"Wir haben zu viele Runden im Rennen geführt" (Stoffel Vandoorne), oder "Meine Strategie war es, immer auf Position zwei zu sein" (Antonio Felix da Costa). Sätze, die man so in der Geschichte des Motorsports nur selten gehört hat. Sätze, die das bizarre Formel-E-Rennen in Sao Paulo kaum besser beschreiben könnten.
Ein Autorennen, in dem sich Fahrer ab Runde 1 gegenseitig vorbeiwinkten und sogar absichtlich auf der Geraden vom Gas gingen, um nur bloß nicht führen zu müssen. Bei aller Liebe zur zweifellos strategischen Meisterleistung einiger Piloten und Teams: Das versteht kein Zuschauer!
114 Überholmanöver? 114 mal Vorbeigelassen!
114 Überholmanöver notierte die Formel E in Brasilien, sprach von einem der unterhaltsamsten Rennen ihrer Geschichte und klopfte sich wie üblich selbst auf die Schulter. Aber kann man von 'Überholen' sprechen, wenn Fahrer auf der Geraden das Gaspedal lupfen? 114 mal 'Vorbeigelassen', würde im Gesamtbild vermutlich besser passen. In der Außendarstellung wurde der Motorsport beim Sao Paulo ePrix ad absurdum geführt.
Für Formel-E-Experten war die enorme Bedeutung des bis zum Anschlag exerzierten Windschatten-Fahrens auf dem Stadtkurs mit seinen vier langen Geraden absolut keine Überraschung. 'Wer vorne fährt, verliert', hatten wir schon am Donnerstag vor Sao Paulo getitelt und erklärt, dass sich angesichts des starken Drag-Effekts der Autos im Windschatten entscheidend Energie sparen lässt. Für die Masse der Zuseher spielt das aber keine Rolle. Motorsport = Gas geben, überholen, führen, Rennen gewinnen. Punkt.
Formel E: Bärendienst für Elektromobilität
Mit einem vermutlich einzigartigen Rennen wie in Brasilien hat die Formel E der weiterhin kritisch beäugten Elektromobilität einen Bärendienst erwiesen. Die wirre Botschaft für den Otto-Normal-Fan: E-Autos fahren - wohlgemerkt in einem Rennen - ab Runde 1 mit voller Absicht extrem langsam, gehen vom Gas und lassen kampflos die Konkurrenz vorbei, nur, um sich perspektivisch einen Vorteil zu verschaffen. Uff! Da schlagen auch Marketing-Experten die Hände über dem Kopf zusammen...
Versiertere Motorsport-Zuschauer wissen natürlich, dass ein Rennen nicht aus aufeinanderfolgenden Vollgas-Qualifyingrunden besteht, sondern die Einteilung der verfügbaren Ressourcen in jeder Kategorie ausschlaggebend ist. In der Formel E ist es - einfach ausgedrückt - die Energiemenge, in der Formel 1 der Reifenverschleiß, auf der Langstrecke der Sprit im Tank.
Wenn aber schon ab der ersten Runde diese Ressourcen auf einem absurd hoch anmutenden Level eingespart werden, tut man sich schwer, da noch von unterhaltsamem Motorsport zu sprechen.
Warum der Sao Paulo ePrix trotzdem spannend war
Die von der Formel E proklamierte 'Spannung' des Brasilien-Rennens rechtfertigt sich nur durch einen - entscheidenden - Faktor: Einigen wenigen Fahrern gelang es mit Abstand am besten, das Maximum aus ihren vorhandenen Möglichkeiten herauszuholen. Schon sehr früh im Rennen war klar, dass der spätere Gewinner Mitch Evans, Jaguar-Teamkollege Sam Bird, Nick Cassidy im Envision-Jaguar und Porsche-Pilot Antonio Felix da Costa den Sieg unter sich ausmachen würden.
Der Ausgang des Rennens war also nicht aus dem Zufall heraus geboren, sondern folgte einem klaren Handlungsstrang, der zu einem durchaus packenden Finish mit unvorhersehbarem Ausgang in den Schlussrunden führte. Dieses Spektakel, das die Formel E bereits in einigen der bisherigen Saisonrennen mit den neuen Gen3-Autos gezeigt hat, hätte man sich allerdings ab Runde 1 gewünscht - und nur zu gerne auf das peinlich anmutende Vorbeiwinken über die halbe Renndauer verzichtet.
Formel E: Ergebnis Sao Paulo ePrix 2023
Position | Fahrer | Team | Abstand |
---|---|---|---|
1 | Mitch Evans | Jaguar | |
2 | Nick Cassidy | Envision | +0.284 |
3 | Sam Bird | Jaguar | +0.507 |
4 | Antonio Felix da Costa | Porsche | +3.487 |
5 | Jean-Eric Vergne | DS Penske | +4.042 |
6 | Stoffel Vandoorne | DS Penske | +4.576 |
7 | Pascal Wehrlein | Porsche | +5.659 |
8 | Jake Hughes | McLaren | +6.141 |
9 | Rene Rast | McLaren | +7.403 |
10 | Sebastien Buemi | Envision | +7.976 |
11 | Maximilian Günther | Maserati | +15.192 |
12 | Andre Lotterer | Avalanche Andretti | +15.345 |
13 | Lucas di Grassi | Mahindra | +19.247 |
14 | Robin Frijns | Abt-Cupra | +20.751 |
15 | Oliver Rowland | Mahindra | +21.465 |
16 | Sergio Sette Camara | NIO 333 | +31.514 |
17 | Dan Ticktum | NIO 333 | +34.398 |
DNF | Nico Müller | Abt-Cupra | Ausfall |
DNF | Edoardo Mortara | Maserati | Ausfall |
DNF | Jake Dennis | Andretti | Ausfall |
DNF | Sacha Fenestraz | Nissan | Ausfall |
DNF | Norman Nato | Nissan | Ausfall |
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