Die Formel-E-Saison 2023 geht in die Nachspielzeit, die finale Entscheidung über die WM-Wertung wird juristisch am Grünen Tisch entschieden! Porsche hat am Donnerstag, 03. August nach dem Saisonfinale in London bekanntgegeben, gegen die verhängte Zeitstrafe für Antonio Felix da Costa im Samstagsrennen offiziell eine Berufung eingereicht zu haben. Damit wandert der Fall vor das FIA-Berufungsgericht.

Es könnte jetzt Wochen oder gar Monate dauern, bis es einen endgültigen Stand in der Fahrer- und Teammeisterschaft der Elektro-Rennserie gibt. Im ersten Schritt steht der wegen einer 3-Minuten-Zeitstrafe (zu geringer Reifendruck) verlorene zweite Platz und damit 18 WM-Punkte für den portugiesischen Porsche-Werksfahrer auf dem Spiel. Je nach Ausgang der Verhandlungen vor dem sogenannten International Court of Appeal hat das konkrete Auswirkungen auf die Formel-E-Tabelle.

Formel E: Porsche-Berufung "im Sinne des Sports"

"Heute können wir bestätigen, dass die offizielle Berufung gegen die Entscheidung Nr. 10 (Zeitstrafe für Felix da Costa ; d. Red.) innerhalb der Frist eingereicht wurde", teilt Porsche auf Anfrage von Motorsport-Magazin.com mit.

Im Statement des Sportwagenbauers aus Zuffenhausen heißt es weiter: "Antonio erlitt durch Trümmer auf der Strecke einen schleichenden Plattfuß, wodurch der vorgeschriebene Reifenmindestdruck unterschritten wurde. Der Schaden ist durch eine äußere Einwirkung entstanden, es war nicht unsere Schuld. Für uns ist diese Entscheidung unverständlich und nicht zu akzeptieren. Uns geht es in erster Linie um eine faire Gleichbehandlung im Sinne des Sports."

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Porsche-Werksfahrer Antonio Felix da Costa, Foto: LAT Images

Porsche-Berufung für Beobachter eher überraschend

Porsche hatte am späten Samstagabend in London eine Berufung gegen das Urteil der FIA-Sportkommissare angekündigt und dann per Regularien 96 Stunden Zeit, diese schriftlich zu formulieren. Für einige Fahrerlager-Beobachter kommt es überraschend, dass das deutsche Werksteam um Felix da Costa und Teamkollege Pascal Wehrlein diesen Schritt nun tatsächlich vollzogen hat.

Schließlich hätte Porsche auch mit 18 Punkten mehr auf dem Konto im Falle einer widerrufenen Strafe keine Chancen auf den Gewinn der Team-Weltmeisterschaft. Das Werksteam belegt nach aktuellem Stand den vierten Platz in der Gesamtwertung mit 242 Punkten. Der Rückstand auf den - Stand jetzt wegen der Berufung - inoffiziellen Weltmeister Envision-Jaguar (304 Punkte) beträgt 62 Zähler. Erhielte Porsche nachträglich die Punkte für Felix da Costas P2 zurück, würde das Team höchstens auf den dritten Platz am eigenen Kundenteam Andretti vorbeirücken.

Für Felix da Costa selbst geht es in der Fahrer-WM auch nur noch um die berüchtigte 'Goldene Ananas'. Aktuell belegt der frühere Formel-E-Meister mit 93 Punkten den neunten Platz in der Tabelle. Würde ihm das FIA-Gericht die verlorenen 18 Zähler zurückerstatten, würde er mit dann 111 Punkten auf den fünften Platz klettern, den nach jetzigem Stand sein früherer DS-Teamkollege und zweifacher Champion Jean-Eric Vergne (107 Punkte) innehat.

Strafe für Felix da Costa riesengroßes Thema

Die ungewöhnliche Zeitstrafe für Felix da Costa wegen eines zu geringen Reifendrucks war in London ein riesengroßes Thema im Fahrerlager. Der Portugiese habe am Samstag von der 33. Runde (während einer Rot-Phase) bis zum Rennende den vorgegebenen Mindestreifendruck (Hankook schreibt 1,2 bar vor) unterschritten.

Laut Porsche habe es sich um einen schleichenden Plattfuß am rechten Vorderreifen gehandelt, der "aber so langsam war, dass er niemals sicherheitskritisch war, keinen Performance-Vorteil gebracht hat und klar von außen herbeigeführt wurde", wie Porsche-Leiter Modlinger gegenüber Motorsport-Magazin.com versicherte.

Felix da Costa betonte, dass er während der Rot-Unterbrechung, in der das Reifen-Problem auffiel, Grünes Licht vom Technischen Delegierten der FIA höchstpersönlich erhalten habe, weiterfahren zu können. Die FIA sah das später anders, es steht Aussage gegen Aussage.

