Der Countdown läuft: Nur noch sechs Rennen, dann ist die Formel-1-Saison 2009 schon wieder vorbei. Die Schlussphase beginnt in Spa-Francorchamps, auf einer der letzten Natur- und Mutrennstrecken. "Es wird sicher ein spannendes Rennwochenende. Das Wetter macht es noch würziger", erwartet Alex Wurz. Denn schon ohne Regen ändert sich das Kräfteverhältnis in diesem Jahr von Wochenende zu Wochenende. "Die Formel 1 dreht sich so schnell um, es ist nicht vorhersehbar."

Die Prognosen für den Belgien GP decken sich trotzdem, wobei niemand die beiden Siegerteams der letzten beiden Rennen - Brawn GP und McLaren Mercedes - ganz oben auf der Rechnung hat. "Red Bull sollte auf schnellen Kursen das schnellste Auto haben", analysiert Ex-Weltmeister Niki Lauda. "Bei Brawn hängt es davon ab, wie warm sie ihre Reifen bekommen und McLaren darf man nicht unterschätzen, obwohl sie nicht den gleichen Vorteil haben werden wie in Valencia."

Auf schnellen Kursen sei der McLaren noch nicht top. "Ferrari wird auch vorne mitfahren. Es dreht sich alles anders und wird interessant sein, wie es ausgeht." Wurz bestätigt die Einschätzung seines Landsmanns: "Die Highspeed-Kurven kommen Red Bull entgegen und die kühleren Streckentemperaturen sprechen gegen Brawn GP."

Red Bull: Motorenzittern

Sechs Rennen, zwei frische Motoren - so sieht die Ausgangslage für Sebastian Vettel aus. Der Deutsche ist nach den beiden Motorschäden von Valencia stark gehandicapt. Er und sein Teamchef Christian Horner gehen davon aus, dass sich eine Strafversetzung für einen neunten Motor in den letzten Saisonrennen nicht vermeiden lassen wird. Dabei hatte der Motorschaden in Valencia zumindest etwas Gutes: Sein Rennen war schon vorher durch den verpatzten Tankstopp zerstört. So wurde ihm nicht auch noch der Belgien GP durch einen Motorschaden kaputt gemacht.

Viel kann sich Vettel davon natürlich nicht kaufen. Wenigstens die Experten machen ihm Mut: "Ich gehe davon aus, dass Red Bull in Belgien sehr stark sein wird", glaubt Christian Danner. "In Spa werden wir sicher wieder Jacken anziehen müssen", kennt Christian Klien das Wetter in den Ardennen, das sollte Red Bull ebenso entgegen kommen wie die schnellen Kurven des längsten GP-Kurses im Rennkalender. "Also wird Red Bull wieder stark sein. Es ist eine sehr schnelle Strecke mit schnellen Kurven, die dem Red Bull liegen. Dort sollten sie sicher wieder vorne dabei sein."

Brawn GP: Temperatur-Gewissheit

Nach drei Rennen, in denen Brawn GP unfreiwillig untergetaucht war, schlug Rubens Barrichello mit seinem ersten Saisonsieg zurück. Brawn war wieder ganz vorne. "Aber erst in Spa wird sich zeigen, ob sie ihr Temperaturthema wirklich im Griff haben", betont Danner. In Valencia waren die Temperaturen hoch, so dass das Team nicht hundertprozentig sagen kann, ob die Veränderungen respektive Rückrüstung wirklich den erhofften Effekt hatte.

Barrichello ist nach seinem Sieg beflügelt. Vom WM-Titel sprach er ohnehin immer, jetzt geht es gleich um Siege in den letzten sechs Rennen. "Ich habe immer positiv gedacht", sagt er. "Ich bin ein harter Arbeiter und ich genieße es, ein Rennen wie dieses gewinnen zu können - und hoffentlich kann ich die nächsten sechs auch gewinnen."

Das möchte sein Teamkollege verhindern. Jenson Button geriet zuletzt in die Kritik. Lauda mutmaßte, dass es am Briten liege, dass er nicht mehr die Leistungen des Saisonstarts abrufen könne. "Ich bin mir nicht sicher, ob sich bei Button seit der Türkei psychologisch etwas verändert hat", sagt Buttons Freund David Coulthard. "Vielleicht hat er etwas entwickelt, was den Yips beim Golf ähnlich ist. Er ist aber in keinem Fall mehr dieser geschmeidige Dominator vom Saisonbeginn."

