Lewis Hamilton musste herzhaft lachen. "Das ist okay, Ron. Mach Dir keine Sorgen", funkte er auf der Ehrenrunde an den Kommandostand. Von dort hatte sich Ron Dennis gerade bei seinem Piloten entschuldigt. "Tolle Leistung, Lewis. Es tut uns leid, dass wir es Dir etwas schwieriger gemacht haben, als es nötig war. Aber so konntest Du ein tolles Auto voll ausfahren, hoffentlich hast Du es genossen." Dem anschließenden Lachen nach zu urteilen, hat er es.

Eine andere Unterhaltung per Funk hätte beinahe dafür gesorgt, dass Hamilton das Lachen nach Rennende vergangen wäre. Timo Glock war gerade in der Mauer gelandet, Trümmerteile lagen verstreut auf der Start- und Zielgeraden und mit Bernd Mayländers Safety Car hatte ein dritter Mercedes Hamilton die Führung entrissen. Als die Boxengasse öffnete, sah Hamilton auf einer Videoleinwand, wie sein Teamkollege Heikki Kovalainen und ein Ferrari an die Box fuhren, ein Vorgang, den Hamilton in diesem Rennen noch einmal vor sich hatte.

Da er sich nicht sicher war, ob das eine Wiederholung des ersten Boxenstopps war, fragte er bei seinem Team nach, und zwar doppelt: "Seid Ihr Euch sicher, dass wir nicht auch an die Box sollen?" Das Team antwortete mit ja. "Wir liegen gut, sie werden sehr, sehr schwer sein und im Verkehr stecken, also sollten wir den nötigen Vorsprung herausfahren können."

Hamilton rächte sich auf dem Podium..., Foto: Sutton
Hamilton rächte sich auf dem Podium..., Foto: Sutton

Als Hamilton am Boxeneingang vorbeifuhr, zuckte selbst Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche kräftig zusammen. "Ich hatte noch längere Zeit Zuckungen", gestand er. Hamilton hatte keine Zeit zum Zucken. Das Team verlangte von ihm, einen Vorsprung von 23 Sekunden herauszufahren. "Ich wusste, dass das in dieser kurzen Zeit unmöglich war." Er versuchte es trotzdem, schaffte aber nur einen Vorsprung von 13,7 Sekunden. Wieder meldete sich sein Team per Funk: "Keine Sorge, wir können es immer noch schaffen."

Die positive Stimmung übertrug sich auf den Fahrer. "Ich wusste, wir hatten an diesem Wochenende das beste Auto und es fiel mir nicht schwer, so zu attackieren." So hatten weder Felipe Massa noch Nelsinho Piquet eine Chance gegen Hamilton. "Das waren Überholmanöver wie aus dem Lehrbuch", freute sich der neue WM-Spitzenreiter. "Natürlich wäre mir ein ruhiger Nachmittag lieber gewesen, aber es hat auch so funktioniert."

Strategischer Fehler

Ron Dennis hatte es bereits in seinem Funkspruch nach der Zieldurchfahrt eingestanden, später wiederholte es Norbert Haug noch einmal: "Natürlich hätten wir Lewis im Nachhinein gesehen reinholen sollen." Aber Hamilton habe das für das Team geregelt. Die Entscheidung fiel aufgrund der großen Restspritmenge im Tank des McLaren.

"Allerdings gingen wir davon aus, dass die Strecke nach dem Unfall schneller gereinigt und das Rennen früher wieder frei gegeben würde", erklärte Dennis den Gedankengang. Damit habe man sich das Leben selbst schwer gemacht, aber wenigstens Überholmanöver geboten.

Ende gut, alles gut? Keke Rosberg wollte die Fehler übertünchenden McLaren-Lobeshymnen nicht unkommentiert stehen lassen. "Ron Dennis' Aussage, man hätte es sich selbst schwer gemacht, heißt auf Deutsch nichts anderes als: Wir haben absolut versagt", kritisierte der Ex-Champion. "Es war ein brutaler Fehler, Lewis in der Safety-Car-Phase nicht rein zu holen. Es ist fast ein Wunder, dass er gewonnen hat, obwohl das Team versucht hat, es zu verhindern."

