Ein leichter Wind weht durch die Boxengasse im Brünn. Die spanische Nationalhymne erklingt und lässt Dani Pedrosa als Sieger des Tschechien Grands Prix hochleben. Marc Marquez und seine Crew bekommen nichts davon mit. Die großen, festen Tore auf der einen Seite der Repsol-Honda-Box sind bereits geschlossen. Vorbeiziehende Menschen vermuten, dass der Weltmeister mit finsterer Miene im Inneren sitzt, dass er sich darin über die schlechte Abstimmungsarbeit seines Teams echauffiert, was wohl jeder Fahrer nach dem abrupten Abbruch einer Sieges- und Podest-Serie getan hätte.

Aber nicht Marquez: der junge Spanier sitzt seinen Teammitgliedern in genau diesem Moment freudestrahlend, ja nahezu erleichtert, gegenüber. "Heute war ein schwieriger Tag, einer dieser Sonntage, an denen du dich nicht perfekt fühlst", gab er später gelassen zu Protokoll. "Es gelang uns am Wochenende nicht, das perfekte Setup zu finden. Am Rennende war ich langsamer, denn ich sah, dass es nicht mehr möglich war, ums Podest zu kämpfen, also machte ich etwas ruhiger. Die anderen waren einfach schneller. Ich habe versucht, ihnen zu folgen, aber es war nicht möglich."

In Brünn musste sich Marquez erstmals 2014 geschlagen geben, Foto: Milagro
In Brünn musste sich Marquez erstmals 2014 geschlagen geben, Foto: Milagro

Der Weltmeister hatte nach zehn Siegen in Folge nicht erwartet, so weit zurückzuliegen. Er hatte danach aber nur ein Ziel: "Das musste ich erst einmal verstehen." Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, fühlte sich Marquez nach dem vierten Platz aber eher erleichtert - das war dem strahlenden Spanier auch anzusehen: "Ehrlich gesagt, fühle ich mich jetzt viel besser als vorher. Vorher hatte ich den Druck, alle haben nach mir gesehen, über die Siege gesprochen und darüber, dass ich alle Rennen gewinnen könnte."

Sicherlich hätten viele Fahrer in diesem Falle auf Nummer sicher gesetzt, doch nach einem derartigen Rennen beruhigt anstatt verärgert zu sein, gelingt nur wenigen. Einer dieser wenigen ist Valentino Rossi. Auch er beherrscht das Spiel und zaubert sich selbst ein Lächeln auf die Lippen - auch, wenn es einmal nicht so läuft wie geplant. Was bei Rossi hin und wieder nur zum Wohle der Fan-Sympathien ist, strahlt Marquez mit einer Ehrlichkeit aus, wie es sie selten gibt. Zumindest nicht im aktuellen Fahrerfeld. Doch was verbindet Marquez und Rossi? Was trennt die beiden Stars?

Wahre Champions

Nach Giacomo Agostini und Angel Nieto wird Rossi - was die Anzahl seiner Titel angeht - gerne als der Größte aller Zeiten bezeichnet. An seine neun Weltmeistertitel kommt schließlich so schnell keiner ran. Doch viele trauen Marquez zu, genau das zu erreichen. Noch ist der Spanier 21 Jahre jung, doch schon jetzt hat er vier dieser begehrten Trophäen auf dem Nachtschränkchen stehen. Schon jetzt hat Marquez den Italiener in einigen Rekordfragen geschlagen. Die Erfolge als jüngster Fahrer in der Geschichte kann Rossi weder nachweisen noch aufholen.

2013 in Texas gewann Marquez als jüngster Pilot in der MotoGP, Foto: Milagro
2013 in Texas gewann Marquez als jüngster Pilot in der MotoGP, Foto: Milagro

Rossi blickt auf eine beeindruckende Statistik voller Titelgewinne, Rennsiege und WM-Punkte zurück. So ist er bisher der Fahrer, der die meisten Siege in der Königsklasse feierte, auch für Yamaha hält er die Triumph-Fahnen hoch. Gleichzeitig bewies er sein Talent auch auf anderen Fabrikaten. So holte der Fan-Liebling neben vier Titeln für Yamaha auch drei für Honda und zwei für Aprilia. Bis zu seinem Wechsel zu Ducati gewann er in jeder Saison mindestens ein Rennen. In 18 WM-Jahren konnte er ganze 5.093 Punkte auf seinem WM-Konto ansammeln. Eine unglaublich lange GP-Karriere, die ihresgleichen sucht.

