Jonas Folger steht auf der Terrasse des monumentalen Boxengebäudes von Le Mans. Sein Blick schweift über die legendäre Strecke und das Fahrerlager der MotoGP, das an diesem Abend von den letzten Sonnenstrahlen gestreift wird. Der Lärm der Fans dringt nur als leises Rauschen hier herauf. Es ist ein ungewöhnlich ruhiger, ja beinahe idyllischer Moment an einem sonst so lauten und hektischen Rennwochenende.

Folger wirkt glücklich, entspannt, beinahe schwerelos. Am liebsten würde er wohl gerade die gesamte Welt umarmen. Denn für ihn hat sich an diesem Donnerstag in Frankreich gerade eben der Wunsch erfüllt, den tausende Motorradpiloten rund um den Erdball hegen und der vielen ein Leben lang verwehrt bleibt. Jonas Folger fährt 2017 in der MotoGP. Er ist auf dem Olymp des Zweiradsports angekommen. Endlich!

Überschwängliche Freude bei Folger nach Bekanntgabe

Bei der PK in Le Mans wurde Folgers Aufstieg bekannt gegeben, Foto: Dynavolt Intact GP
Bei der PK in Le Mans wurde Folgers Aufstieg bekannt gegeben, Foto: Dynavolt Intact GP

In der ersten Pressekonferenz nach Bekanntgabe seines Aufstiegs in die Königsklasse wird er von Valentino Rossi, Jorge Lorenzo oder Marc Marquez noch beglückwünscht. In wenigen Monaten wird er auf der Strecke gegen die Superstars um jeden Zentimeter kämpfen, wenn er für das Team von Tech3-Yamaha seine erste MotoGP-Saison bestreitet. Folger und Tech3 - das ist eine Partnerschaft, die es schon vor einiger Zeit geben hätte können.

Tech3-Boss Herve Poncharal wollte Folger bereits 2014 vom AGR-Team in die Königsklasse holen, doch damals kam der Deal nicht zustande. Vertragsmodalitäten standen im Weg. Nun legte Folger, mittlerweile mit Intact GP für ein neues Team unterwegs und mit Rhys Edwards von einem neuen Manager betreut, niemand mehr Steine in den Weg. Als zu diesem Zeitpunkt erst fünfter Fahrer nach Valentino Rossi, Jorge Lorenzo, Bradley Smith und Sam Lowes darf sich der Mann mit der Startnummer 94 nun über einen MotoGP-Vertrag für das Jahr 2017 freuen.

"Ich bin wahnsinnig glücklich", sind die ersten Worte Folgers, als ihn Motorsport-Magazin.com kurz nach der Bekanntgabe in Le Mans als erstes Medium zum Interview trifft. "Die MotoGP ist der Traum aller Fahrer und für mich wird er jetzt wahr. Ich kann es ehrlich gesagt noch gar nicht glauben." Der Aufstieg in die Königsklasse ist für Folger aber Realität. Und mit Tech3 fährt er 2017 für das erfolgreichste Privatteam der jüngsten Vergangenheit.

Tech3 gutes Pflaster für MotoGP-Rookies

In den vergangenen vier Jahren lag das Team in der Gesamtwertung stets auf dem ersten Platz hinter den Factory-Teams, teilweise sogar mitten drin. Mit Andrea Dovizioso, Cal Crutchlow, Pol Espargaro und Bradley Smith stellte der Rennstall in jedem Jahr den besten Privatfahrer. Für Crutchlow, Espargaro und Smith war Tech3 ebenfalls die erste Station in der Königsklasse. Diese drei Piloten schafften es von dort aus bis in Werksteams - Crutchlow 2014 zu Ducati und Smith und Espargaro im kommenden Jahr zu KTM.