Ungewöhnlicher Speed

Ferrari hatte keine Chance gegen McLaren., Foto: Sutton
Ferrari hatte keine Chance gegen McLaren., Foto: Sutton

Die Fehler waren eine Seite des silbernen Tages, die überlegene Pace die andere. "Lewis fuhr in einer eigenen Liga. Sein Speed war besser als ich es mir je erträumt hätte", jubelte Norbert Haug. "Wenn er vorne fährt, geht die Post ab." Ron Dennis verriet, dass man auf den weichen Reifen sogar noch schneller hätte fahren können, den Speed aber zügelte. Selbst Felipe Massa gab zu: "Seine Pace schien unschlagbar zu sein."

Davon war nicht nur der Brasilianer überrascht. "Es gab absolut keine Anzeichen dafür", sagte Hamilton. "Wir wussten nicht, dass wir so viel schneller als Ferrari sein würden." Auch Haug war davon positiv überrascht. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir deutlich schneller sein würden." Dafür habe es in keinem Training ein Anzeichen gegeben. "Aber ich unterschätze Ferrari nicht, sie werden ein starker Gegner bleiben."

Kimi Räikkönen sieht sein Team nicht in einer Krise. "Aber wir müssen herausfinden, ob wir den richtigen Entwicklungsweg eingeschlagen haben." Auch Massa glaubt nicht, dass McLaren sich so sehr gesteigert habe. "Sie sind sicherlich besser geworden, aber ich glaube, dass wir eher einen Rückschritt gemacht haben." Das bemerkte auch Mario Theissen, der anmerkte: "Wir waren heute so schnell wie Ferrari. McLaren war an diesem Wochenende am schnellsten, aber ich habe mich gewundert, dass wir im Rennen die gleiche Pace wie Ferrari hatten."

Teamchef Stefano Domenicali wird sich noch eine Weile darüber wundern. "Das ist einer der kritischen Punkte an diesem Wochenende." Normalerweise sei McLaren auf einer schnellen Runde, also im Qualifying, schneller als Ferrari, aber im Rennen drehe sich das Bild um und Ferrari habe die konstantere und schnellere Rennpace. "Heute war das leider nicht der Fall." Im Gegenteil: angesichts der geringeren Benzinmenge von Hamilton im ersten Stint war Massas Qualifyingzeit extrem gut. Der Brasilianer war nur knapp zwei Zehntel langsamer, blieb aber fünf Runden länger draußen. Jetzt müsse man das Rennen analysieren, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen. "Diesen Fehler dürfen wir auf keinen Fall begehen."

Die 11 Fragezeichen

War das Stallregie bei McLaren?
"Ich halte nichts von Stallregie, eine Nummer 2 ist kein Thema bei uns", sagte Norbert Haug nach dem Rennen. Zeitgleich lobte die silberne Führungsetage von Dennis über Whitmarsh bis Haug den sportlichen und fairen Teamplayer Kovalainen, der dem schnelleren Hamilton nicht den Sieg mit einem Positionskampf zerstörte. "Das Team hat mir im Funk gesagt, dass Lewis hinter mir schneller ist", verriet Kovalainen. "Mehr musste man mir nicht sagen. Aber ich finde das heute völlig in Ordnung. Er hat um den Sieg gekämpft. Mein Speed war nicht besonders berauschend und ich hätte ihn sowieso nicht mehr viele Runden hinter mir halten können."

