"Ein richtiger Champion ist nur derjenige, der auch unter Druck seine Leistung bringt", sagte Marc Marquez in Motegi nach seinem dritten WM-Titel. Es war sein bislang wichtigster Erfolg und derjenige, für den er am härtesten kämpfen musste. "2013 war ich Rookie und konnte alle Rennen unbekümmert angehen. Ich hatte keinerlei Druck. 2014 lief alles wie von alleine und ich eilte von Sieg zu Sieg."

Doch 2016 war alles anders. Der Wegfall der hauseigenen Elektronik und die neuen Michelin-Reifen setzten Honda mehr zu als allen anderen Herstellern. Zudem hatte Marquez mit zu vielen Stürzen im Jahr zuvor die WM verspielt und sich in Sepang und Valencia den Hass der mächtigen Rossi-Fanfraktion zugezogen.

"Der Druck zu Beginn der laufenden Saison war so hoch wie nie zuvor", gestand Marquez. "2015 habe ich zu viele Fehler gemacht und ich möchte auch nie wieder eine Saison in der Weise beenden, wie die letzte zu Ende ging. Letztes Jahr habe ich für meine Herangehensweise an die Rennen einen hohen Preis gezahlt." Daher musste Marquez etwas ändern.

Wie der vorzeitig eingefahrene WM-Titel beweist, ging die neue Strategie voll auf. Aus dem Sturzpiloten, der oft über sein Limit hinausschießt, wurde der konstanteste Fahrer im Feld. Zum ersten Mal in seiner Karriere könnte Marquez 2016 eine Saison ohne ein punkteloses Rennen beenden. In Motegi ließ er die Phasen der Saison 2016 noch einmal Revue passieren:

Phase 1: Überraschung bei Überseerennen

Die Wintertests hatten es für Marquez in sich: Viele Stürze, wenig berauschende Rundenzeiten und eine schwer zu bändigende Honda. "Das war der schwierigste Winter meiner Karriere", so Marquez. "Daher war auch der Saisonstart die schwierigste Zeit des gesamten Jahres. Ich habe mich gefühlt, als würde ich vor einem großen Abhang stehen, den ich irgendwie erklimmen muss."

Die Ergebnisse waren aber von Beginn an gut. In Katar sah man allen Fahrern deutlich an, das nach dem Reifenmarkenwechsel und aufgrund der neuen Elektronik nicht am vollen Limit agiert wird. Marquez kam als Dritter ins Ziel. In Argentinien und Austin folgten zwei Rennen mit vielen prominenten Ausfällen. Unter anderem erwischte es dort Jorge Lorenzo, Valentino Rossi, beide Ducati-Asse, Maverick Vinales aber auch Dani Pedrosa.

Wie die Jungfrau zum Kind - so fühlte sich Marquez' WM-Führung nach drei Rennen an, Foto: Repsol
Wie die Jungfrau zum Kind - so fühlte sich Marquez' WM-Führung nach drei Rennen an, Foto: Repsol

Marquez hingegen konnte beide Rennen gewinnen und kam plötzlich als WM-Leader zum ersten Europarennen nach Jerez. "Nach den beiden Siegen kam einer der Wendepunkte in der Meisterschaft, denn wenn du erst einmal führst, kannst du die Rennen ganz anders angehen. Du kannst dann auch zweite und dritte Plätze in Kauf nehmen", führte Marquez aus.

"Damals habe ich zu meinen Mechanikern und Ingenieuren gesagt: Ich glaube an euch. Ich werde jetzt meine Herangehensweise ändern, aber in der zweiten Hälfte der Saison müsst ihr mir helfen." Marquez meinte damit technische Verbesserungen, die er an seiner RC213V einforderte.

Phase 2: Rückschlag in Le Mans und die Lehren

Da diese noch ein wenig auf sich warten ließen, gestaltete sich der Europaauftakt in Jerez und Le Mans schwierig. Beim Spanien-GP gegen die beiden Yamaha chancenlos auf Platz drei, unterlief ihm beim Frankreich-GP sogar ein Missgeschick. Zum Glück fielen dort so viele Fahrer aus, dass Marquez trotz seines Sturzes drei Punkte mitnehmen konnte. Die WM-Führung war hingegen verloren.

"Ich habe dort mehr gepusht, als es das Limit des Bikes zugelassen hat. Ich habe das zwar gefühlt, dennoch diesen Fehler gemacht. Als ich die WM-Führung dadurch los war, wurde mir klar, dass ich aus dem verlorenen Titel des Vorjahres lernen musste und meine Einstellung komplett ändern müsste. Le Mans war sicherlich der Tiefpunkt der Saison."

"Ich habe mich nicht so stark gefühlt wie in den Jahren zuvor. Aber ich habe gesehen, dass auch die anderen Fahrer Fehler machen." So verzichtete Marquez ab diesem Zeitpunkt auf Attacken, die mit hohem Risiko verbunden waren. Und so nahm er in Mugello, Barcelona und Assen jeweils zweite Plätze mit.

In Barcelona folgte Marquez Rossi - und gewann wichtige Erkenntnisse für den Rest der Saison, Foto: Repsol
In Barcelona folgte Marquez Rossi - und gewann wichtige Erkenntnisse für den Rest der Saison, Foto: Repsol

Parallel dazu verbesserte Honda allmählich den Umgang mit Elektronik und Marquez sein Gefühl für die Michelin-Reifen. Der Katalonien-GP wurde dadurch zu einem der wichtigsten Rennen. "Nach Barcelona begann ich langsam die Reifen zu vestehen", so der Weltmeister. "Das war das erste Rennen, in dem ich längere Zeit hinter Valentino fahren konnte."