"Marc hat ähnliches Potential", ist sich Alex Hofmann sicher. In seinen bisher sieben gefahrenen Grand-Prix-Jahren hortete Marquez beachtenswerte 1.738 WM-Zähler. Marquez war der jüngste Pole-Setter in der Königsklasse und gleichzeitig jüngster Rennsieger in der MotoGP. Dazu wurde er der jüngste Pilot, der ein, zwei, drei und immer mehr Rennen in Folge gewinnen konnte. Die 20-Rennen lange Rekordsiegesserie von Agostini hat der Youngster bisher noch nicht gebrochen. Aber wer weiß schon, was Marquez noch alles aus dem Hut zaubert?

Wie Rossi gewann auch Marquez erst den Titel in der 125ccm-Klasse und stieg danach auf. Nachdem Rossi den 250er Titel 1999 abräumte, wechselte er im Folgejahr in die 500er Kategorie. Rossi fuhr sein erstes Jahr auf Honda. Ähnlich erging es bisher auch Marquez. Nach dem Titelgewinn in der Moto2 2012 kletterte auch der Spanier in die MotoGP hinauf und startete direkt mit Honda durch. In seinem ersten Jahr in der obersten Kategorie sicherte sich Marquez allerdings auf Anhieb den WM-Titel - ein Erfolg, der Rossi verwehrt blieb, da er im ersten 500ccm-Jahr 'nur' Zweiter wurde.

Für Valentino Rossi reichte es im ersten 500ccm-Jahr nur zu WM-Rang zwei, Foto: Milagro
Für Valentino Rossi reichte es im ersten 500ccm-Jahr nur zu WM-Rang zwei, Foto: Milagro

Aber auch als Zweiter hatte Rossi immer eine Besonderheit: sobald ihn seine Fans auf der Leinwand oder im Fahrerlager sahen, lächelte er. Der 35-Jährige beherrscht nicht nur den extrem freundlichen Umgang mit Medien und Sponsoren, sondern eben und besonders mit den Fans - selbst wenn diese in Scharen zum neunfachen Weltmeister pilgern. Rossi nimmt sich Zeit. Noch etwas mehr Zeit nimmt sich allerdings Marquez. Immer gut drauf, ständig ein Lächeln auf den Lippen - das schafft nicht nur Sympathien, sondern führt den amtierenden Weltmeister auch auf ein ganz anderes Beliebtheitsniveau.

Zur Fahrerpräsentation in der Karthalle am Sachsenring sprang Marquez sogar von der Bühne, nahm das Handy eines jungen Mädchens in die Hand, das den Spanier die ganze Zeit angehimmelt hatte, drehte es um und machte gemeinsam mit ihr einen Selfie. Rossi und Marquez lächeln also nicht nur selbst, sondern verstehen es durchaus, ihre Fans zum Strahlen zu bringen. Die Bewunderung der Anhänger verdienen sich beide nicht nur mit reiner Bestleistung auf der Strecke, spannenden Aufholjagden und Duellen, sondern besonders im direkten Kontakt.

Lachen und Freude sind dabei genau das, was beide Champions auszeichnet und das können sie auch auf die Strecke übertragen. Alle Fahrer setzen ihr Leben in jedem einzelnen Training, Qualifying und Rennen aufs Spiel. Sie sind im positiven Sinne verrückt und gehen unerhörte Risiken ein. "Marquez macht das aber mit einer solchen Selbstverständlichkeit, die ich so noch nie gesehen habe. Das Ganze macht er dann noch so abgeklärt und in einem so jungen Alter, dass es einem schon schwer fällt, alles in Worte zu fassen", ringt Hofmann nach den richtigen Begriffen.