Piquet feierte P2 wie einen Sieg., Foto: Sutton
Piquet feierte P2 wie einen Sieg., Foto: Sutton

Warum kam Hamilton so leicht an Massa vorbei?
Es sah fast so aus, als ob Felipe Massa seinen Verfolger Lewis Hamilton zum Manöver einladen wollte. Plötzlich zog er vor der Spitzkehre nach links und machte damit dem Briten die Tür innen auf. Michael Schumacher wollte das nicht so stehen lassen. "Einerseits hat Hamilton eine perfekte Leistung abgeliefert", sagte er. "Andererseits sieht es natürlich gut aus, wenn die anderen nicht so stark fahren." Denn Massa habe Probleme mit den Reifen und den Bremsen gehabt. "Es hat keinen Sinn gemacht, zu viel zu riskieren."

Aus Sicht von Massa sah das Überholmanöver so aus: "Ich sah ihn im Windschatten und versuchte so spät wie möglich zu bremsen, aber meine Bremsen waren nicht sehr gut und er ging an mir vorbei." Hamilton sei einfach viel schneller gewesen. Das bestätigte der McLaren-Pilot. "Ich war viel schneller als Felipe. Das Team sagte mir, dass ich zu diesem Zeitpunkt eine Sekunde schneller war." Also versuchte er so schnell wie möglich mit dem Vorteil der neuen Reifen vorbeizukommen. "Gegen Ende der Geraden schien er ähnlich schnell zu sein, also war es schwierig, an ihm vorbeizukommen. Aber er ließ mir viel Platz. Es hat Spaß gemacht."

Warum hätte Piquet beinahe gewonnen?
Kaum war Felipe Massa überholt, glaubte Lewis Hamilton wieder auf Siegkurs zu sein. Doch etwas fehlte noch: Nelsinho Piquet. "Ehrlich gesagt dachte ich, dass ich in Führung liege", gab Hamilton zu. "Ich dachte, dass meine Arbeit erledigt wäre." Erst dann bemerkte er, dass noch ein Fahrer vor ihm lag. "Das Team sagte mir über Funk: 'Du musst noch an Nelson vorbei.' Also sagte ich mir: Okay, ich habe mir gerade den Hintern aufgerissen, aber dann mache ich das eben auch noch."

Warum war Alonso so sauer?
Es war die chaotischste Phase des Rennens. Als fast alle Fahrer aus der Box herausstürmten, scherte Sebastian Vettel direkt vor Fernando Alonso ein und drückte den Spanier am Boxengassenausgang leicht über die weiße Linie. "Er reihte sich nicht korrekt in der Boxengasse ein", lautete die abgemilderte Fassung von Alonsos Beschwerde. Gerhard Berger sah nichts Schlimmes am Verhalten seines Fahrers: "Sebastian hat sich wie ein alter Profi verhalten, seine Linie gehalten und den anderen aussteigen lassen - wie es sich gehört." Keke Rosberg stellte vielmehr Alonso die Rute ins Cockpit: "Er hat sein südländisches Temperament gezeigt und ein paar Mal völligen Unsinn getrieben."

Barrichello fuhr sich den Flügel ab., Foto: Sutton
Barrichello fuhr sich den Flügel ab., Foto: Sutton

Warum konnte Kovalainen nicht mithalten?
"Mein Speed war nicht gut genug", sagte der Finne ehrlich. Er konnte nicht das Optimum aus den Reifen herausholen. Ron Dennis sprach noch von weiteren Problemen: "Heikki hatte anfangs Übersteuern, was wir bei seinem ersten Boxenstopp beheben wollten, doch er hatte danach immer noch leichte Probleme. Deshalb war er heute nicht so schnell wie Lewis." Das Hauptproblem waren jedoch die Reifen. "Meine Reifen haben nie so funktioniert, wie sie tun sollten", erklärte Kovalainen. Das trete im Rennen mit abgenutzten Reifen eher auf als im Qualifying.

