Es weht ein Hauch von Glanz und Glorie durch den etwas kargen Aufenthaltsraum hinter den Boxengebäuden, als Luca Marini sich mit Motorsport-Magazin.com zum Interview trifft. Die Körpergröße, das Auftreten und vor allem die Augenpartie machen klar: Durch diese Venen fließt das gleiche Blut wir durch die Adern von Valentino Rossi. Luca Marini kann die Verwandtschaft zu seinem prominenten Halbbruder (die beiden haben die gleiche Mutter) nicht abstreiten. Sowohl optisch, als auch bei der Stimmlage. Einzig die pfiffigen Antworten kommen ihm noch nicht so locker über die Lippen, wie dem um 18 Jahre älteren Halbbruder.

Verständlich, fährt Rossi doch schon länger in der Motorrad-WM als Luca überhaupt auf der Welt ist. Noch ist eine Zepter-Übergabe in der Dynastie aus Tavullia nicht absehbar, denn Valentino hat erst im März seinen Vertrag mit Yamaha bis Ende 2018 verlängert. Langfristig wird aber wohl Halbbruder Luca die Speerspitze seiner Familie in der WM bilden. Zu diesem Zweck gibt es für den Kronprinzen in der VR46 Rider Academy des noch regierenden Königs an der Seite von zehn weiteren italienischen Talenten eine der aktuell bestmöglichen Ausbildungen für höhere Weihen in der MotoGP.

Marini über Rossi und das schwere Erbe als Halbbruder

"Er steht uns ständig mit Rat und Tat zu Seite und nach seinen zwanzig Jahren in der Weltmeisterschaft kennt niemand dieses Business so gut wie er", ist Marini von der Qualität seiner Ausbildung überzeugt. Wie diese Vorbereitung für den Ernstfall der Thronübernahme konkret aussieht, wie sehr das gemeinsame Blut zum Erfolg verdammt und warum er sich den Gang in die knallharte Moto3 ersparte, darüber klärt Luca Marini im Interview auf:

MSM: Luca, als Halbbruder von Valentino Rossi kann man deinen Stammbaum als prominent bezeichnen. War deine Herkunft bisher für deine Karriere eher hilfreich oder ist es auch eine gewisse Belastung, der Halbbruder des vielleicht größten Motorradfahrers der Geschichte zu sein?
Luca Marini:
Natürlich ist es manchmal schwierig, mit so einem Background richtig umzugehen. Aber bisher hat es mir sicherlich mehr geholfen, als es mir geschadet hat. Wenn du so enge Kontakte zu einer derart begabten Person wie Valentino hast, dann hilft dir das dabei, dich jeden einzelnen Tag verbessern zu wollen. Du lernst ständig und in jeder Situation dazu. Das ist unglaublich wichtig für die eigene Entwicklung.

Luca Marini und seine Academy-Kollegen können von Rossi viel lernen, Foto: Forward Team
Luca Marini und seine Academy-Kollegen können von Rossi viel lernen, Foto: Forward Team

War der Kontakt zwischen dir und Valentino immer schon so eng?
Ja, seit ich mich zurückerinnern kann. Wobei sich unser Zusammenleben natürlich intensiviert hat seitdem ich Mitglied in der VR46 Rider Academy bin.

Großartige Stimmung in der VR46 Riders Academy

VR46 Academy ist ein gutes Stichwort. Gleich elf junge italienische Fahrer hat Rossi in dieser Saison unter seinen Fittichen. Wie sieht eure Arbeit in der Akademie eigentlich konkret aus?
An einem normalen Tag ohne Renneinsätze sind wir zuhause und arbeiten unseren Trainingsplan ab. Dieser besteht meistens aus vielen Einheiten im Fitnesscenter, weil der Motorradsport einem körperlich sehr viel abverlangt. Wir Academy-Rider trainieren in der Regel alle zusammen. Jeden Samstag geht es, insofern wir nicht ohnehin irgendwo Rennen fahren, auf die Moto Ranch und wir messen uns im Motocross oder Supermoto. An einem weiteren Tag in der Woche betreiben wir ebenfalls Motorsport. Es tut sich also recht viel.

Ihr verbringt also quasi eure gesamte Zeit abseits der Rennstrecke miteinander?
Nicht die gesamte, aber wir sind schon bei sehr vielen Aktivitäten gemeinsam unterwegs. Wir gehen zusammen ins Fitnessstudio und machen gemeinsam Motorsport. Der Großteil von uns Academy-Ridern lebt ja ohnehin in der Nähe von Tavullia. Balda (Lorenzo Baldassarri) und Pecco (Francesco Bagnaia), die aus anderen Regionen sind, haben sich nun zusammen ein Haus in der Nähe genommen. Pecco zum Beispiel ist extra für die Academy von Turin hierher gezogen.

