Der Rennabbruch am Samstag in New York war und bleibt das große Thema im Fahrerlager der Formel E. Nach den schweren Unfällen in Folge des plötzlichen Regenschauers über dem Kurs im Hafen von Brooklyn gehen die Meinungen zu unterschiedlichen Aspekten stark auseinander.

So stellten sich einige Fahrer die Frage, ob das Rennen nach der Unterbrechung nicht wieder hätte aufgenommen werden können. Schließlich wären noch 7:30 Minuten zu fahren gewesen – immerhin knapp 20 Prozent der gesamten Renndistanz von 45 Minuten plus mindestens einer Runde. Wäre das Rennen nur eine Runde früher gewertet worden, hätten die Fahrer übrigens nur halbe Punkte kassiert. Die volle Punktzahl gibt es erst ab 75 Prozent der Renndistanz bzw. 34 absolvierten Minuten.

Formel-E-Rennleiter Elkins: „Eine Frage der Sicherheit“

Für Formel-E-Rennleiter Scot Elkins war die Entscheidung, das zur Mittagszeit begonnene Rennen nicht mehr zu starten, letztendlich eine klare Angelegenheit. „Wir hatten sehr viel damit zu tun, alles aufzuräumen, nachdem die Autos gecrasht waren“, sagte der US-Amerikaner zu ProSieben. „Die Bedingungen haben sich nicht notwendigerweise verbessert. Es war eine Frage der Sicherheit.“

Elkins, seit dieser Saison auch Rennleiter in der DTM, weiter: „Außerdem hatten wir noch ein weiteres Rennen am nächsten Tag, das alles haben wir berücksichtigt. Ich habe lange mit den Teams gesprochen und mir Feedback eingeholt, wie die Bedingungen waren und was wir tun sollten. Anhand dessen haben wir die Entscheidung getroffen, abzubrechen.“

Foto: LAT Images
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Günther: Restart wäre mehr als vertretbar gewesen

Die Reparaturarbeiten an den TecPro-Barrieren in Kurve 6, wo der Führende und spätere Sieger Nick Cassidy, Stoffel Vandoorne und Lucas di Grassi auf der regennassen Fahrbahn innerhalb von Sekunden abflogen, hätten sicherlich eine ganze Weile gedauert. Der Schaden sah schon auf den TV-Bildern immens aus. Immerhin hatte sich der Regen relativ zügig wieder verzogen und wegen der Temperaturen von knapp 30 Grad wäre die Strecke wohl recht schnell wieder getrocknet.

“Ich hätte es mehr als vertretbar gefunden, wenn es einen Restart gegeben hätte“, meinte Nissan-Werksfahrer Maximilian Günther. „Es war noch früh am Tag und ich verstehe nicht, warum wir das Rennen nicht weitergeführt haben.“ Eine maximal erlaubte Dauer zwischen dem Rennstart und dem offiziellen Ende ist im Reglement der Formel E nicht zu finden. In der Formel 1 beträgt die maximale Dauer eines Rennens inklusive roter Flaggen drei Stunden.

Darf ein Unfall-Fahrer das Rennen gewinnen?

Aufgrund des Rennabbruchs in New York griff der Artikel 41.9 im Sportlichen Reglement, der besagt: 'Kann das Rennen nicht wieder aufgenommen werden, erfolgt die Ergebnisermittlung am Ende der vorletzten Runde vor der Runde, in der das Signal zur Unterbrechung des Rennens gegeben wurde.' Somit wurde Envision-Pilot Cassidy als Sieger gewertet und Vandoorne sowie di Grassi auf dem Podium, obwohl das Trio in Kurve 6 verunfallt war.

Dass Pole-Setter Cassidy als verdienter Sieger gesehen wurde, wollte niemand bezweifeln. Ein Beigeschmack blieb aber doch bei einigen Fahrern angesichts der Tatsache, dass nur einige wenige Autos gecrasht waren, während sich der Rest schadlos hielt. Allerdings stand das Wasser gerade vor Kurve 6 in diesem Moment derart stark auf der Strecke, sodass es die vorderen Autos unweigerlich erwischen musste, während die dahinterliegenden Autos eher reagieren konnten. So kamen Edo Mortara und Robin Frijns auf P4 und P5 gerade noch durch die Kurve.