Warum konnte Kubica am Ende nicht mehr mithalten?
Zu Rennbeginn war die Welt des Robert Kubica noch in Ordnung. Er machte drei Plätze gut und konnte ähnliche Rundenzeiten wie die McLaren und Ferrari fahren. "Aber plötzlich war mein Auto viel zu langsam. Meine Reifen konnten nicht mehr den nötigen Grip aufbauen, vielleicht weil sie nicht mehr auf Temperatur kamen." Das glaubt auch Mario Theissen. "Der letzte Reifensatz hat offenbar nicht funktioniert", sagte er. Willy Rampf erklärte sich das so: "Robert hatte mit dem schweren Auto und den Prime-Reifen Probleme, diese auf Temperatur zu bringen und konnte keine optimalen Rundenzeiten mehr fahren."

Wer trägt die Schuld: Barrichello oder Coulthard?
Plötzlich krachte es zwischen den beiden erfahrenen Hasen David Coulthard und Rubens Barrichello. Der Brasilianer kam besser aus der Kurve heraus und drängte herüber, der Schotte wollte zurück auf seine Linie in die nächste Kurve herein und es krachte. "Ich nehme an, er dachte nicht, dass ich das tun würde, deswegen hatte er sein Auto dort, aber das hat nicht funktioniert", sagte Coulthard. "Der Unfall war einfach Pech", meinte Barrichello. "Ich wollte ihn zu einer weiteren Linie zwingen, damit ich in Kurve 10 auf der Innenseite sein konnte, aber leider hat er mich nicht gesehen und wir haben uns berührt."

Wie geht es Glock?
Nach dem Unfall wurde Timo Glock im Medical Centre untersucht und später zu weiteren Untersuchungen in ein Krankenhaus gebracht, wo er auch über Nacht beobachtet wurde. Die ersten Untersuchungen ergaben, dass er keine Verletzungen hat, auch keine Gehirnerschütterung. Das Team ist zuversichtlich, dass er in Ungarn fahren kann und darf. Über die Unfallursache wollte Toyota keine Angaben machen. "Wir werden die Telemetrie studieren müssen und uns auch die Videos ansehen", sagte Teamchef Tadashi Yamashina. Auf den Videos wird er sehen, wie die rechte hintere Radaufhängung wegknickt.

Toyota ließ Trulli weiter fahren., Foto: Sutton
Toyota ließ Trulli weiter fahren., Foto: Sutton

Warum hat Toyota Trulli nicht reingerufen?
Nach dem Aufhängungsschaden an Glocks Auto zog Toyota das zweite Auto von Jarno Trulli nicht aus dem Rennen zurück. "Als das Safety Car draußen war und wir die Strategie gewechselt haben, kam Jarno an die Box sobald die Boxengasse offen war. Da hatten wir die Möglichkeit, Jarnos Auto visuell zu überprüfen, bevor es mit dem Rennen weiterging", so Yamashina. Die Inspektion beim Boxenstopp und auch die Telemetriedaten habe keinen Anlass zur Besorgnis gegeben.

Warum war Toyota für noch mehr Ausfälle verantwortlich?
Als Mark Webber während der Safety Car Phase mit einer Rauchfahne am Heck seines RB4 aus der Box kam, verhieß das nichts Gutes; kurz darauf parkte der Australier neben der Strecke. Eine defekte Ölkühlung hatte ihn gestoppt. Laut Christian Horner waren ein paar Trümmerteile auf der Strecke dafür verantwortlich. Auch Kazuki Nakajima sammelte Trümmerteile auf, was starkes Untersteuern und einen Platzverlust nach sich zog. Irgendwann lösten sich die Teile unter dem Auto von alleine.

Warum wurde Fisichella nachträglich bestraft?
Eine 25-Sekundenzeitstrafe warf Giancarlo Fisichella nach Rennende von Platz 14 auf 17 zurück. Der Grund: unerlaubtes Überholen des Safety Cars. Zwar ist es den Regeln gemäß erlaubt, sich zu entrunden, wenn die Rennleitung die entsprechend Anweisung dazu gibt, doch legte Fisichella seinen Boxenstopp vor dieser Nachricht ein und überholte das Safety Car beim Verlassen der Boxengasse ohne Genehmigung.