Tech3 also als ideales Sprungbrett, um in der MotoGP ganz groß rauszukommen - auch für Folger. "Es ist extrem wichtig für mich, dass so ein Team wie Tech3 an mich glaubt", bestätigt er. Generell sei seine Entscheidung durchaus auch eine emotionale gewesen, so Folger, der auch Angebote von KTM oder Honda hatte: "Ich kenne Herve schon sehr lange. Er hat mir immer gesagt, dass ich sein Wunschpilot bin und dass er mich irgendwann in sein Team holt. Jetzt hat sich gezeigt, dass er das ernst gemeint hat. Insofern hat es von meinem Bauchgefühl her einfach Sinn gemacht, zu Tech3 zu gehen."

Ganz ähnliche Worte findet Teamchef Poncharal, wenn es um die Verpflichtung von Folger geht. "Ich glaube, dass Jonas sehr gut in unser Team passen und auf der M1 richtig schnell sein wird. Warum kann ich nicht sagen", so Poncharal. Ein paar Überlegungen scheint er aber doch angestellt zu haben: "Natürlich denke ich, dass sein Fahrstil gut ist. Er könnte auf der Yamaha sehr effizient sein. Außerdem ist er noch ziemlich jung, hat aber doch schon eine Menge Erfahrung. Vor allem aber sind wir bei Tech3 eine Familie und da passt Jonas mit seinem Charakter perfekt hinein."

Bodenständiger Bayer

Bei Tech3 findet Folger Top-Material und eine familiäre Atmosphäre vor, Foto: Tobias Linke
Bei Tech3 findet Folger Top-Material und eine familiäre Atmosphäre vor, Foto: Tobias Linke

Tatsächlich zählt Folger innerhalb des Paddocks zu den beliebtesten Piloten - bei Fahrerkollegen, Teampersonal und auch Journalisten. Er ist bodenständig, ehrlich, geradlinig. Werte, die auch in der knallharten MotoGP geschätzt werden. "Ich bin schon eher ein ruhiger Kerl und ich glaube, dass das die Leute auch mögen", schmunzelt Folger. "Es gibt ja auch auf meinem Niveau schon Fahrer, die meinen, sie müssten sich wie Superstars benehmen." Moto2-Kollege Alex Rins etwa stellte gegenüber interessierten Teams aus der MotoGP klar, dass für ihn nur ein direkter Aufstieg in ein Werksteam in Frage komme - was ihm schließlich durch den Suzuki-Deal auch gelang.

Eine Überlegung, die Folger nicht nachvollziehen kann. Er sieht das Yamaha-Kundenteam als idealen Einstieg in die Königsklasse, abseits des großen Rampenlichts. "Man hat in der MotoGP ohnehin genug Verantwortung und Druck", überlegt Folger. Außerdem sei Tech3 kaum weniger konkurrenzfähig als die Factory-Teams anderer Hersteller: "Ich werde dort Werksunterstützung haben und das gleiche Bike bekommen, das Rossi und Lorenzo in diesem Jahr fahren. Wenn es neue Teile gibt, wie jetzt etwa die Winglets, dann kriegt die Tech3 auch sofort. Das Team ist da also echt top aufgestellt. Ich glaube, mir hätte nichts Besseres passieren können."

Die Rolle des Alters

Sein zukünftiges Team ist bereit, aber ist es auch Jonas Folger? Er zählt ohne Zweifel zu den besten Fahrern in der Moto2 und gewinnt dort auch regelmäßig Rennen. Dominieren, wie etwa Johann Zarco im Vorjahr, konnte er die Serie aber noch nicht. Dafür hat Folger ein anderes Ass im Ärmel, und zwar bereits große Erfahrung trotz geringen Alters. Mit neun Saisons in der Motorrad-Weltmeisterschaft auf dem Buckel wird er 2017 in die MotoGP kommen. Und das im Alter von dann erst 23 Jahren! Von den derzeitigen Piloten der Königsklasse sind mit Jack Miller und Maverick Vinales nur zwei jünger als Folger.

