16 Rennen in elf Städten, sieben unterschiedliche Sieger, zwölf Fahrer auf dem Podium, zehn verschiedene Pole-Setter und mit Jake Dennis erstmals ein Brite als Weltmeister: So lautet nach dem London-Finale die Abrechnung der neunten Saison in der Geschichte der Formel E. Kurzum, spannender und abwechslungsreicher kann man sich den Verlauf einer Meisterschaft kaum ausmalen.

Ab dem ersten Rennen Mitte Januar in Mexiko-City zeichnete sich ein ganz eindeutiges Bild im Titelkampf ab: Dennis (Andretti-Porsche), Nick Cassidy (Envision-Jaguar), Mitch Evans (Jaguar) und Pascal Wehrlein (Porsche) dominierten das Geschehen und wechselten sich munter als WM-Favoriten ab. Das Quartett vereinte 13 von 16 Saisonsiegen und 30 von 48 möglichen Podestplätzen auf sich.

Jake Dennis ist Formel-E-Weltmeister 2023
Neuer Formel-E-Weltmeister: King Dennis, der Erste, Foto: LAT Images

Wo gibt es das heute noch in einer FIA-Meisterschaft, dass vier Piloten von vier Teams mit Titelchancen zu einem Saisonfinale reisen? Und das bei einem Kalender-Mix aus Stadtkursen wie in Rom oder Kapstadt, dem Flugplatz Berlin-Tempelhof, permanenten Rennstrecken wie Portland und ikonischen Stätten wie Monaco. Energie-Spar-Schlachten, Vollgas-Rennen, Regen - es war alles dabei.

Dass mit Andretti-Ass Dennis und Privatrennstall Envision auch noch zwei Kundenteam-Vertreter - in diesem Fall von Porsche und Jaguar - ihre ersten Titelgewinne absahnten, setzte dem Ganzen die Krone auf. Man stelle sich nur einmal das Spektakel vor, wenn in der Formel 1 AlphaTauri und Williams ihren Motorenlieferanten Red Bull/Honda respektive Mercedes regelmäßig um die Ohren fahren würden...

Diese Konstellation in der Formel E ist einzigartig und zeigt, wie eng es in der Elektro-WM zugeht. Kritiker werfen der 2014 gegründeten Rennserie noch immer gerne vor, dass die Autos mit ihren einheitlichen Chassis, Batterien, Allwetterreifen und inzwischen auch Frontmotoren kaum Performance-Unterschiede ermöglichen würden. Was für ein Unsinn! Die Hersteller Jaguar und Porsche holten mit ihren selbstentwickelten Antriebssträngen allein 1.090 Punkte und damit fast doppelt so viele wie Nissan, DS, Mahindra und NIO zusammen (590).

Auch die Unterstellung, dass fahrerisches Talent in der Formel E kaum einen Unterschied mache, widerlegen die Fakten: Die Top-4 bestehend aus Dennis, Cassidy, Evans und Wehrlein holten mindestens 56 (Wehrlein zu Antonio Felix da Costa) und bis zu 206 (Dennis zu Andre Lotterer) mehr Punkte als ihre jeweiligen Teamkollegen in einem Starterfeld, das zu 100 Prozent aus Profi-Rennfahrern besteht.

Dazu Kontroversen (Energie-Spar-Schlachten, nachträgliche verbaute Notfall-Bremsen oder durch Lenkräder verletzte Piloten), ein bisschen Fahrer-Zoff (Funkstille zwischen Wehrlein und Dennis), knackige Statements (Dan Ticktum: "Einige der Formel-1-Fahrer sollten nicht dort sein"), Politik hinter den Kulissen (DS Penske mit illegalen Scan-Geräten oder Porsches Drohung mit dem FIA-Berufungsgericht) und spektakuläre Unfälle wie Sam Birds Horror-Crash in Rom: Netflix müsste sich eigentlich die Finger lecken.

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Das Formel-E-Finale in London sparte nicht mit Kontroversen, Foto: LAT Images

Nur eines, das muss sich die Formel E weiterhin vorwerfen lassen: Von all diesen beeindruckenden Werten bekommen viel zu wenige Menschen etwas mit. Der Elektro-Rennserie ist es auch im neunten Jahr trotz eines neuen Rennwagens mit 350 kW (476 PS) Power, Topspeed-Rekordwerten (276 km/h), sechs weltbekannten Automarken, Neueinsteigern wie McLaren oder Maserati und Rennen in Sao Paulo, Monaco oder London nicht gelungen, die Aufmerksamkeit spürbar zu erhöhen.

Die generelle Abneigung bzw. Skepsis von Motorsport-Enthusiasten gegenüber Elektro-Autos - egal ob auf der Rennstrecke oder auf der Straße - gilt es nun für den neuen Formel-E-Geschäftsführer Jeff Dodds zu überwinden. Eine Herkules-Aufgabe. Mit den oben angesprochenen Fakten stehen ihm alle benötigten Zutaten zur Verfügung. Der britische Top-Manager selbst sagt ohne Umschweife, dass die bisherige Reichweite daran gemessen viel zu gering gewesen sei.

Es gelte nun, die "Lautstärke deutlich zu erhöhen", wie Dodds uns im Interview erzählt. Damit meint er natürlich die globale Reichweite der Formel E, nicht den Sound der E-Autos. Der alleine kann nun wirklich nicht der Grund sein, bei der Formel E abzuschalten. Der Rennserie selbst und ihrem mit Le-Mans-Siegern, DTM-Champions und Ex-Formel-1-Fahrern gespickten Starterfeld wäre der große Durchbruch endlich zu wünschen.