Auf Rossis Ranch geht es ziemlich familiär zu, Foto: Yamaha
Auf Rossis Ranch geht es ziemlich familiär zu, Foto: Yamaha

Wie ist die Stimmung unter euch Fahrern in der Academy? Kann man eure Beziehung als Freundschaft bezeichnen oder dominiert doch die Rivalität, weil jeder der nächste italienische Held sein möchte?
Das kommt ganz auf die Situation an. Während des körperlichen Trainings gehen wir alle sehr freundschaftlich miteinander um. Das ist wichtig, um während der Schinderei im Fitnessstudio gute Stimmung aufrecht zu erhalten. Aber sobald wir auf der Moto Ranch gemeinsam auf die Strecke gehen, herrscht die gegenseitige Rivalität vor. Wir sind ja alle Rennfahrer und sobald bei uns der Helm auf dem Kopf ist, geht es nur noch darum, Erster zu werden. In dieser Hinsicht sind alle Rennfahrer auf dem gesamten Planeten gleich.

Wie sehr hilft dir die Academy bei deiner persönlichen Entwicklung?
Diese Institution ist eine riesige Chance für alle, die Teil davon sein dürfen. Es hilft einem, als Rennfahrer, aber auch als Mensch zu wachsen und sich stetig zu verbessern. Du lernst hier alle wichtigen Charakteristika, die du als MotoGP-Rider brauchst. Wir können alles zusammen ausprobieren und uns dabei gegenseitig pushen. Dass all das auch noch unter Aufsicht von Valentino Rossi geschieht, ist eine großartige Sache. Er steht uns ständig mit Rat und Tat zu Seite und nach seinen zwanzig Jahren in der Weltmeisterschaft kennt niemand dieses Business so gut wie er. Das ist die beste Hilfestellung, die man als junger Fahrer bekommen kann.

Wo siehst du als junger Rennfahrer aktuell deine Stärken?
Es ist immer sehr schwierig, so etwas selbst zu beurteilen. Aber wenn ich meine größte Stärke selbst einschätzen muss, sage ich das Anbremsen. Ja, in den Bremszonen bin ich eigentlich schon sehr stark.

Keine Erwartungshaltung

2016 konnte Luca Marini frei auffahren, Foto: Forward Racing
2016 konnte Luca Marini frei auffahren, Foto: Forward Racing

Du bist 2016 direkt in die Moto2-WM eingestiegen und hast den Moto3-Klassen auf nationalem Niveau schon mit 17 Jahren den Rücken gekehrt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Ich bin für die Moto3-Motorräder einfach zu groß. Deshalb habe ich mich nach Absprache mit meinem Bruder nach der Saison 2014 in der spanischen Meisterschaft früh zu einem Klassen-Wechsel entschlossen. Ich habe mich auf den Moto3-Bikes eigentlich immer sehr wohl gefühlt, aber gute Ergebnisse waren aufgrund meiner Größe stets schwierig. Die Entscheidung für die Moto2 war aber goldrichtig, wie mein fünfter Platz in der spanischen Meisterschaft im Vorjahr zeigt. Nun habe ich es mit 19 Jahren immerhin schon in die WM geschafft.

Hast du als Mitglied in einem derart prominenten Förderprogramm wie der VR46 Academy auch einen gewissen Leistungsdruck?
Ich habe genug Zeit, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Wie mein Team- und Akademie-Kollege Lorenzo Baldassarri habe ich beim Forward-Rennstall einen Zwei-Jahres-Vertrag. Ich muss also nicht schon im ersten Jahr alles zerreißen, sondern kann die Dinge ohne Hast angehen.

Wie sieht deine Zukunftsvision für deine Karriere aus? Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ach, soweit möchte ich noch gar nicht in die Zukunft schauen. Ich lebe im Hier und Jetzt und konzentriere mich rein auf meine Arbeit mit dem Forward Racing Team in der Moto2. Vielleicht schaue ich irgendwann einmal nach Optionen in der MotoGP, da das der normale Gedankengang bei jedem Fahrer in der WM sein sollte. Im Moment zählt für mich aber nur das Hier und Jetzt und mein Fokus liegt auf dem jeweils nächsten Grand Prix.

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