"Er war mit der Michelin-Charakteristik schon seit deren letzter MotoGP-Ära vertraut, daher konnte ich mir von ihm in diesem Rennen ein paar Dinge abkucken. Ich habe versucht, diese Erkenntnisse für mich umzusetzen und plötzlich begriff ich, wie mit dem Vorderreifen zu arbeiten ist."

Phase 3: Heißer Sommer für Marquez

Als es an den Sachsenring ging, lag der 23-Jährige in der WM wieder voran. Weil er brav Podestplätze gesammelt hatte, während Lorenzo und Rossi bereits bei zwei bzw. drei Ausfällen standen. "Das war eine seltsame Situation, denn gerade diese Zwei machten in den Jahren davor so gut wie nie Fehler. Aber es zeigte sich, dass meine Rivalen eben auch nur Menschen sind."

Am Sachsenring war kein Kraut gegen Marquez gewachsen und so sicherte er sich in einem chaotischen Rennen mit der richtigen Strategie nach einem Fehler seinen siebenten Erfolg in Serie beim Deutschland-GP. Da Rossi und Lorenzo erneut patzten, ging Marquez mit 48 Punkten Vorsprung in die Sommerpause.

Zum ersten Mal in dieser Saison lag er mehr als einen Sieg vor seinem ersten Verfolger. Ein Umstand, der für zusätzliche Zurückhaltung in der eigenen Strategie sorgte. "Als die Sommerpause kam, bin ich mit Emilio (Alzamora; Manager) zusammengesessen und wir sind den Rennkalender durchgegangen. Wir haben uns ausgemacht, auf welchen Strecken ich voll attackieren werde, und wo ich nur auf Punkte fahre." Im August zeigte sich Marquez daher von seiner konservativen Seite. Platz 5 in Österreich, Dritter in Brünn, jeweils Vierter in Silverstone und Misano.

Marquez Fahrgefühl für die Honda wurde im Spätsommer deutlich besser als es die Ergebnisse nahe legen würden. Ab Brünn hatte HRC es endlich geschafft, bei den Winglets mit Ducati und Yamaha gleichzuziehen. "Ich habe Druck gemacht wegen der Flügel. Ab Brünn war es endlich so weit und ich fühlte mich immer besser. Bei dem Test am Montag nach dem Grand Prix konnten wir endlich auch unsere Beschleunigung verbessern."

Die konservative Strategie hatte sich ausgezahlt. Obwohl in den ersten vier Rennen nach der Sommerpause nur einmal auf dem Podest, war Marquez' Vorsprung in der WM nur um fünf Punkte von 48 auf 43 geschrumpft. "Nach dem Red Bull Ring war ich schon etwas nervös, aber Emilio und Santi (Hernandez; Crewchief) haben auch mich eingewirkt und gesagt: Du musst nur ruhig bleiben, du hast einen großen Vorsprung und irgendwann kommt Aragon."

Endspiel: In Aragon setzte Marquez voll auf Sieg und gewann, Foto: Repsol
Endspiel: In Aragon setzte Marquez voll auf Sieg und gewann, Foto: Repsol

Phase 4: Endspiel in Aragon und Motegi

Beim dritten Heimrennen der Saison setzten Marquez und sein Team wieder alles auf eine Karte: "Als wir in Aragon ankamen, sagte ich: Das ist das Wochenende, an dem wir wieder siegen müssen." Gesagt, getan! Die MM93-Truppe zeigte ein tadelloses Rennen und Marquez holte einen souveränen Sieg.

Es folgte ein finaler Test, der die Titel-Mission schon auf der anstehenden Fernost-Tour auf Schiene bringen sollte. "Wir haben uns in Aragon sowohl auf das Rennen, als auch auf den anschließenden Test gut vorbereitet. Ich habe dort über 120 Runden abgespult. Ich war hoch konzentriert und habe auch meine körperliche Verfassung auf höchstes Niveau gebracht."

So ging es nach Japan, wo Marquez bereits den ersten Matchball verwerten konnte. Die dazu nötige Schützenhilfe kam ausgerechnet von Yamaha selbst. Zunächst Valentino Rossi, dann Jorge Lorenzo - beide WM-Rivalen mussten über ihr Limit hinaus hatten ihre M1 in den Kies gelegt.

"Als Vale mich anfangs überholt hat, habe ich schon bemerkt, dass er sehr spät bremst und dadurch immer wieder weit gehen musste. Ich sagte zu mir: Erspar dir diesen Kampf. Also habe ich gepusht und konnte eine Lücke zu ihm auffahren", sagte Marquez.

Nach sieben Runde war Rossi eliminiert und Lorenzo der einzige verbliebene Konkurrent um den Gesamtsieg. "Als ich dann sah, dass auch er raus ist, war mir klar, dass ich nun der neue Weltmeister bin. Das führte leider dazu, dass ich meine Konzentration verlor und einige Kurven im falschen Gang gefahren bin. Erst als Dovi seinen Rückstand verkürzte, konnte ich mich wieder konzentrieren."

Wenige Minuten später war das Rennen dann auch schon zu Ende. Und Marc Marquez hatte es vollbracht, aus dem schwierigsten Test-Winter seiner Karriere vorzeitig als strahlender neuer Champion hervorzugehen. Der Druck den er sich zu Saisonstart selbst auferlegte, ließ Yamaha schließlich schon in Motegi zerbrechen.