Endlich der erlösende Premierensieg für Cal Crutchlow, und das auf der 2016 eigentlich gnadenlos unterlegenen Kunden-Honda. Nach einer genialen Aufholjagd fuhr der Brite den ersten britischen Königsklassen-Sieg seit 35 Jahren ein, auch für sein LCR-Team war der Brünn-Triumph eine Premiere. Dass Crutchlow seine Aufholjagd allerdings überhaupt starten konnte, das lag unter anderem am tschechischen Wetter, und ganz entscheidend an Crutchlows Mut zum Risiko bei der Reifenwahl, während es die Konkurrenz teilweise ordentlich vergeigte. Die Analyse:

Völlig unterschiedliche Reifenstrategien im Feld

Vor dem Rennen in Brünn standen alle Teams und Fahrer vor dem gleichen Dilemma: Am Sonntagvormittag hatte es stark geregnet, auf der Strecke stand das Wasser. Also war klar, dass mit Regenreifen losgefahren werden musste. Doch der Regen hatte gegen Ende des Moto2-Rennens bereits aufgehört und sollte voraussichtlich im Lauf der MotoGP nicht mehr anfangen. Die Strecke würde also auftrocknen, nur war die entscheidende Frage: Wie schnell? Würde es zu einem Flag-to-Flag-Rennen kommen, und wie lange würden dir Regenreifen durchhalten? Auf diese Fragen fand man im Feld völlig unterschiedliche Antworten.

Ein Großteil der Piloten entschied sich für die weicheren Regenreifen vorne und hinten, während die Werks-Yamahas beide auf den härteren Hinterreifen setzten. Diese Wahl traf auch Tito Rabat. Nur Cal Crutchlow und Loris Baz zogen vorne und hinten die härteren Regenreifen auf. Prompt sah es nach dem Start so aus, als hätten die Fahrer, die sich für weiche Reifen entschieden, die richtige Wahl getroffen: Crutchlow fiel bis auf Rang 15 zurück, Rossi mühte sich als Vierzehnter, Lorenzo verschwand sogar gänzlich aus den Punkterängen. An der Spitze dagegen zogen die Ducatis dem Feld davon.

Wie sich auch in der Grafik deutlich zeigt, hatte Iannone auf den ersten Runden beste Karten: Die weichen Reifen kamen schnell auf Temperatur, er konnte bis zur fünften Runde deutlich schneller fahren als Rossi und Crutchlow. Doch bereits dann begannen seine Reifen einzubrechen, bis zum Rennende löste sich Iannones Vorderreifen dann in seine Einzelteile auf. Ab Runde 17 war die Zerstörung extrem und er konnte nur noch versuchen, sitzenzubleiben und die Ducati irgendwie heil ins Ziel zu bringen. Dadurch verlor er Position um Position, am Ende rollte er als Achter über die Ziellinie. Noch schlimmer erwischte es Scott Redding. Bis Runde 13 konnte er sogar an der Spitze mitmischen und hing Iannone als Zweiter im Nacken, dabei aber ruinierte er sich seine Reifen völlig. Letztlich konnte er als Fünfzehnter gerade noch einen Punkt holen.

Ein umgekehrtes Bild dagegen ergab sich bei Crutchlow und auch Rossi. In der Frühphase des Rennens verloren beide bis zu zwei Sekunden pro Runde, erst ab Runde fünf bzw. sechs waren die Reifen warm genug und sie konnten schneller fahren als die Spitze. Bereits ab der vierten Runde konnte Crutchlow außerdem einen Deut schneller fahren als Rossi. Nur zwischen der 14. und 16. Runde war Rossi etwas schneller unterwegs, doch am Rennende hatte Crutchlow auch bei den Zeiten wieder die Oberhand. Auffällig ist außerdem, für wie lange Crutchlows Reifen optimal funktionierten: Er fuhr in Runde neun seine schnellste Zeit, stellte diese aber in der 18. Runde fast bis aufs Tausendstel noch einmal ein.

