Paukenschlag in der Formel E: Mercedes verkündete am Mittwochvormittag das Ende seines Werksengagements nach der Saison 8. Motorsport-Magazin.com hatte erstmals beim Finale der Elektrorennserie am vergangenen Wochenende in Berlin exklusiv über das mögliche Aus des Teams berichtet. Das Formel-1-Engagement bleibt von der Entscheidung unberührt. Dieses soll auch in der Zukunft als schnellstes Entwicklungslabor und als Prüfstand für nachhaltige und skalierbare zukünftige Performance-Technologien dienen.
Der Mercedes-Konzern gab Ende Juli seine neue strategische Ausrichtung bekannt, wonach er noch vor Ende des Jahrzehnts plant, seine Fahrzeugpalette vollständig zu elektrifizieren, wenn es die Bedingungen in den unterschiedlichen Märkten zulassen. Mercedes verteilt seine Ressourcen aus dem Formel-E-Programm um und lässt damit die in der Elektrorennserie gesammelten Erkenntnisse in die Serienproduktion einfließen. 2025 sollen drei neue Elektro-Architekturen für Straßenfahrzeuge entstehen.
Der Elektrorennstall des traditionsreichen Autobauers aus Stuttgart wird die Formel E damit nach drei Saisons verlassen. In den bislang 26 bestrittenen ePrix der Saisons 6 und 7 hat die Truppe von Teamchef Ian James vier Siege eingefahren, den ersten beim großen Finale des vergangenen Jahrs in Berlin. Die nun in der Bundeshauptstadt zu Ende gegangene Saison war für Mercedes das bisher erfolgreichste Rennjahr in der Formel E. Nyck de Vries gewann den ersten WM-Titel der Elektrorennserie in der Fahrerwertung. Gemeinsam mit seinem Teamkollegen Stoffel Vandoorne fuhr er auch den Gesamtsieg in der Teamwertung ein.
"Wir hatten in den vergangenen Saisons das große Glück, beim Aufbau eines klassenführenden Formel E Teams auf die Unterstützung von Mercedes-Benz zählen zu dürfen", sagt James. "Deshalb möchte ich mich ausdrücklich bei ihnen für das Vertrauen und die Unterstützung bedanken, sowohl auf unserem bisherigen gemeinsamen Weg als auch bis zum hoffentlich erfolgreichen Abschluss von Saison 8 mit einem weiteren Kampf um die Weltmeisterschaft. Obwohl Mercedes-Benz sich dazu entschlossen hat, die Serie zu verlassen, wissen wir um den Wert und die Stärke der Formel E. Aus diesem Grund werden wir die besten Optionen für das Team prüfen, um auch über die Saison 8 hinaus an der Formel E teilzunehmen."
Formel-E-Gründer Alejandro Agag bedauert Mercedes' Ausstieg. Der Spanier wird auf der Website der Rennserie wie folgt zitiert: "Wir danken dem Mercedes-Team für die Unterstützung, seitdem es zur Formel-E-Weltmeisterschaft gestoßen ist. In der EU und in Großbritannien stehen die Automobilkonzerne vor Vorschriften, die den Übergang zu einer vollständig elektrischen Zukunft vorschreiben. Das stärkt die Vision der Formel E."
Optionen für Team-Zukunft werden geprüft
Mercedes verkündete, dass die Teamleitung bereits damit begonnen habe, Optionen zu prüfen, um den Rennstall nach der Saison 8 weiterzuführen. Danach werden nicht mehr die aktuellen Gen2-Boliden verwendet, sondern die nächste Generation der Fahrzeuge. Zu den möglichen Optionen zählt ein Verkauf an neue Besitzer. Am vergangenen Wochenende erfuhr Motorsport-Magazin.com im Fahrerlager von Berlin von Spekulationen, wonach das Team in Verbindung mit Venturi fortgeführt werden können. Auch ein privater Entry von Toto Wolff scheint zumindest nicht ausgeschlossen.