Es ist kein Geheimnis, dass die Entscheidungsträger in der MotoGP ihre Fahrer mittlerweile auch stark nach dem Alter auswählen, vor allem auch seit Piloten wie Vinales oder Marc Marquez bewiesen haben, dass es so etwas wie zu junge MotoGP-Fahrer eigentlich nicht gibt. Ist ein gewisses Alter erst einmal erreicht, wird es für jeden Piloten schwierig, den Sprung in die Königsklasse noch zu schaffen. "Alle erfolgreichen Fahrer sind sehr rasch in die MotoGP gekommen, teilweise sogar noch deutlich früher als ich", gibt Folger zu bedenken. "Irgendwann muss man den Schritt einfach wagen. Zu lange zu warten, kann gefährlich sein. Wenn man mit 25 Jahren in der Moto2 vorne mitfährt, 18-Jährige aber gleich gut sind, dann wird ziemlich sicher der Jüngere bevorzugt."

Respekt vor MotoGP

Doch egal in welchem Alter, der Umstieg von der Moto2 in die MotoGP wird immer ein großer sein. Die 140-PS-Maschinen der mittleren Klasse werden gegen Prototypen mit weit über 250 Pferdestärken eingetauscht. Hinzu kommt ein deutlich höheres Gewicht, andere Reifen und das trotz Einheitssoftware von Magneti Marelli nach wie vor unheimlich komplexe Thema der Elektronik. Mit all diesen Dingen setzte sich Folger erstmals bei den Testfahrten nach dem Saisonfinale 2016 in Valencia auseinander, Gedanken machte er sich aber schon nach erfolgter Aufstiegsmeldung in Le Mans.

"Ich habe echt riesigen Respekt vor dieser MotoGP-Maschine", gestand er damals. "Ich kann noch gar nicht wirklich einschätzen, was das für ein Gefühl sein wird, wenn ich zum ersten Mal auf die M1 steige. Für mich heißt es da einfach möglichst entspannt bleiben und das Motorrad schnell kennenzulernen." Neben einer Menge Respekt ist aber natürlich auch die Vorfreude bei Folger groß: "Das ist das allergrößte, was man als Motorradfahrer schaffen kann. Ich freue mich riesig darauf."

Das richtige Training ist das A&O für Folger

In der Vergangenheit hatten die Rookies der Königsklasse fast durchwegs Probleme, mit den körperlichen Belastungen beim Fahren einer MotoGP-Maschine zurechtzukommen. Ein derartiges Motorrad benötigt mehr Kraftaufwand beim Umlegen, beim Beschleunigen und vor allem auch beim Anbremsen. Die Carbonbremsen der MotoGP sind mit den herkömmlichen Stahlelementen der Moto2 in keinster Weise vergleichbar. Doch erst nach den Testfahrten im November in Valencia wird mit der körperlichen Vorbereitung auf das Abenteuer MotoGP begonnen. Bis dahin zeigen sich ja auch bereits die noch vorhandenen Schwachstellen. "Ich habe zum Glück wirklich gute Möglichkeiten, um mich im Winter in diesem Bereich zu verbessern", verrät Folger.

"Ich kann in Kalifornien in einer Einrichtung trainieren, wo schon mit vielen MotoGP-Fahrern wie Jorge Lorenzo oder einigen Supercross-Piloten gearbeitet wurde. Das werde ich mir auf jeden Fall ansehen, mir dort einen Trainingsplan erstellen lassen und möglichst viele Informationen mit nach Hause nehmen." Eine sinnvolle körperliche Vorbereitung sei nur mit derart professioneller Hilfe möglich, ist Folger überzeugt: "Wenn ich nur alleine zuhause trainiere, kann es durchaus passieren, dass ich etwas falsch mache. Dass ich beispielsweise viel in einen Bereich investiere, der mir beim Motorradfahren dann gar nichts hilft. Diese Leute wissen aber genau, was nötig ist und so kann ich sicher das Maximum für mich herausholen."