Marquez und Rossi scheuen nicht vor riskanten Manövern zurück, Foto: Repsol Honda
Marquez und Rossi scheuen nicht vor riskanten Manövern zurück, Foto: Repsol Honda

"Ich glaube, er ist dafür geboren, genau das zu machen und er lebt für diesen Moment auf dem Motorrad. Dazu hat er einen extrem wichtigen Punkt, den auch Rossi immer hatte: verdammt viel Spaß dabei. Genau das ist die gefährliche Kombination: ein gemischter Cocktail, der brodelt und alle anderen ein bisschen alt aussehen lässt." Und das ist der Schlüssel: während sich die Konkurrenten Gedanken über Wetter, Reifen und Abstimmung machen, geben Rossi und Marquez einfach Gas - ohne sich den Kopf großartig über Folgen, Ausgang oder Gefahren zu zermartern.

Das beste Beispiel dafür war Marquez' spektakulärer Slide am Test-Montag in Brünn. Jedem anderen Fahrer wäre die Maschine schon auf der Strecke liegend in den Kies gerutscht. Marquez blieb sitzen. "Ich habe schon gemerkt, dass das nicht gut geht und ich dachte mir immer: 'Wie kann ich das nur retten? Wie kann ich damit nur umgehen?' Als ich dann am Boden lag, hatte ich nur noch einen Gedanken: 'Vollgas'. Dann habe ich Vollgas gegeben und als ich meine Augen wieder öffnete, saß ich immer noch auf dem Bike", lautete seine Erklärung der Situation, die wohl keine weiteren Ergänzungen erfordert.

Marquez' gerade noch verhinderter Sturz ging um die Welt, Foto: Milagro
Marquez' gerade noch verhinderter Sturz ging um die Welt, Foto: Milagro

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Rossi und Marquez ist ihre Teamverbundenheit. Bezeichnet Marquez sein Team als seine Familie an der Rennstrecke, so beweist auch Rossi diese Einstellung und das bei beiden über mehrere Jahre. Der Spanier setzte sich stark bei Honda dafür ein, seine Moto2-Crew mitbringen zu dürfen und setzte dies - wenn auch im zweiten Jahr erst komplett - durch. Rossi hielt viele Jahre an Jeremy Burgess, Alex Briggs, Brent Stephens, Matteo Flamigni und weiteren Kollegen fest. Obwohl er seinen Crewchief austauschte, gilt das Prinzip auch weiterhin. Mit Santi Hernandez konnte Marquez im ersten MotoGP-Jahr zumindest seinen Chefmechaniker mitnehmen, bevor er Honda nach Titel Nummer eins in seiner Rookie-Saison davon überzeugte, auch seine weiteren Mitarbeiter in die Königsklasse zu befördern.

In einer Angelegenheit hat Marquez sogar einen Vorteil über Rossi. Während sich Dani Pedrosa, Jorge Lorenzo oder eben Rossi über Regen, Gripverhältnisse, Reifen und schlechtes Material beschweren, verliert der junge Spanier nie ein Wort der Kritik. Er setzt sich auf seine Honda, nimmt die Gegebenheiten so wie sie sind und brennt eine schnellste Runde nach der anderen in den Asphalt. Auch Rossi jammert wenig, aber Marquez hat wohl noch nie ein schlechtes Wort über Material, Bedingungen oder Schmerzen nach einer Verletzung verloren. Er passt sich einfach an alles an, was ihm durchaus auch einen psychologischen Vorteil einbringen könnte.

Schon als Michael Schumacher zu Beginn des Jahrhunderts die Formel 1 dominierte, wurde ihm nachgesagt, auch er sei seinen Konkurrenten psychisch überlegen. Durch seine starke Präsenz und seine Unschlagbarkeit hieß es, der Deutsche wäre schon vor dem Start um zehn Meter davongefahren. Rossi glaubt daran jedoch nicht. "Als ich in der Vergangenheit so viele Rennen gewann, haben viele auch gesagt, dass ich eine psychische Dominanz habe und die anderen damit einschüchtere. Auch als Schumacher gewann, zählte nur das Tempo auf der Strecke." Allerdings gibt auch der Italiener zu: "Wenn du der Schnellste auf der Strecke bist, wirst du auch mental stärker."

Vor Marquez erreichen Rossi und Schumacher eine ähnliche Dominanz im Motorsport, Foto: Monster
Vor Marquez erreichen Rossi und Schumacher eine ähnliche Dominanz im Motorsport, Foto: Monster

Das scheint bei Marquez nur ein kleiner Bonus zu sein und wie wir und all seine Konkurrenten nach Brünn wissen: der Spanier ist nicht unschlagbar. Was seiner atemberaubenden Serie von Siegen aber nicht schadet. Auch Rossi hat sich zu seiner Zeit kaum Sorgen gemacht, einmal nicht auf der obersten Stufe des Treppchens zu stehen. "Sie sind momentan die beiden Top-Fahrer in dieser Welt", hält Alex de Angelis fest. "Ich denke aber, Marquez hat alles, um zu versuchen, besser zu sein als Valentino. Damit meine ich die Rekorde. Er hat es drauf."

