Während mit Sam Bird im McLaren überraschend ein Fahrzeug mit Nissan-Power das vierte Formel-E-Saisonrennen in Sao Paulo gewann, hatte Porsche in den Schlussrunden nichts mit dem Kampf um den Sieg zu tun. Und das, obwohl Werksfahrer Pascal Wehrlein das Rennen nach einem denkbar knappen Qualifying (0,002 Sekunden Vorsprung auf Stoffel Vandoorne) von der Pole Position in Angriff genommen hatte.

In den finalen Runden duellierte sich Wehrlein intensiv mit dem Andretti-Kundenporsche von Weltmeister Jake Dennis um den letzten Podestplatz. Die letzten Kurven fuhren die beiden 99X Seite an Seite - und öffneten so die Tür für Oliver Rowlands Nissan. Auf Start/Ziel setzte sich der Brite neben Dennis und Wehrlein und ließ beide in einem spektakulären Fotofinish hinter sich: Beim Zieleinlauf trennten die drei Piloten nur 0,182 Sekunden. Wehrlein wurde Vierter, Dennis musste sich mit P5 begnügen.

Formel E Sao Paulo 2024: Die verrückte letze Runde im Video (03:11 Min.)

Florian Modlinger: Gute Position nicht genutzt

"Wir haben es in der Rennmitte versäumt, weiter nach vorne zu fahren", wurde Wehrlein nach Rennende in einer Pressemitteilung des Teams zitiert. Dass Wehrlein die Führung zu Rennbeginn überhaupt abgegeben hatte, lag in der Charakteristik des Rennens in Sao Paulo begründet. Wie erwartet kehrte beim Rennen im Südosten Brasiliens das exzessive Energiesparen des Vorjahres zurück, sodass zu Rennbeginn niemand führen wollte, um den Windschatten des vorausfahrenden Autos nutzen zu können und so Energie zu sparen.

Wehrlein gab freiwillig bereits in der dritten Runde die Führung mit der Aktivierung seines ersten, zweiminütigen Attack Modes ab - Teamkollege Antonio Felix da Costa, der sich von Startplatz acht schnell nach vorne gearbeitet hatte, übernahm die Spitze. Als in Runde sieben das erste Safety-Car ausgerufen wurde, befand sich Wehrlein auf Position zwei, direkt hinter Felix da Costa, der sich noch keine Zusatzleistung abgeholt hatte.

Antonio Felix da Costa führt im Porsche vor Teamkollege Pascal Wehrlein
Zu Rennbeginn konnte Porsche eine Doppelführung für sich verbuchen, Foto: LAT Images

"Das Ziel für Antonio war es, schnell voranzukommen, was er gemacht hat. Und das Ziel war dann, die Autos in der Top-Gruppe zu halten, was wir geschafft haben", sagte Porsche-Teamchef Florian Modlinger zu The Race. Dennoch habe Porsche in Wehrleins Rennen schon früh im Rennen den ersten Fehler begangen: "Alles lief nach Plan, wir haben nur unsere gute Position nicht genutzt. Hinter Antonio her zu fahren und nicht die Führung übernehmen zu wollen, war nicht richtig."

Porsche: Kein Weg zurück an die Spitze

Nach der Aktivierung seines zweiten, sechsminütigen Attack Modes fiel Wehrlein hinter Mitch Evans (Jaguar) und Bird (McLaren) zurück. Als in der 16. von 34 Rennrunden nach einem Mauereinschlag von Nick Cassidy (Jaguar) zum zweiten Mal das Safety-Car ausgerufen wurde, lag Wehrlein hinter den beiden Piloten auf P3, Felix da Costa war auf Platz fünf zurückgefallen.

Schon einige Runden zuvor funkte Wehrleins Renningenieur Fabrice Roussel: "Lass uns überholen. Wir müssen uns bewegen, wir haben mehr Energie als alle anderen." Doch das Rennen nahm immer mehr an Fahrt auf, das Überholen gestaltete sich in der Folge schwierig. Nach dem Re-Start setzte Wehrlein Evans zwar rundenlang unter Druck, vorbei kam er jedoch nicht. "Als das Überholen durch die Safety-Car-Phasen immer schwieriger wurde, waren wir leider nicht zur Stelle", meinte Modlinger.

