Es war das perfekte Beispiel für den äußerst kuriosen Verlauf der sechsten Formel-E-Saison. Im letzten Rennen in Berlin sicherte sich Stoffel Vandoorne die Vize-Meisterschaft, obwohl er vor dem Start den neunten Platz in der Gesamtwertung belegt hatte. Der riesengroße Sprung des Mercedes-Piloten zeigte, wie eng es in der Elektro-Rennserie 2019/20 zuging.

Den Vize-Titel hinter dem bereits feststehenden Champion Antonio Felix da Costa machte Vandoorne mit seinem ersten Sieg in der Formel E sowie dem ersten für Mercedes perfekt. Das letzte der sechs Rennen in Berlin innerhalb von neun Tagen führte der Belgier von der ersten bis zur letzten Runde durchgehend an.

"Damit ist ein kleiner Traum wahrgeworden", sagte Vandoorne, der den Sieg zuvor mit seiner ersten Pole Position in der Formel E eingeleitet hatte. "In Berlin hatten wir einige Probleme, eine Runde zusammenzubringen und gute Ergebnisse im Qualifying zu erzielen. Das war ein bisschen frustrierend, weil wir da zuvor ziemlich gut waren. Heute fühlte ich mich wohl und es hat alles gepasst."

Tatsächlich tat sich Vandoorne schwer, auf den drei unterschiedlichen Streckenlayouts in Berlin eine schnelle Runde zusammenzusetzen. Zwei Einzügen in die Superpole-Runde standen vier Qualifyings außerhalb der Top-10 zu Buche. Mit vier Punktefahrten zeigte Vandoorne hingegen eher in den Rennen das Potenzial des Mercedes, der in Berlin mit einer schwarzen Grundlackierung versehen war.

Auf der anderen Seite der Garage das Gegenteil: Nyck de Vries überzeugte in den Qualifyings, tat sich dafür aber in den Rennen auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof schwer. Viermal zog der amtierende Formel-2-Champion in die Superpole ein, verpasste aber dreimal die Top-10 im Rennen. Hinter Vandoorne erzielte er im letzten Berlin-Lauf seinen ersten Podestplatz in der Formel E.

"Eine Genugtuung nach dieser Achterbahn-Saison", sagte de Vries. "Das ist eine echte Erleichterung, mir ist bei der Zieldurchfahrt ein Stein vom Herzen gefallen. Ich war oft nah dran an einem Podestplatz, aber bis heute hat es leider nie sollen sein. Umso schöner ist es, dass es mir jetzt am Ende dieses langen und anstrengenden Marathons endlich gelungen ist."

Möglicherweise hätte de Vries sogar um den Sieg kämpfen können. Nachdem er in der Schlussphase Nissan-Pilot Sebastien Buemi hinter sich gelassen hatte, nahm er die letzten Runden mit einem leichten Energie-Vorteil in Angriff. Zu einer Attacke auf den Teamkollegen kam es jedoch nicht. "Wir sollten Energie sparen, um einen Puffer fürs Rennende aufzubauen", erklärte de Vries.

Den Debütsieg im letzten Rennen der Saison zu gefährden, wäre aber sicherlich nicht im Interesse aller Beteiligten gewesen. Und so schloss Mercedes seine erste Saison in der Formel E als Werksteam auf dem dritten Gesamtrang hinter DS Techeetah und Nissan ab.

"Wir wussten immer, dass die Formel E eine sehr komplexe Serie ist", sagte Mercedes-Teamchef Ian James. "Zuerst hatten wir gute Ergebnisse, dann waren wir auf einmal im Niemandsland. Es ist toll, dass wir uns beim Saisonfinale zurückmelden konnten. Wir gehen nicht davon aus, dass es in der kommenden Saison einfacher wird."