Als 44. Deutscher betritt Pascal Wehrlein 2016 die große Bühne der Formel 1. Seine Rennfahrer-Karriere zeichnete sich bereits früh ab. Als Achtjähriger begann er mit dem Kartsport und gewann von 2005 bis 2008 viermal in Folge die DMV-Bundesmeisterschaft. 2010 wechselte das Talent aus Sigmaringen in das ADAC Formel Masters, wo er für das Team Mücke Motorsport an den Start ging und als Rookie sofort Platz 6 in der Gesamtwertung belegte.
Im Jahr darauf dominierte Wehrlein die Nachwuchsserie mit acht Siegen in 24 Rennen. Dass es am Ende "nur" 21 Punkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten waren, lag auch an drei Disqualifikationen, die den Erfolgsweg von Wehrlein auch nicht bremsen konnten. Sein Gesamtsieg bedeutete auch den Premierentitel für Mücke im Formel Masters. Durch den Erfolg für höhere Aufgaben berufen, ging Wehrlein 2012 den nächsten Schritt auf der Karriereleiter und wechselte in die Formel 3, blieb seinem Berliner Team jedoch treu. Der Erfolg ließ auch dort nicht lange auf sich warten. Mit einem Sieg und neun weiteren Podestplätzen wurde Wehrlein auf Anhieb Vizemeister der Formel-3-Euroserie, elf Punkte hinter seinem späteren Mercedes-DTM-Markenkollegen Daniel Juncadella.
Pascal Wehrlein: DTM-Debüt mit 18 Jahren
2013 verließ der damals 18-Jährige vorübergehend den Formelsport und wechselte mit Mücke in die DTM, wo er einen Mercedes pilotierte. An die sofortigen Erfolge der vorhergehenden Jahre konnte er jedoch nicht sofort anknüpfen, mit lediglich drei Punkten belegte er Rang 22 der Gesamtwertung. Dennoch gab ihm das Topteam HWA einen Platz für 2014. Wehrlein nutzte das in ihn gesetzte Vertrauen und so feierte er am Lausitzring seinen ersten DTM-Sieg, als bis dato jüngster Rennsieger in der Geschichte der Traditionsrennserie. Die Saison beendete der Schwabe auf Rang 8. Zudem schnupperte er als offizieller Testfahrer des Mercedes-Formel-1-Teams erstmals Formel-1-Luft.
Den bislang größten Erfolg seiner jungen Karriere konnte Wehrlein 2015 feiern. Nach einer konstant starken Saison mit zwei Siegen, insgesamt fünf Podestplatzierungen und nur einem Ausfall krönte sich der neue und bei den Kollegen nicht immer beliebte „Mercedes-Star“ im Alter von 20 Jahren zum jüngsten Champion der DTM. Aufgrund seines großen Talents und Förderung von Mercedes rankten sich jedoch immer wieder Gerüchte um ein mögliches Formel-1-Cockpit. Nachdem bekannt wurde, dass Mercedes ab 2016 Motoren an das Hinterbänkler-Team Manor liefert, galt der britische Rennstall als erste Adresse für Wehrlein. Im Februar 2016 folgte die Bestätigung, dass der 21-Jährige seine erste Formel-1-Saison bestreiten wird.
Überzeugendem Formel-1-Debüt folgt das schnelle Ende
In seiner Debütsaison in der Königsklasse machte Wehrlein eine beachtlich gute Figur. Im unterlegenen Manor schaffte er fünf Mal den Sprung ins Q2, hatte seine Teamkollegen Rio Haryanto und Esteban Ocon über weite Strecken im Griff und holte zur Krönung in Österreich einen Punkt für seinen Arbeitgeber. Nachdem er zur Jahresmitte bereits bei Force India im Gespräch war, erhielt dort allerdings Ocon den Zuschlag für 2017. Für den Mercedes-Junior schienen zunächst nur noch Manor und Sauber als Optionen zu bleiben, bis Rosberg seinen F1-Rücktritt bekanntgab. Wehrlein durfte sich zunächst berechtigte Hoffnungen auf einen Platz im Silberpfeil machen, die Verantwortlichen entschieden sich schließlich für den Finnen Valtteri Bottas. Stattdessen brachte Mercedes Wehrlein für 2017 bei Sauber unter.
Dort setzte sich Wehrlein gegen Neu-Teamkollege Marcus Ericsson durch, wurde für 2018 allerdings dennoch durch Ferrari-Junior Charles Leclerc ersetzt, nachdem Sauber und Ferrari ihre Zusammenarbeit intensivierten. Eine letzte Chance auf einen F1-Verbleib für 2018 bot sich bei Williams, doch das Team entschied sich gegen den Deutschen, sodass sich Wehrlein anderweitig umsehen musste.