Valentino ist Valentino, Marc ist Marc

Gleichzeitig fällt es aber auch schwer, beide zu vergleichen. Logisch: Aktuell haben Rossi und Marquez verschiedenes Material. "Auch das Alter spielt eine Rolle", bemerkt de Angelis. "Marc hat ähnliches Potential, ist aber auch ein anderer Charakter. Rossi ist eben Rossi und ich glaube, schon wenn er um die Ecke kommt, haben die meisten beim bloßen Hinsehen bereits ein breites Lächeln im Gesicht, weil er einfach ein lustiger Typ ist. Er verstreut Spaß und Freude am Sport, behandelt die Fans gut und das bekommen sie natürlich mit. Das ist eine Geschichte, die man nicht kaufen kann", meint Hofmann.

Rossi wird von den Fans abgöttisch verehrt, Foto: Milagro
Rossi wird von den Fans abgöttisch verehrt, Foto: Milagro

Während sich Rossi früher gegen Kenny Roberts Junior, Max Biaggi, Sete Gibernau, Marco Melandri und Nicky Hayden im Kampf um seine Titel auseinandersetzen musste, werden Marquez' Gegner als noch stärker eingeschätzt. Lorenzo, Pedrosa und Rossi selbst gelten neben dem Spanier als die vier Außerirdischen im aktuellen MotoGP-Feld. Allen wird erhebliches Talent und ein unglaubliches Tempo zugerechnet. Auch Rossis Gegner waren schnell und talentiert, doch spielte sich der WM-Kampf damals - wie der Italiener auch selbst zugibt - auf einem anderen Niveau ab.

"Die Rivalen sind unterschiedlich. Ich denke, momentan ist das Niveau richtig hoch, denn auch Jorge und Dani sind unglaublich schnell, aber Marc schafft in diesem Jahr etwas Besonderes. Er hat bereits so viele Rennen gewonnen und das bedeutet, dass die Kombination aus ihm und seinem Bike zum besten Ergebnis führt", sagt Rossi und erkennt Marquez damit als einen Fahrer an, den er selbst nicht dauerhaft schlagen kann.

Was beide trotz Lächeln und ihrer freundlichen Art voneinander trennt, ist ihr Charakter. "Nein, ich denke, das sind komplett verschiedene Szenarien. Valentino ist Valentino und Marc ist Marc. Viele Leute wollen Fahrer immer vergleichen, selbst Valentino und Biaggi wollten sie schon vergleichen, aber das geht nicht. Sie sind verschiedene Menschen, haben ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Charisma", ist sich Colin Edwards sicher.

Trotz aller Gemeinsamkeiten bleiben Marquez und Rossi verschieden, Foto: Giandomenico Papello
Trotz aller Gemeinsamkeiten bleiben Marquez und Rossi verschieden, Foto: Giandomenico Papello

Fazit

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Rossi nach wie vor der Mann mit der gelben 46 ist und noch einige Jahre Fan-Liebling Nummer eins bleiben wird. Doch Marquez hat das Zeug dazu, aus dem 'Doktor' einen 'Professor' zu machen. "Ausgehend von seinem fahrerischen Talent scheint das der nächste Schritt zu sein: das neue Modell, das einfach noch mehr kann als ein normaler Rennfahrer. Er ist ein Prototyp-Rennfahrer", beschreibt Hofmann den jungen Spanier.

Obwohl beide Spitzenfahrer viel gemeinsam haben, trennen sie Zeit und Persönlichkeit. Eines steht jedoch fest: In der gesamten Historie der Weltmeisterschaft gibt es nur wenige Piloten, die sich im Laufe vieler Jahrzehnte als derartige Talente entpuppen, alles dominieren und damit nicht nur unschlagbar, sondern mit zahlreichen Einträgen in die Geschichtsbücher der Weltmeisterschaft auch unsterblich sind.

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