Wurz sieht Button trotzdem als Top-WM-Favoriten. "Er hat die besten Karten." Und er will in Belgien wieder voll angreifen: "Ich werde nach Spa reisen und aggressiver sein", kündigt Button an. "Und das auf alle Arten, nicht nur beim Fahren, sondern bei der Strategie und mit den Reifen."

McLaren: Endgültiger Durchbruch?

McLaren Mercedes war das Aufsteigerteam der letzten Grand Prix. Wer das mit Fakten untermauert haben möchte, lauscht den Statistiken von Mercedes-Benz Motorsportchef Norbert Haug: "Von 36 möglichen Punkten holte McLaren Mercedes bei den letzten beiden Rennen 27 Punkte - und war damit das erfolgreichste Team." Wem das noch nicht reicht, der darf sich auch noch die verlängerte Zugabe zu Gemüte führen: "Lewis bleibt nach 46 Rennen weiterhin der Fahrer im Feld, der in dieser Zeit, seit Saisonbeginn 2007, die meisten Punkte und Siege holte und er startete knapp bei der Hälfte all seiner Formel 1-Rennen aus Reihe eins. Nur zweimal kam Lewis nicht ins Ziel. Heikki zeigte mit Startplatz zwei und Rang vier im Rennen zuletzt einen guten Aufwärtstrend.

Aber geht es in Spa-Francorchamps auch so weiter? "Bei McLaren wird es sehr interessant, ob das neue Aero-Paket auch in schnellen Passagen arbeitet, was in Silverstone zum Beispiel überhaupt nicht der Fall war", zweifelt Wurz am Aufwärtstrend der Silberpfeile. Bislang war McLaren nur auf Strecken gut, die viele Kurven hatten, geringe Höchstgeschwindigkeiten aufwiesen und nach viel Abtrieb verlangten. Spa ist bekanntlich ein ganz anderes Kaliber. "Unser Ziel muss es sein, in allen verbleibenden Rennen gegen Red Bull und Brawn zu kämpfen. Ob wir das schaffen, werden wir sehen", zweifelt selbst Martin Whitmarsh noch etwas an der Umsetzung des Plans.

Auch Haug räumt ein, dass der Belgien GP möglicherweise weniger erfolgreich verlaufen könnte als die letzten beiden Rennen. "Vielleicht überraschen wir in Spa, vielleicht sind wir gehandicapt", sagt er, ergänzt aber: "Wir waren schon am Nürburgring gut, wo es schnelle Kurven gibt." In Ungarn sei man die Meßlatte gewesen, in Valencia habe nur Rubens Barrichello einen Tick besser abgeschnitten. "Sonst war keiner da, der uns hätte schlagen können. In Spa kann das anders sein."

Ferrari: Ein-Mann-Show

Zur Saisonmitte wurde Ferrari noch von McLaren dafür gelobt, nach dem katastrophalen Saisonstart schneller und besser aufgeholt zu haben. Bei den letzten Rennen setzte die Scuderia den Trend mit Podestplätzen fort - an einen Sieg, wie bei McLaren, war jedoch nicht zu denken. Trotzdem erwartet Haug die Roten als starken Gegner in Belgien. "Ferrari wird besser sein. Sie haben KERS und Kimi Räikkönen war in Spa immer stark. Es gibt etliche Teams, die dort gut sein werden." Auch die Aussagen von der Einstellung der Entwicklung glaubt er nicht ganz.

Kimi Räikkönen beruft sich dennoch darauf: "Es wird schwierig, wenn man bedenkt, dass wir die Entwicklung des Autos eingestellt haben und uns auf die neue Saison konzentrieren." Trotzdem möchte der Finn ein Spa-Francorchamps die Form der letzten beiden Rennen aufrechterhalten. "Wir müssen wieder auf das Podium fahren", fordert er. Seine Trumpfkarte hat erneut vier Buchstaben: "Wir haben am Start immer noch KERS!"

Gleichzeitig hat Ferrari aber auch nur ein Auto, welches das Team in den Kampf um WM-Punkte für die Konstrukteurswertung schmeißen kann. Luca Badoer wird auch auf der ihm bekannten Strecke in Spa kaum plötzlich drei Sekunden schneller fahren als bei seinem Comeback in Valencia. Im Duell gegen McLaren um WM-Rang 3 ist das ein Handicap. So muss Räikkönen dafür sorgen, dass aus der italienischen Ein-Mann-Show die finnische Eis-Mann-Show wird.