Sam Bird führt im Sao Paulo ePrix vor Mitch Evans und Pascal Wehrlein.
Pascal Wehrlein fand an Mitch Evans kein Vorbeikommen, Foto: LAT Images

Stattdessen verlor Wehrlein fünf Runden vor Schluss auch noch Platz drei an Dennis, nachdem er auf Start/Ziel in Folge eines zunächst unbekannten, technischen Problems kurzzeitig stark an Vortrieb verloren hatte. Diese Situation nutzte sein britischer Rivale sofort aus und zog problemlos vorbei.

Auch Porsche mit Temperatur-Problemen

Im Schlussspurt war Porsche wie die Konkurrenz von Temperatur-Problemen geplagt, die schon im Duell um den Sieg zwischen Bird und Evans mitentscheidend waren. Bei den Zuffenhausenern schienen die Probleme jedoch weitaus ausgeprägter zu sein. Gerade Dennis musste im Schlussspurt abreißen lassen und kämpfte mit hohen Batterie-Temperaturen.

Ein Blick auf die Rundenzeiten verdeutlicht dies: Während Dennis nach dem Cassidy-Safety-Car bis zur 32. Runde nie eine langsamere Rundenzeit als 1:16.665 Minuten gefahren war, verlangsamte er in der vorletzten Runde auf eine Zeit von 1:17.011 Minuten. In der letzten Runde ein weiterer Einbruch: Hier fuhr Dennis nur noch eine Zeit von 1:18.991 Minuten - und das, obwohl er im Ziel noch zwei Prozent Rest-Energie hatte, während Bird, Evans und Wehrlein allesamt mit nur knapp mehr als null Prozent die Ziellinie überquerten.

Jake Dennis: Mehr als 100 PS weniger als die Konkurrenz

Wehrlein-Teamkollege Felix da Costa musste schon einige Runden zuvor verlangsamen und wurde von Rowland überholt (P6 im Ziel), während Wehrlein selbst scheinbar besser mit den hohen Temperaturen umgehen konnte und Dennis dicht auf den Fersen blieb. "Ich hatte am Ende wahrscheinlich mehr als 100 PS weniger als die anderen, ich war so langsam auf den Geraden", erklärte Dennis gegenüber Autosport.

In der letzten Runde versuchte Wehrlein ähnlich dem Vorbild Bird ein Überholmanöver auf der Außenbahn der vorletzten Kurve. Doch Dennis ließ nicht locker und drückte ihn beinahe in die Mauer. So konnten beide in der letzten Kurve nur eine sehr enge Linie nebeneinander fahren und weniger Schwung auf Start/Ziel mitnehmen. Rowland profitierte als lachender Dritter dieses Dreikampfs und sicherte sich Rang drei.

Pascal Wehrlein und Jake Dennis: Hält der Burgfrieden?

"In den letzten Runden wurde Jake langsamer, hat sich aber auch ziemlich hart verteidigt", so Modlinger. "Sie waren ziemlich aggressiv und haben sich gegenseitig auf die Innenseite von Kurve elf gedrängt", stellte auch Rowland fest.

Ein besonders heikles Duell, da Dennis und Wehrlein schon im vergangenen Jahr im WM-Kampf aneinandergerieten, zwischenzeitlich herrschte komplette Funkstille. Mittlerweile sollen die Wogen wieder geglättet sein, die Fahrer von Porsche und Andretti tauschen sich sogar in einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe aus.

Trotz der Enttäuschung über das verpasste Podest verweist Wehrlein auf die positiven Ergebnisse in Sao Paulo, allen voran im Qualifying - die altbekannte Schwäche der Zuffenhausener: "Es ist eine gute Sache, über P4 enttäuscht zu sein. Wir sind jetzt die besten Qualifier, was unser großes Ziel von letztem zu diesem Jahr war." In der Formel-E-Meisterschaft belegt Wehrlein nach 4 von 16 Saisonrennen mit vier Punkten Rückstand auf Nick Cassidy den zweiten Rang. In der Team-WM belegt Porsche ebenfalls Platz zwei, 35 Zähler hinter dem Jaguar-Werksteam.