 1:26,974 bei Pol Espargaro, 1:27,169 bei Miller und 1:34,860 bei Bradley Smith. Reibungslos lief der frühe Motorrad-Wechsel also nur bei Marc Marquez ab. Am schlimmsten erwischte es aus dem in Runde zwei gestoppten Quintett aber Jonas Folger: Da dessen Motorrad noch nicht einsatzbereit war, winkte ihn seine Crew durch die Boxengasse nur um eine Runde später endlich den ersehnten Wechsel durchzuführen. "Das war im Grunde wie eine Durchfahrtsstrafe", erklärte Folger nach dem Rennen.

Sofort sahen alle Beteiligten, dass die Strategie von Marquez aufging. Aus diesem Grund kamen in der dritten Runde Aleix Espargaro, Karel Abraham, Scott Redding, Sam Lowes, Andrea Iannone und Hector Barbera an die Box, während die Fahrer im vorderen Feld noch immer draußen blieben. Erst in der vierten Runde wagten sich Maverick Vinales und Dani Pedrosa zum Wechsel, ihnen folgten Cal Crutchlow, Danilo Petrucci, Alex Rins, Tito Rabat, Loris Baz, Alvaro Bautista und Jorge Lorenzo.

Obwohl erst in Runde vier an der Box, war Lorenzos Crew mit der Vorbereitung des Motorrads noch immer nicht fertig, weshalb er wichtige Sekunden mit der Wartezeit an der Box verlor. Anderen erging es in der hektischen Phase aber noch schlimmer: Iannone wurde von Aleix Espargaro in der Boxengasse geschnitten und kam dabei zu Sturz, Barbera musste zweimal das Motorrad wechseln und verlor samt Wartezeit auf seine Ingenieure über eine Runde.

Viele Fahrer hatten das Rennen schon nach den ersten vier Runden verloren, weil im Chaos der frühen Motorradwechsel etwas schief ging. Nach vier Runden waren nur noch drei Fahrer auf den Regenreifen vom Start unterwegs: Andrea Dovizioso, Valentino Rossi und Johann Zarco. Die beiden WM-Aspiranten kamen in Runde fünf, Zarco als Letzter in der sechsten Runde. Das Feld war zu diesem Zeitpunkt komplett durcheinander gewirbelt.

Gesamtzeit zwischen letzte Zwischenzeit Lap 2 und Lap 7:

Pos.FahrerZeit/RückstandRunde des Stopps
1.Marc Marquez10:41,683 2
2.Karel Abraham+16,918 3
3.Scott Redding+18,603 3
4.Aleix Espargaro+19,147 3
5.Alex Rins+21,861 4
...
7.Dani Pedrosa+22,911 4
10.Maverick Vinales+25,409 4
15.Andrea Dovizioso+31,219 5
16.Valentino Rossi+31,329 5
19.Johann Zarco+35,221 6
20.Jonas Folger+39,183 2/3
21.Jorge Lorenzo+41,841 4

Zwischen letzter Zwischenzeit der zweiten Runde (also unmittelbar vor Marquez' Boxenstopp) und Ende der siebenten Runde (Zarcos Outlap) hatte Marquez nicht weniger als 16,918 Sekunden auf seinen ersten Verfolger herausgefahren. Die in der dritten Runde Gestoppten Karel Abraham, Scott Redding und Aleix Espargaro waren die zweitgrößten Profiteure der Boxenstopp-Phase. Der spätere Zweite Pedrosa hatte 22,911 Sekunden auf Marquez eingebüßt, Rossi und Dovizioso - die erst in Runde fünf kamen - sogar 31 Sekunden. Zarco holte mit seinem späten Stopp immer noch vier Sekunden auf Folger auf, der gemeinsam mit Lorenzo zu den größten Verlierern dieser Phase zählte.

Das zweite Rennen

Ab Runde acht waren die Positonen sortiert und es begann das eigentlich Rennen zur Ziellinie. Die Ausgangsposition war kurios: Marquez lag vor den Außenseitern Aleix Espargaro, Redding und Abraham in Führung, während die vormaligen Sieganwärter Rossi und Dovizioso nur auf 13 und 14 rangierten. Im Vergleich dazu waren Pedrosa (5.) und Vinales (9.) noch in komfortabler Situation. Dieser Vorsprung auf das Duo Rossi/Dovizioso verhalf ihnen letztlich zum Sprung auf das Podium.

Pedrosa war zudem ab Runde acht der schnellste Mann im gesamten Feld. Marc Marquez nahm er bis zum Zieleinlauf 9,630 Sekunden ab. Valentino Rossi war nur unwesentlich langsamer als Pedrosa, musste sich im Kampf um den letzten Podesplatz aber seinem Teamkollegen Vinales letztlich um knapp über zwei Sekunden geschlagen geben.

Besonders bitter fällt der Blick auf die Zeitentabelle ab Runde acht für Jonas Folger aus: Der war hinter Pedrosa und Vinales in den letzten zwei Renndritteln nämlich der drittschnellste Fahrer im Feld. Der Fehler seiner Crew beim Boxenstopp beraubte ihn aber jeder Chance, nach dem Sachsenring erneut um einen Podestplatz zu kämpfen.

Die Gesamtzeit zwischen Runde 8 und Zieleinlauf:

Pos.FahrerZeit/Rückstand
1.Dani Pedrosa 29:21,671
2.Valentino Rossi+0,776
3.Jonas Folger+2,906
4.Andrea Dovizioso+3,108
5.Maverick Vinales+3,470
...
7.Marc Marquez+9,630
8.Johann Zarco+10,295
11.Jorge Lorenzo+11,765

Wer hatte den schnellsten Motorradwechsel?

Ein interessanter Aspekt bei Flag-to-Flag-Rennen ist die Dauer der Boxenstopps. In der MotoGP wird zwar weder Standzeit, noch die Zeit der Boxengassendurchfahrt gemessen. Die addierte Zeit aus letztem Sektor der Inlap und erstem Sektor der Outlap gibt aber einen ungefähren Überblick über das Tempo des jeweiligen Boxenstopps.

Der schnellste Wechsel gelang Johann Zarco, der die beiden entsprechenden Sektoren in einer Zeit von 1:15,926 passierte. Der Franzose kam als Letzter, weshalb er seine Zeit vor und nach der Boxengasse auch auf deutlich trockenerem und wärmerem Asphalt fahren konnte.

Die schnellsten Stopps (Zeit letzter Sektor der Inlap plus erster Sektor der Outlap):

Pos.FahrerZeitRunde des Stopps
1.Johann Zarco1:15,9266
2.Alex Rins1:17,6934
3.Dani Pedrosa1:17,8133
......
6.Valentino Rossi1:18,4135
9.Marc Marquez1:18,6432
14.Maverick Vinales1:20,4664
16.Jonas Folger1:20,9963

Dennoch: 1,7 Sekunden Vorsprung auf den zweitschnellsten Stopper, Alex Rins, sind schon beeindruckend. Folger darf sich angesichts dieser Tatsache erneut ärgern, denn bei Zarco hat die Tech3-Crew bewiesen, dass man Motorradwechsel mit entsprechendem Vorlauf sehr wohl perfekt erledigen kann. Folgers tatsächliche Stoppzeit in der dritten Runde war mit 1:20,996 mäßig.

Applaus hat sich hingegen Hondas Werksteam verdient. Nicht nur, dass bei Marc Marquez früh alles für den Motorradwechsel fertig war, sowohl seiner als auch der Stopp von Dani Pedrosa liefen schnell, glatt und sauber über die Bühne. Zurecht durfte man sich am Ende über einen Doppelsieg freuen.