Porsche-Leiter Modlinger am Samstagabend weiter zu MSM: "Ich kenne zwei Aussagen. Einmal vom Mechaniker und einmal von Antonio. Ich war selbst nicht dabei, kenne aber zwei Aussagen, dass uns von der FIA gesagt wurde - was normalerweise auch so ist - dass wir die Sicherheit der Fahrzeuge selbst einschätzen. Wir haben Antonio mit dem Verdacht, dass er eventuell einen Slow Puncture hat, rausgeschickt, um hinter dem Safety Car zu checken, ob sich das Auto okay anfühlt und alles normal ist."

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Antonio Felix da Costa und Pascal Wehrlein in London, Foto: Porsche AG

Modlinger: "Es gab keine Sicherheitsbedenken"

Das habe Felix da Costa bestätigt, nachdem er Schlangenlinien hinter dem Safety Car fuhr. "Dazu muss man sagen, dass man immer mal wieder Probleme mit dem Reifendrucksensor hat", führte Modlinger aus. "Das hatten wir auch dieses Wochenende. Zu dem Zeitpunkt wussten wir nicht, ob es ein schleichender Plattfuß ist oder ob es ein Problem mit dem Reifendrucksensor gibt. Aufgrund der Fahreraussage - er hat ja auch gezeigt, dass es bis zum Ende ging und es keine Sicherheitsbedenken gab - sind wir natürlich weitergefahren. Ein Podium oder eine Siegchance gibt man nicht ohne ersichtlichen Grund her."

Hätte Felix da Costa stattdessen während der Rot-Phase, als das Problem mit den Reifen auftrat, einen neuen Hankook-Allwetterreifen aufziehen lassen, wäre das unter Parc-Ferme-Bedingungen geschehen und er wäre beim Re-Start per Reglement automatisch ans Ende des Feldes zurückgefallen. So erging es seinem Teamkollegen Wehrlein, der auf Anweisung des Technischen Delegierten der FIA seinen beschädigten Frontflügel (nach Kollision mit Rene Rast) wechseln lassen musste und dadurch später effektiv keine Chancen mehr auf den Sieg hatte.

Felix da Costa schießt gegen FIA: "Sind nicht gut genug"

Felix da Costa schäumte nach dem Rennen vor Wut. "Wenn ich eine Strafe bekomme, weil ich zu wenig Luftdruck im Reifen habe, dann denken die Leute, wir seien Betrüger", sagte der frühere Formel-E-Meister in der Mixed Zone. "Aber wir bei Porsche betrügen nicht! Wir sind ein tolles Rennen gefahren, und das nimmt man uns nun weg."

"Ich gehe doch nicht drei, vier Tage für jedes Rennen in den Simulator und verbringe hunderte Tage weg von meiner Familie, um hierher zu kommen und das Rennen dann so weggenommen zu bekommen. Ich bin mehr als 100 Formel-E-Rennen gefahren. Ich weiß, wann ein Auto sicher ist zu fahren. Ich sagte ihm (dem Technischen Delegierten der FIA; d. Red.), dass das Auto sicher sei. Er ließ mich raus, und jetzt bekomme ich eine Strafe. Wir hatten nicht mal die Chance, das zusammen zu besprechen."

Der frühere DTM-Fahrer und Le-Mans-Klassensieger, einmal in Rage, weiter: "Das ist total enttäuschend. Ich glaube nicht, dass sie ausreichend technische Expertise haben, um eine Meisterschaft wie diese mit all diesen Herstellern und Fahrern zu regulieren. Die sind nicht gut genug. So simpel ist das." Heute habe der Sport, die Formel E und die FIA verloren, legte Felix da Costa später auf Twitter nach. Das sei nicht das erste Mal gewesen, dass die FIA inkonstante Strafen verteile.

Erklärt: Das ist das Berufungsgericht der FIA

Der Internationale Berufungsgerichtshof ist das endgültige Berufungstribunal für den internationalen Motorsport. Es wurde gemäß den Statuten der FIA und dem Internationalen Sportgesetzbuch der FIA eingerichtet und entscheidet über Streitigkeiten, die von den nationalen Sportbehörden des Motorsports weltweit oder vom Präsidenten der FIA vorgebracht werden. Es kann auch nicht-sportliche Streitigkeiten regeln, die von nationalen Automobilorganisationen, die der FIA angeschlossen sind, vorgebracht werden.

Das Internationale Berufungsgericht (International Court of Appeal) ein unabhängiges Gremium mit eigener Verwaltung, die von der Hauptstruktur der FIA getrennt ist. Es gibt 36 Richter, die in den FIA-Gerichtsbarkeiten tätig sind. Sie werden alle von der FIA-Generalversammlung gewählt, nachdem sie vom FIA-Nominierungsausschuss ausgewählt wurden, nachdem sie von den FIA-Mitgliedern, FIA-Kommissionen oder Gruppen von 5 Wettbewerbern in den FIA-Meisterschaften nominiert wurden.

Mit Waltraud Wünsch und Dieter Rosskopf gehören dem Internationalen Berufungsgericht unter der Leitung von ICA-Präsident Laurent Anselmi auch zwei Mitglieder aus Deutschland an.