Wehrlein: Von Mahindra zum Porsche-Werksfahrer
Der Durchbruch in der „Königsklasse“ blieb Wehrlein trotz starker Leistungen verwehrt. Vom Testfahrer für die legendäre Scuderia Ferrari wechselte er als Werksfahrer in das noch junge Formel-E-Team von Porsche, allerdings nicht ohne bereits Erfahrungen in der innovativen Elektrorennserie gesammelt zu haben: Für zwei Saisons hatte er im indischen Mahindra-Team das Starterfeld aufgemischt. Was folgte, war der Beginn einer neuen deutschen Motorsport-Erfolgsgeschichte.
„Ich bin noch kein alter Hase, aber eben auch kein Rookie mehr“, meinte Wehrlein, als Porsche für die Formel-E-Saison 2020/2021 einen neuen Piloten suchte. Eine attraktive Mischung für den Stuttgarter Sportwagenhersteller. Und siehe da: Der Erfolg stellte sich ein. Schon bei seinem siebten Rennen mit Porsche gelang ihm der Sprung aufs Podium, und in der Folgesaison war es Wehrlein, der den ersten Sieg für Porsche unter Dach und Fach brachte – vor spektakulärer Kulisse in Mexico City und direkt vor seinem damaligen deutschen Teamkollegen André Lotterer.
Porsche und Wehrlein merzen Qualifying-Schwäche aus
Als Porsche mit Einführung der hocheffizienten Gen3-Version des Porsche 99X Electric der entscheidende Performance-Sprung gelang, etablierte Wehrlein sich an der Spitze der Formel E. Trotzdem reichte es im Vorjahr noch nicht zum Titel, unter anderem wegen zu inkonstanter Leistungen im Qualifying, das aufgrund seines K.o.-Formats besonders mental absolute Spitzenleistungen verlangt.
Für die Saison 2023/24 merzten der Porsche-Werksfahrer und die Weissacher Werksmannschaft die Schwächen weitgehend aus. In Mexiko gelang mit einer Pole-Position und einem dominanten Sieg nicht nur ein Saisonauftakt nach Maß, sondern auch ein Ausrufezeichen gegenüber der Konkurrenz. Dass besonders die Qualifying-Schwächen des Piloten mit der Startnummer 94 aussortiert waren, bewiesen alle folgenden Rennwochenenden: Wehrlein behauptete sich als bester Qualifyer der Saison. Wenige Fehler und vor allem viel Pech durch Berührungen im engen Formel-E-Feld bescherten der WM dennoch ein dramatisches Finale.
„Das ganze Team hat einen sensationellen Job gemacht, extrem ruhig und konzentriert – alle von uns, aber besonders auch Pascal“, kommentierte Teamchef Florian Modlinger nach dem nervenaufreibenden Samstagsrennen in London, bei dem Wehrlein mit einer beeindruckenden Leistung und seinem dritten Saisonsieg die WM-Führung zurückeroberte. Er selbst witzelte noch am Donnerstag in der Boxengasse: „Am liebsten hier mag ich den Flughafen“ – in Anspielung auf ein für ihn äußerst unglücklich verlaufenes Saisonfinale in London im Jahr zuvor.
Emotionaler Jubel nach Formel-E-Titel
Und tatsächlich: Nach seinem Samstagerfolg knackte Wehrlein auch am Sonntag das neuseeländische Jaguar-Doppel Mitch Evans und Nick Cassidy – mit null Fehlern und einem Maximum an Druck, schließlich waren beide vor ihm ins alles entscheidende Rennen gestartet und hatten somit die besseren Karten im WM-Finale. „Soleya, Daddy ist Weltmeister!“, schrie Wehrlein nach der Zieldurchfahrt hörbar erlöst durch den Team-Funk. Platz zwei im Rennen reichte – eine sportlich wie mentale Punklandung und auch emotional ein besonderes Highlight für den ruhigen und introvertierten Top-Athleten.
Erst im vergangenen Jahr brachte Pascals Schweizer Partnerin Sibel Töchterchen Soleya zur Welt. Die junge Familie, die inzwischen ein Haus in Kreuzlingen am Bodensee auf Schweizer Boden gebaut hat, sorgt für noch mehr Stärke auf der Rennstrecke.
Mit seinem großartigen Erfolg in London ist Wehrlein der erste deutsche Formelsport-Weltmeister seit Nico Rosberg 2016. Nach einem kurzen Familienaufenthalt in der englischen Neun-Millionen-Metropole kehrte er und seine beiden Liebsten zurück in die Schweiz. Zwei Tage nach seinem bisher größten Triumph erklärte Wehrlein gelassen wie eh und je im Interview-Marathon: „Nach dem Rennen selbst habe ich zugegebenermaßen nicht allzu lange mitgefeiert – aber zurück zu Hause gibt es ganz sicher noch einmal eine kleine Party mit Freunden und Verwandten.“
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