Iannones Vorderreifen löste sich völlig auf, Foto: Ducati
Iannones Vorderreifen löste sich völlig auf, Foto: Ducati

Crutchlows fantastische Aufholjagd

Genau dieser Umstand also, dass seine Reifen im Lauf des Rennens immer besser funktionierten, während bei der Konkurrenz die Reifen abbauten, ermöglichte es Crutchlow, von Position 15 aus zu einer wilden Aufholjagd anzusetzen. In der siebten und neunten Runde machte er sogar jeweils drei Positionen binnen einer einzigen Runde gut. Parallel zu Crutchlow startete auch Rossi durch. Nachdem er in der sechsten Runde vom Briten überholt wurde, kämpfte er sich ebenfalls durchs Feld, nur Crutchlow selbst musste er ziehen lassen, da der Brite mit dem härteren Vorderreifen im Vergleich zu Rossi noch etwas mehr pushen konnte.

Wie effektiv die Reifenkombination Hart-Hart tatsächlich nach dem ersten Renndrittel funktionierte, stellte auch eindrucksvoll Loris Baz unter Beweis: Auf der Avintia-Ducati startete er ebenfalls auf der härtesten Reifenoption vorne und hinten und pflügte sich im Rennen von Platz 17 bis auf den vierten Rang nach vorne, sein bestes MotoGP-Ergebnis. Er fuhr im letzten Renndrittel teilweise um drei Sekunden schneller als sein Teamkollege Barbera, der sich für die weicheren Reifenoptionen entschieden hatte.

Der Flag-to-Flag-Poker

Offenbar hatte der Großteil des Feldes tatsächlich damit gepokert, dass die Strecke viel schneller auftrocknen würde und es zum Bike-Wechsel käme sie setzten auf mehr Speed durch weiche Reifen am Anfang. Dass die Reifen nicht über eine Renndistanz halten würden, war eigentlich vorauszusehen, doch es hatte wohl auch kaum jemand damit gerechnet, dass man das ganze Rennen auf Regenreifen absolvieren würde. Hätte Flag-to-Flag denn am Ende einen Unterschied gemacht? Das ist schwer zu sagen. Im Trockenen hat die LCR-Honda bei der Beschleunigung wesentlich größere Nachteile als im Regen, gleichzeitig hätten sich die Ducatis, als die Reifenprobleme einsetzten, frische Pneus holen können. Somit ist denkbar, dass sich die Strategie, auf Anfangsspeed zu setzen, doch ausgezahlt hätte. Andererseits aber hätte Crutchlow auf der härteren Mischung wohl etwas länger draußen bleiben können. Das wiederum hätte ihm die Chance gegeben, zu beobachten, wie es dem Rest des Feldes auf Intermediates oder sogar Slicks ergeht. So oder so, Crutchlow musste pokern, denn auf gleicher Strategie wie der Rest des Feldes hätte er es von vorne herein schwer gehabt.

Crutchlows mutige Reifenwahl zahlte sich aus, Foto: Tobias Linke
Crutchlows mutige Reifenwahl zahlte sich aus, Foto: Tobias Linke

Fazit

Crutchlow lag mit seiner gewagten Reifenstrategie also goldrichtig. Er ging allerdings mit seiner so weit vom Rest des Feldes abweichenden Wahl auch ein großes Risiko ein. Klar, im Nachhinein ist man immer klüger, doch wäre die Strecke sehr schnell aufgetrocknet und es wäre schon nach wenigen Runden zum Bike-Wechsel gekommen, ist es gut denkbar, dass Crutchlow irgendwo um Rang zehn hängen geblieben wäre und stattdessen die Ducatis den Sieg unter sich ausgemacht hätten. Auch wieder einsetzender Regen, der den Asphalt und die Reifen gekühlt hätte, hätte Crutchlow das Rennen vermiest, doch das ist nun reine Spekulation. Zum Erfolg führte den Briten also eine Kombination aus Mut und Wetterglück. Natürlich hatte Crutchlow bei seiner riskanten Strategie auch einen gewaltigen Vorteil: Für ihn steht im WM-Stand nichts auf dem Spiel. Im Gegensatz zu Marquez, Rossi und Co. muss er sich nicht an der Konkurrenz orientieren. Ohne WM-Druck ist es wohl deutlich leichter, sich für einen Poker zwischen Erfolg oder Nullnummer zu entscheiden. Dennoch mindert das nicht seine unglaubliche Leistung.