Die Formel-E-Saison 2022 geht in die heiße Phase. Zum Finale der achten Saison reist Stoffel Vandoorne mit 36 Punkten Vorsprung auf Mitch Evans in die südkoreanische Hauptstadt Seoul. Zwar gilt Vandoorne als heimlicher Titelfavorit, doch rechnerisch haben noch vier Piloten die Chance auf den Titel.
Und die Vergangenheit der Formel E hat schon so einige Überraschungen im Titelfinale geliefert. Allein vergangenes Jahr konnten im letzten Rennen noch 14 Piloten um den Titel kämpfen. Wie diese und weitere verrückte Titelkämpfe endeten, beleuchtet Motorsport-Magazin.com
Saison 2 (2015/16): Schnellste Runde entscheidet Meisterschaft
Es bleibt wohl auf ewig das verrückteste Finale in der Geschichte der Formel E. Am 03. Juli 2016 kämpfen Lucas di Grassi im Abt-Audi und Renault-Pilot Sebastien Buemi im Battersea Park von London um den Gewinn der Meisterschaft. Nur drei Punkte trennen die beiden Kontrahenten vor dem großen Finale in der britischen Hauptstadt. Der frühere Formel-1-Fahrer Buemi sichert sich die Pole Position und zieht mit den Extra-Punkten in der Tabelle gleich, di Grassi lauert auf Startrang drei. Dann passiert das Unglaubliche und bis heute kontrovers Diskutierte: Di Grassi rauscht Buemi in der ersten Kurve ins Heck! Beide Fahrer schleppen ihre havarierten Boliden ohne jede Chance auf ein Top-10-Ergebnis an die Box. Di Grassi wäre zu diesem Zeitpunkt Meister.
Für Buemi bleibt eine letzte Möglichkeit, den Titel doch noch zu holen, denn: Zwei Extra-Punkte gibt es damals laut Reglement für die schnellste Rennrunde. So kommt es zu einem unglaublichen Shoot-Out der schnellsten Runden um den Titel, während auf der Strecke der Kampf um den Rennsieg weitertobt.
Di Grassi legt in der achten Rennrunde vor. Buemi bleibt im ersten Versuch im Verkehr stecken, schafft im zweiten Anlauf aber seinerseits die schnellste Rennrunde. Beide Fahrer steuern immer wieder die Box an und warten dort auf eine freie Runde. Sechs Umläufe vor Schluss versucht di Grassi zu kontern, muss die Runde aber nach einem Fahrfehler abbrechen. Dem Brasilianer bleibt noch eine Chance, doch er verpasst Buemis Bestzeit um gerade einmal 0,051 Sekunden. So ist es der Schweizer, der in der 2. Saison über den Meistertitel jubeln darf.
Saison 3 (2016/17): Buemis legendärer Ausraster
Erneut sind Sebastien Buemi und Lucas di Grassi die Protagonisten im Duell um die Meisterschaft. Sechs Siege des Schweizers in den ersten acht Saisonrennen riechen nach einer Vorentscheidung, bis Buemi das vorletzte Rennwochenende in New York wegen einer Terminüberschneidung mit dem WEC-Lauf auf dem Nürburgring verpasst. Di Grassi holt in den USA 22 Punkte auf, reist aber mit immer noch zehn Zählern Rückstand zum Saisonfinale nach Montreal. Dann wird es dramatisch beim Auftakt zum Double-Header auf dem kanadischen Stadtkurs.
Im Training fliegt Buemi nach einem Fahrfehler heftig ab, zerstört seinen Renault und muss mit einem eilig aufgebauten Ersatzauto samt 10-Platz-Strafe von der zwölften Position ins Samstagsrennen starten. Buemi gelingt eine Aufholjagd bis auf den vierten Platz, doch nach di Grassis Start/Ziel-Sieg platzt dem Renault-Rivalen völlig der Kragen. Es sind legendäre Bilder, als Buemi von den TV-Kameras begleitet durch die Boxengasse wütet und so ziemlich jeden Fahrer beschimpft, der ihm vor die Flinte kommt.
Zuerst muss der gänzlich unbeteiligte und entsprechend verdutzte Antonio Felix da Costa ("Ich bin sicher, dass du es warst!") dran glauben. Später bekommen auch dessen Andretti-Teamkollege Robin Frijns ("Spiel nicht mit deinem Leben!") und Abt-Pilot Daniel Abt ("Ganz schmutzig, Junge!") ihre verbale Abreibung. Buemi bringen die wilden Diskussionen aber nichts: Nach dem Rennen wird er wegen eines untergewichtigen Autos disqualifiziert. Im Sonntagsrennen reicht di Grassi der siebte Platz zum Titelgewinn, während Buemis Laune nach P11 einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Saison 1 (2014/15): Senna macht Piquet zum Champion
"Ähm, habe ich die Meisterschaft gewonnen?", lautete Nelson Piquet Juniors erste Reaktion nach dem letzten Rennen der Debütsaison der Formel E. Ja, hatte er, nachdem der Brasilianer am 28. Juni 2015 im Londoner Battersea Park als erster Champion in die Geschichtsbücher der Elektro-Rennserie eingegangen war. Mit nur einem Punkt Vorsprung setzt sich der Sohn des dreifachen Formel-1-Weltmeisters Nelson Piquet gegen Sebastien Buemi durch - in einem wahrlich dramatischen Finale vor 30.000 Zuschauern im umgebauten Stadtpark der britischen Metropole.