Ebenfalls wurde in Berlin spekuliert, dass Aston Martin anstelle von Mercedes das Team nach dem Ausstieg führen könnte. Toto Wolff besitzt in Form von Aktien Anteile von 0,95 Prozent an dem britischen Sportwagenbauer mit einem Wert von knapp 15 Millionen Euro. Aston Martin kehrte in dieser Saison in die Formel 1 zurück und erhält von Mercedes Kundenmotoren.
Der aktuelle Formel-E-CEO Jamie Reigle sagt: "Mercedes war während der Gen2-Ära ein geschätzter Partner der Formel-E-Weltmeisterschaft. Wir freuen uns darauf, mit dem Team zusammenzuarbeiten, um Optionen für eine Gen3-Epoche zu erforschen, die 2023 beginnt. Sechs der weltweit führenden Hersteller engagieren sich für die Technologie-Roadmap der Gen3 und den wachsenden globalen Kalender. In Zusammenarbeit mit der FIA werden wir ein finanzielles Reglement einführen, um die finanzielle Nachhaltigkeit der Formel-E-Teams und -Hersteller zu stärken und sicherzustellen, dass unser Sport auch weiterhin die treibende Kraft beim Übergang zur Elektromobilität bleibt."
Eine Erfolgsserie wie in der Formel 1 mit sieben WM-Titel in der Fahrer- und der Konstrukteurswertung in Folge wird es in der Formel E damit nicht geben. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff bekräftigte dennoch, dass das Team seine im Januar 2022 startende letzte Formel-E-Saison mit vollem Einsatz bestreiten wird: "Wir können auf unsere Erfolge in der Formel E stolz sein, ganz besonders das WM-Double, das wir am vergangenen Wochenende in Berlin gewonnen haben. Dieser Erfolg wird als ein historischer Meilenstein in die lange Rennsportgeschichte von Mercedes-Benz eingehen. Jetzt werden wir alles dafür geben, um sicherzustellen, dass wir unser Formel-E-Abenteuer in der Saison 8 erfolgreich beenden."
Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Daimler AG und der Mercedes-Benz AG, verantwortlich für Konzernforschung, COO Mercedes-Benz Cars betont: "Die Formel E war ein guter Weg, um unsere Kompetenz im Motorsport zu demonstrieren und unsere Marke Mercedes-EQ zu etablieren. In Zukunft werden wir den technologischen Fortschritt - besonders im Hinblick auf Elektroantriebe - mit Fokus auf die Formel 1 vorantreiben. Dort steht unsere Technologie ständig auf dem Prüfstand und das im intensivsten Wettbewerb, den es in der Automobilwelt gibt - und der Stern strahlt selten heller als dort. Die Formel 1 bietet großes Potenzial für Technologietransfer, wie wir bei aktuellen Projekten wie dem Vision EQXX sehen. Zudem werden unser Team sowie die gesamte Serie bis zum Ende des Jahrzehnts klimaneutral sein."
Mercedes zog verspätete Gen3-Option
Mercedes nutzt die Formel E, um seine Elektrosparte 'EQ' zu positionierten. Beim Formel-1-Engagement steht die Sportmarke 'Mercedes-AMG' im Vordergrund. "Die Formel E hat uns in den vergangenen beiden Jahren die Möglichkeit gegeben, die Marke Mercedes-EQ in einem hochgradig endemischen und wirklich innovativen Format zu präsentieren. Aus strategischer Sicht positionieren und stärken wir jedoch Mercedes-AMG als unsere Performance-Marke, gerade durch deren enge Zusammenarbeit mit dem rekordbrechenden Formel-1-Team", sagte Bettina Fetzer, Marketingchefin der Mercedes-Benz AG.
In seinem Statement auf der Formel-E-Website unterstreicht Agag: "Die Formel E ist die erste und weltweit einzige klimaneutrale Meisterschaft, die eine unvergleichliche Technologie- und Marketingplattform bietet. Sie zeigt die Zukunft der Elektromobilität weltweit in ikonischen Stadtzentren. Wir freuen uns darauf, die Meisterschaft gemeinsam mit unseren Partnern, Teams und Herstellern weiterzuentwickeln. Sie teilen unser Engagement für eine elektrische Zukunft."
