Wer hätte das gedacht! Nur wenige Wochen nach einer Hiobsbotschaft darf sich Stefan Bradl zum ersten Mal in seiner Karriere "Official Factory Rider" nennen. Nach Tagen des Bangens und Zitterns, des hektischen Verhandelns und des Klinkenputzens konnte der Moto2-Weltmeister von 2011 den erodierenden Forward-Rennstall verlassen und beim Werksteam von Aprilia anheuern.

Statt ungewisser Zukunft bei einem hasardierenden Italo-Rennstall mit windigem Boss, steht nun das Genießen aller Annehmlichkeiten eines finanzkräftigen Factory-Teams aus dem Hause Piaggio auf dem Programm. Wie so oft im Leben, ist dieser Aufstieg einer Verkettung glücklicher und unglücklicher Zufälle geschuldet. Einer Verkettung, aus der Bradl nun als großer Sieger hervorgeht.

Hätte sich Aprilia vor wenigen Wochen nicht vom desaströs agierenden Marco Melandri getrennt, wäre kein Motorrad in der Startaufstellung frei geworden. Wäre die Schweizer Finanz nicht auf die womöglich nicht so ganz legalen Machenschaften von Forward-Boss Giovanni Cuzari draufgekommen, säße Bradl immer noch auf seiner bockigen Open-Yamaha fest. Ein Wechsel wäre frühestens mit Saisonende möglich gewesen. Doch bis dahin hätte noch viel passieren können.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Bradls neues Arbeitsgerät, Foto: Simninja
Bradls neues Arbeitsgerät, Foto: Simninja

So kam aber eines zum anderen und Bradl war - im Gegensatz zum Vorjahr, als er etwas zu überhastet bei Forward andockte - diesmal zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Spekulationen über einen möglichen Abstieg in die Moto2 und ein Ende seiner MotoGP-Laufbahn sind mit diesem Wechsel passe. Sowohl der 25-jährige Bradl, als auch Neueinsteiger Aprilia haben nun eine gemeinsame langfristige Perspektive.

Wunderdinge sollte man sich von Bradl freilich keine erwarten. Er kennt weder das Motorrad, noch das Team um ihn herum. Zudem ist Aprilia von der reinen Pace her maximal auf dem Niveau von Forward-Yamaha. Das zeigt schon der direkte Vergleich der Punktekonten der Fahrer: Forwards Loris Baz hat in den ersten neun Rennen einen Zähler mehr gesammelt als Alvaro Bautista (15:14). Bradl hält nach seiner Seuchensaison ohnehin erst bei neun.

Doch es ist die Perspektive, die Bradl nun wieder hat. 2016 gibt es ein brandneues Motorrad aus Noale. Der Deutsche ist nun bei der finalen Entwicklung selbst mit dabei. Die Elektronikbeschneidung im kommenden Jahr kommt Teams wie Aprilia entgegen, die Michelin-Reifen könnten ohnehin das gesamte Kräfteverhältnis in der MotoGP kippen.

Die düsteren Zeiten scheinen vorbei, auch wenn nun jede Menge harte Arbeit auf Deutschlands Nummer eins wartet. Was schlecht begann, wurde letztlich gut. Und 2015 wird in Stefan Bradls Lebenslauf wohl als das bewegteste Jahr seiner gesamten Karriere eingehen.