Die Formel E erlebte am Samstag in Sao Paulo eine faustdicke Überraschung: Sam Bird gewann im von Nissan-Power angetriebenen McLaren den Sao Paulo ePrix. Es war der erste Sieg für den Briten seit dem New York City ePrix 2021 und der Premierensieg für McLaren in der Elektro-WM. Bird feierte seinen zwölften Formel-E-Sieg, womit ihm nur noch ein Sieg fehlt, um in der ewigen Siegerliste mit Sebastien Buemi und Lucas Di Grassi (beide 13 Siege) gleichzuziehen.

Dementsprechend euphorisch zeigte sich Bird nach Rennende: "Das bedeutet so viel für alle bei McLaren. Jeder kann jetzt den Fortschritt sehen, der langsam passiert." Nur wenige Kurven vor der Ziellinie überholte Bird mit einem spektakulären Überholmanöver den Jaguar von Mitch Evans, mit dem er sich in den Schlussrunden von Sao Paulo vom restlichen Feld abgesetzt hatte.

Sam Bird: Ende einer Leidenszeit

Für den 37-Jährigen ist es ein wichtiger Sieg nach seinem Wechsel zu McLaren nach zuvor schwierigen Jahren bei Jaguar. Besonders 2022 (51:180 Punkte) und 2023 (95:197 Punkte) ging er im Teamduell mit Mitch Evans unter, den er nun ausgerechnet in Sao Paulo überholte. Zu allem Überfluss verursachte Bird in der abgelaufenen Saison zwei teaminterne Kollisionen mit Evans in Hyderabad und Jakarta, die Evans möglicherweise den WM-Titel kosteten.

Wenig überraschend war Ende 2023 Schluss bei Jaguar, Nick Cassidy ersetzte Bird. "Das ist einer der spezielleren Siege für mich, aufgrund dessen, was ich durchleben musste, um in diesem Stuhl zu sitzen", sagte Bird deshalb in der offiziellen Pressekonferenz nach Rennende.

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Formel E Sao Paulo 2024: Highlights und Zusammenfassung (05:02 Min.)

Erster Sieg seit Mercedes-Ausstieg

Auch für die Mannschaft von McLaren-Teamchef Ian James ist es ein besonderer Moment: Es ist der erste Sieg nach dem Ende als Mercedes-Werksteam. McLaren übernahm 2023 das Team der Silberpfeile, nachdem der deutsche Automobilhersteller sein Engagement in der Formel E nach zwei WM-Titeln Ende 2022 beendet hatte. Aus dem Werksteam wurde ein Kundenteam: McLaren setzt seit dem Beginn der Gen3-Ära 2023 auf Nissan-Antriebsstränge.

Das Team musste den Formel-1-Standort von Mercedes in Brackley verlassen und ist aktuell auf zwei Standorte im britischen Bicester und am Sitz des McLaren-Formel-1-Teams in Woking aufgeteilt. Der Kern des Weltmeisterteams blieb so bestehen, auch Teamchef James blieb an Bord. Nun gelang in Sao Paulo der erste Sieg mit der neuen Identität. Zugleich wurde Antriebspartner Nissan der erste Sieg seit dem Berlin ePrix 2020 beschert. Oliver Rowland sorgte im Werks-Nissan auf P3 zudem für das erste Doppel-Podium mit Nissan-Power seit der Übernahme des Formel-E-Engagements von Schwesterkonzern Renault 2018.

Sam Bird: So gelang ihm der Sieg in Sao Paulo

Bird hatte den ePrix ursprünglich von der fünften Position gestartet und arbeitete sich in der Anfangsphase des Rennens schnell nach vorne. Wie erwartet kehrte in Sao Paulo das exzessive Energiesparen zurück, sodass zu Rennbeginn niemand führen wollte und die Führung munter hin und her wechselte. In der vierten von 34 Rennrunden setzte sich Bird erstmals an die Spitze und behielt diese auch nach seiner ersten, zweiminütigen Attack-Mode-Aktivierung.

Sam Bird führt im McLaren das Rennen an
Führte das Rennen schon früh an: Sam Bird, Foto: LAT Images

Noch vor dem ersten Safety-Car aufgrund von Trümmerteilen, löste Bird seinen zweiten, sechsminütigen Attack Mode aus und fiel auf Platz vier zurück. Nach dem Ende des Safety-Cars am Ende der achten Runde, lösten alle vor ihm fahrenden Autos ihren Attack Mode aus und Bird übernahm in Runde zehn abermals die Führung. Nachdem er sich aus taktischen Gründen zwischenzeitlich zurückfallen ließ, führte er auch zum Zeitpunkt des zweiten Safety-Cars nach dem Unfall von Nick Cassidy das Rennen an (Runde 16).

Sam Bird in Sao Paulo: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Diese Position stellte sich als goldrichtig heraus, denn schon vor dem zweiten Safety-Car nahm das Energie-Sparen ab und das Rennen an Fahrt auf. Während Bird in den ersten zehn Runden nie die Rundenzeit von 1:19 Minuten unterbot, fuhr er ab Runde 15 (mit Ausnahme der Safety-Car-Phase und der letzten Runde) nur noch Rundenzeiten, die schneller als 1:17 Minuten waren.

Dementsprechend verteidigte Bird nach dem Ende des Cassidy-Safety-Cars die Spitzenposition - bis kurz vor dem Rennende. In Runde 28 überholte Evans in Kurve vier Bird. Während die Porsche-Konkurrenz hinter dem Spitzenduo in den letzten Runden abbauen musste, zogen Evans und Bird davon. Bird ließ bis zum Ende nicht locker und setzte schließlich in der letzten Runde das entscheidende Überholmanöver.

Mitch Evans führt vor Sam Bird und Jake Dennis im Sao Paulo ePrix 2024.
Mitch Evans konnte Sam Bird nicht hinter sich halten, Foto: LAT Images

Mitch Evans: War wie in einem Gen1-Auto

Mitentscheidend war, dass Evans' Jaguar in den letzten Runden bei hohen Temperaturen in Sao Paulo gegen Überhitzung ankämpfen musste. "Wir hatten noch ordentlich Energie, aber in der letzten Runde habe ich leider batteriebedingt an Leistung verloren durch die hohen Temperaturen", erklärte Evans, der von dem Ausmaß der Probleme überrascht wurde: "Ich habe mich in der letzten Runde wie in einem Gen1-Auto gefühlt. Ich habe das mit der Batterie in dieser Serie noch nie zuvor so stark erlebt." Deshalb konstatierte Evans: "Selbst ohne das Manöver wäre er wahrscheinlich noch an mir vorbeigekommen."

Auch McLaren litt unter Temperaturproblemen. Bird-Teamkollege Jake Hughes musste sein Auto sogar drei Runden vor Schluss abstellen. Auch Bird wurde per Funk angewiesen, das Auto zu kühlen. Doch dem Mann aus Roehampton gelang es dennoch, Evans zu überholen. "Ich habe gesehen, wo er vom Gas gegangen ist, und dachte mir 'Jetzt oder nie'", so Bird.

So gelang dem McLaren-Piloten ein Ausrufezeichen, der nun der zweitälteste Sieger der Formel-E-Geschichte ist und sich in TV-Interviews kämpferisch zeigte: "Da steckt noch Leben in diesem alten Hund."