In den vergangenen Monaten positionierte sich Mercedes bezüglich der Zukunft in der Formel E nicht eindeutig. Auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com teilte ein Sprecher Anfang Juni mit, dass das Team eine Option gezogen habe, um an den Rahmenbedingungen für die in der Saison 2022/23 startende Gen3-Ära mitzuwirken. Ein Bekenntnis für eine langfristige Teilnahme an der Elektrorennserie sei dies allerdings nicht. Mercedes war damals ein Nachzügler. Interessierte Teams konnten sich bereits bis 31. März dieses Jahres einschreiben, um am Reglement mitzuarbeiten.
HWA erkundete für Mercedes die Formel E
Teamchef James sagte nach dem Ablauf der Frist zu Motorsport-Magazin.com: "Während die jüngsten Diskussionen zu Schlüsselthemen wie der Umsetzung einer Kostenobergrenze für die Formel E weitgehend positiv waren, gibt es noch wichtige Details zur Struktur der Serie, die derzeit geklärt werden. Aus diesem Grund wurde beschlossen, unsere Registrierung zu verschieben, damit diese Punkte endgültig festgelegt werden können."
Vor dem offiziellen Werkseinstieg in der Saison sechs absolvierte HWA die Vorhut. Mit einem Kundenantrieb von Venturi machte sich die Mannschaft aus Affalterbach mit den Abläufen in der Formel E vertraut. Der vor allem aus der DTM bekannte Rennstall führte anschließend den Einsatz als Werksteam aus. Im November 2020 teilte die börsennotierte HWA AG in einer Adhoc-Meldung mit, dass sie den Mercedes-Auftrag in der Formel E nach der Saison 7 verliere. Sie werde lediglich in deutlich reduziertem Umfang weiterhin kleinere Engineering-Dienstleistungen für den Konzern erbringen.
Der Hintergrund: Mercedes plante, den Formel-E-Einsatz ab der Saison 8 vollständig in Eigenregie zu betreiben. Das Team sollte deswegen im britischen Brackley angesiedelt werden. Dort ist auch die Heimat des Formel-1-Rennstalls von Mercedes.
Mercedes setzte auf Formel-1-Personal
Bei der Vorbereitung des Formel-E-Debüts setzte Mercedes auf etablierte Namen. Der zweifache DTM-Champion Gary Paffett bestritt gemeinsam Stoffel Vandoorne, der zuvor zwei Saisons in der Formel 1 am Start war, die 'Testsaison' mit HWA. Paffett ist heute noch als Berater mit dem Team verbunden. Seine Aufgaben im Management sind so elementar, dass er in diesem Jahr bei Terminüberschneidungen von DTM- und Formel-E-Veranstaltungen der Elektrorennserie den Vorzug gab. In der DTM war der Brite als Fahrer von Mücke Motorsport vorgesehen.
Mit Tony Ross, zuvor Renningenieur von Nico Rosberg und Valtteri Bottas, wurde die Position des Chefingenieurs von Beginn an mit einem hochkarätigen Mitarbeiter aus der Königsklasse des Motorsports besetzt. Teamchef James war zuvor mehrere Jahre bei Mercedes-AMG High Performance Powertrains in Brixworth tätig. Im Juli 2020 stieß zudem Nick Chester als Technischer Direktor zum Team. Der Brite kann auf eine 30-jährige Laufbahn in verantwortlichen Positionen für verschiedene Formel-1-Teams vorweisen.
In der Mitteilung zum Ausstieg sagte Wolff dazu: "Wir sind bei unserem Einstieg in die Formel E unvoreingenommen an die Serie und ihren innovativen Ansatz im Motorsport herangegangen. Dabei haben wir viel harte Arbeit in das Team investiert, um es aufzubauen und konkurrenzfähig zu machen. Das Ergebnis ist eine fantastische Truppe an talentierten Frauen und Männern, die Leistungen auf dem allerhöchsten Niveau abliefern."
Mercedes ist nach Audi und BMW der dritte deutsche Autohersteller, der sein Werksprojekt in der Formel E beendet. Von den vier Premiummarken aus der Bundesrepublik, die in den vergangenen beiden Saisons antraten, hat sich lediglich Porsche zu einem langfristigen Einsatz in der Gen3-Ära bekannt.
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