“Wenn die Leute aus dem Rennen crashen, sollten sie nicht klassifiziert werden“, fand Jaguar-Pilot Sam Bird. „Ich finde das ziemlich schwierig und bin sicher, dass es im nächsten Fahrer-Briefing ziemlich herzhaft zur Sache gehen wird. Wenn du im Qualifying rote Flaggen auslöst, verlierst du all deine Runden. Das ist die Regel. Wie kannst du dann im Rennen für rote Flaggen sorgen und trotzdem gewinnen? Wir hätten 45 oder 60 Minuten warten und dann weiterfahren sollen.“

Elkins über Abbruch-Regel: Klingt komisch, ist aber so

Hintergrund der Rennabbruch-Regelung ist, dass die vorletzte Runde vor einem Rennabbruch in der Theorie den 'fairsten' Zeitpunkt abbilden soll, um den realen Zustand eines Rennens bis dato wiederzugeben. „Es ist knifflig“, zeigte Rennleiter Elkins Verständnis für den Ärger einiger Fahrer. „Ich bin ehrlich, die Teams haben da schon einen Punkt. Aber wie die Regeln jetzt aufgeschrieben sind, sind sie sehr eindeutig. Die Regeln sagen, dass wir zur vorigen Runde zurückkehren. Das haben wir gemacht. Das mag komisch klingen, aber so sind nun einmal die Regeln.“

Wenig überraschend hätten sich eine Fortsetzung des Rennens vor allem die Fahrer gewünscht, die vom Ausfall der vorderen Autos profitiert hätten. Neben Bird machte auch Jaguar-Teamkollege und Titelanwärter Mitch Evans kein Geheimnis aus seinem Unmut. Pascal Wehrlein hingegen profitierte zwar vom Abbruch, weil ihm auf dem Weg in Kurve 6 der Nissan-Pilot Sebastien Buemi ins Heck knallte und sein Porsche nicht mehr fahrbereit gewesen wäre.

Wehrlein sagte aber: „Für mich war das gut, ich wäre ja defnitiv draußen gewesen. Trotzdem glaube ich, wenn man als Erstplatzierter crasht und dann das Rennen gewinnt, ist das auch nicht optimal. Ich bin da zwiegespalten. Für mich war es gut, aber wenn ich mir das Gesamtbild anschaue... schwierig.“

Wehrlein: „Full Course Yellow komplett falsche Entscheidung“

Was den früheren DTM-Champion und Formel-1-Fahrer aber wirklich ärgerte, war die Entscheidung der Rennleitung, kurz vor dem Abbruch und den Unfällen eine Full-Course-Yellow- statt einer Safety-Car-Phase auszurufen. Zum Hintergrund: Bei einer FCY-Phase wird ein 5-Sekunden-Signal runtergezählt, bevor alle Autos auf 50 km/h runterbremsen müssen. Diese kurze Spanne nutzen Fahrer gerne bis zum letztmöglichen Moment, um auf dem Gaspedal zu bleiben...

Wehrlein zu ProSieben: „Full Course Yellow war die komplett falsche Entscheidung. Man hat schon kaum noch was gesehen und da ist jemand gecrasht. Ich verstehe nicht, warum man nicht einfach ein Safety Car macht und das Rennen neutralisiert. Dann können die Leute langsam verzögern und versuchen nicht, unter Full Course Yellow im letzten Moment reinzubremsen. Dass man versucht, im letzten Moment zu bremsen, wenn in der Kurve davor drei Leute in der Wand hängen, verstehe ich auch nicht.“

Renndirektor Elkins hätte sich rückblickend mit Blick auf die Umstände nicht für eine andere Wahl entschieden: „Wir riefen eine Full Course Yellow aus, um zu versuchen, es zu entschärfen. Der Regen kam so schnell. Laut Vorhersage sollte er in 15 Minuten eintreffen. Aber tatsächlich kam er innerhalb von drei Minuten. Ich bin ehrlich, das hat uns etwas auf dem falschen Fuß erwischt. Wir haben so schnell wie möglich reagiert. Aber die Entscheidungen waren die richtigen zu dieser Zeit.“