Und das Narrativ hätte kaum besser sein können: Ausgerechnet ein Senna verhilft einem Piquet zum Titelgewinn, in diesem Falle Bruno Senna. Geschichtsträchtig, schließlich verband Piquets Vater Nelson und Sennas Onkel Ayrton einst eine tiefe Feindschaft zu ihren Formel-1-Zeiten. Auf dem engen Kurs im Battersea Park wehrt sich Bruno Senna in der letzten Rennrunde mehrfach mit aller Robustheit inklusive Kontakten gegen Verfolger Sebastien Buemi beim Kampf um den vierten Platz, der dem Schweizer zur Meisterschaft verholfen hätte.
Weil Buemi nicht über P5 hinauskommt und auch die zwei Extra-Punkte für die schnellste Rennrunde verpasst, reicht Piquet Junior der siebte Platz für den Titelgewinn. Der einst aus der F1 geflogene Brasilianer, in der Formel E für das damalige China Racing/NEXT-EV und heute als NIO bekannte Team am Start, hatte seine Hoffnungen nach Startplatz 16 in Folge eines verregneten Qualifyings bereits begraben. Mit der schlechtesten Ausgangslage der Titelanwärter um Buemi und Lucas di Grassi war er ins Rennen gestartet - und triumphierte dank einer großen Aufholjagd mit denkbar knappem Vorsprung.
Saison 5 (2018/19): Krieg der Titelrivalen
Beim Saisonfinale in New York tobt ein offener Krieg zwischen den Titelanwärtern DS Techeetah und dem Audi-Werksteam. Den Höhepunkt erreicht die Rivalität, als der spätere Meister und Titelverteidiger Jean-Eric Vergne im Samstagsrennen mit einem Funkspruch eine große Kontroverse auslöst. Der Franzose hatte seinen Renningenieur mehrfach aufgefordert, Teamkollege Andre Lotterer anzuweisen, sein Auto auf der Strecke anzuhalten und dadurch eine Safety-Car-Phase auszulösen.
Der heutige Porsche-Fahrer hatte zuvor Vergne nicht ausweichen können und ihn am Heck getroffen. Beide Techeetahs müssen ihre Autos an der Box reparieren lassen, doch während Vergne in der Führungsrunde zurückkehrt, bleibt Lotterer wenig später mit einem Schaden auf der Strecke liegen. Vergne, der wegen des Vorfalls weit zurückgefallen war, hätte von der Zusammenführung des Feldes durch das Safety Car profitiert.
Eine deutsche Boulevard-Zeitung schreibt noch während des Rennens von einem Skandal und auch die Rennleitung wird aktiv. Am darauffolgenden Sonntagmorgen - vor dem titelentscheidenden Finalrennen - die Entscheidung: Vergne bekommt wegen unsportlichen Verhaltens einen Tag Sozialstunden aufgebrummt. Im Fahrerlager machten zuvor Gerüchte über einen Ausschluss aus der Meisterschaft die Runde... Vergne kommt mit der Argumentation durch, dass er sich Sorge um seine und die Sicherheit anderer Fahrer gemacht habe. Dass sein Renningenieur die Aufforderungen ignorierte, rettet den Ex-Formel-1-Fahrer möglicherweise vor einer wesentlich härteren Strafe.
Bei einem berüchtigten Frühstücks-Interview im Hotel am Morgen nach dem Titelgewinn versichert Vergne, dass er gesehen habe, wie "Audi mit einem Geldumschlag" zu den Stewards gegangen sei, um Protest einzulegen. Das stimmt allerdings so nicht und der damalige Audi-Motorsportchef Dieter Gass geht im Interview mit uns hart gegen Vergne vor: "Sportliches Verhalten ist für mich etwas anderes. So einen Quatsch zu erzählen und zu sagen, er habe sich Sorgen um die Fahrer gemacht... Sorry, das kann doch kein Mensch glauben!"
Saison 7 (2020/21): 14 Titelanwärter!
Titelfavorit Mitch Evans kam beim Start auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof nicht vom Fleck, Titelanwärter Edoardo Mortara knallte dem Jaguar-Piloten unverschuldet, aber mit voller Wucht ins Heck - beide Meisterschaftsgegner noch vor der ersten Kurve raus! Als sich wenig später auch noch Lucas di Grassi und Antonio Felix da Costa - beide mit guten WM-Aussichten - gegenseitig aus dem Rennen nahmen, war das Chaos perfekt. Dass aus den Top-7 der Schlusstabelle nur Spitzenreiter de Vries im letzten Rennen punktete, passte perfekt zum höchst kuriosen Saisonverlauf, der darin gipfelte, dass theoretisch 14 der 24 Piloten Chancen auf den Gewinn der Weltmeisterschaft hatten. Am Ende entschied Nyck de Vries die erste offizielle Formel-E-Weltmeisterschaft für sich.
diese Formel E Nachricht