Vor drei Wochen schrieb ich an dieser Stelle: "Valentino Rossi hat am Sonntagabend also in jeder Hinsicht ein Meisterstück abgeliefert. In dieser Form ist dem Italiener alles zuzutrauen. Ein achter MotoGP-Titel ebenso wie ein Comeback als Seriensieger." Das war nach seinem Sieg im Auftaktrennen in Katar. Am Rennsonntag in Termas de Rio Hondo untermauerte Rossi mein Vertrauen in seine Fähigkeiten mit einer weiteren Meisterleistung. Er präsentierte sich dabei sowohl als Taktikfuchs als auch als der knallharte Mistkerl alter Tage.

Rossi, der Taktikfuchs: Schon in Katar hatte er mit der richtigen Reifenwahl geglänzt. In Argentinien gelang ihm erneut ein Meisterstück, indem er - im Gegensatz zu Honda und Ducati - den härteren Hinterreifen aufzog. Mit Konstanz und der notwendigen Geduld ging Rossi sein 315. Rennen an und erntete im letzten Renndrittel die Früchte seiner Arbeit.

Rossi, der knallharte Mistkerl: Just in dem Moment, als es darauf ankam, zog Rossi sein Ding eiskalt durch. Marquez, obwohl er zu diesem Zeitpunkt wegen seiner Reifen deutlich langsamer war, wollte partout nicht zurückstecken und rannte in blindem Eifer gegen die gelbe Wand. Wie vor ihm schon ein Max Biaggi, ein Sete Gibernau oder ein Casey Stoner.

Der Liebling der Massen ist wieder der Dominator, Foto: Milagro
Der Liebling der Massen ist wieder der Dominator, Foto: Milagro

Das Pendel schwingt um

Der Sonntag stellte so etwas wie einen Paradigmenwechsel dar, im Zuge dessen das Momentum endgültig auf die gelbe Seite der Macht umschlug. Die letzten beiden Jahre gehörten ganz klar Marquez. In den Schlagzeilen, wenn er von Rekord zu Rekord und von Sieg zu Sieg eilte. Und auf der Strecke, als er Jorge Lorenzo in der letzten Kurve von Jerez checkte oder Rossi in der Corkscrew mit einem Hasardstück über einen Kanaldeckel abmontierte. In jeder Hinsicht lag die MotoGP Marquez zu Füßen.

Rossi hatte zwar immer noch die größte Anhängerschaft, doch in den Zeitungen und auf den Rennstrecken dieser Welt hing er nur noch im Windschatten und gewann nur noch dann, wenn andere patzten. Das ist 2015 aber nicht mehr so. Rossi ist nun wieder der Chef, der Perfektionist, der Alleinregent der MotoGP.

In allen drei Saisonrennen holte er durch akribische Arbeit mit seiner Crew das absolute Maximum heraus und steht deshalb aufgrund seiner eigenen Leistung und nicht wegen der Patzer anderer verdient an der Spitze. Das macht die Gegner langsam nervös, denn Teamkollege Jorge Lorenzo kommt mit Rossis Perfektion bei der Abstimmung der Yamaha nicht mehr mit. Katar und Argentinien zeigten zudem, dass Goldkind Marquez dünnere Nerven hat, als man dachte.

Am Sonntag wurde in Argentinien endgültig ein gelbes Monster entfesselt, dass man schon im ewigen Tiefschlaf gewähnt hatte. Ein Monster, das Anfang des Jahrtausends eine ganze Rennfahrergeneration in die Verzweiflung gestürzt hat und das im Spätherbst seiner Karriere nun zu einem letzten großen Schlag ausholt. Die Favoritenrolle auf den WM-Titel ist seit wenigen Stunden offiziell vergeben.