Es ist immer das gleiche: wenn eine Weltmeisterschaft in die entscheidende Phase geht, gibt es zwei Seiten - die Jäger und die Gejagten. Die einen betonen unablässig, dass es noch nicht vorbei sei, dass man sich noch immer in Acht nehmen müsse und dass schon ganz andere Titel verloren gegangen wären. Die anderen schwören darauf, dass sie niemals aufgeben werden, dass sie alles unternehmen werden, um das Unmögliche doch noch wahr zu machen, dass sie an das Wunder glauben.
Kimi Räikkönen glaubt. 17 Punkte muss er aufholen, gegen einen Gegner, der bislang in 15 Rennen kein einziges Mal ausgefallen ist, der nur einmal nicht in den Punkten landete - und gegen dessen Teamkollegen, dessen Bilanz nur unwesentlich schlechter aussieht. "Natürlich haben wir nur noch eine minimale Hoffnung auf den Titel", gesteht Kimi. "Aber es ist besser nur eine kleine Hoffnung zu haben als gar keine." Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. "Wir geben niemals auf. Niemals. Wir sind Kämpfer und das werden wir wieder beweisen." Am liebsten mit einem Sieg in China und noch einem beim Finale in Brasilien. Dann werde man ja sehen, ob vielleicht noch mehr drin ist, ob vielleicht ein Wunder möglich ist, ob die winzige Hoffnung doch belohnt wird.
Um so ein Wunder zu vollbringen, muss alles stimmen - die Zuverlässigkeit (die dieses Jahr bei Ferrari einige Male nicht stimmte), der Speed und die Risikobereitschaft. Genau das brachte den Roten in Japan viele Probleme ein und machte sie teilweise zum Gespött des Fahrerlagers. Wie konnte ein erfahrenes Team wie Ferrari bei solch schlechten Bedingungen nur mit Intermediates starten? "Es war ein großes Risiko", gesteht Räikkönen, "aber wir mussten es riskieren. McLaren liegt vorne, um den Titel zu holen, mussten wir sie überholen - dann muss man etwas anderes als der Gegner probieren." Nur wenn man vorne liege, gehe man auf Nummer sicher. David Coulthard sah die Reifenwahl trotzdem als schwerwiegenden Fehler an, der unter Ross Brawn und Michael Schumacher niemals gemacht worden wäre...
Lewis Hamilton war es recht. Er kann nun auf Nummer sicher gehen - sein Teamkollege nicht. "Durch meinen Ausfall in Japan wird der Kampf um die Weltmeisterschaft für mich schwierig", weiß Fernando Alonso. "Doch noch sind 20 Punkte zu holen und ich gebe nicht auf", bläst er ins selbe Horn wie Räikkönen. Vor einem Jahr war Alonso in einer ähnlichen Situation. Er jagte einen gewissen Michael Schumacher, der fiel beim vorletzten Saisonrennen in Suzuka aus, Alonso war der Titel so gut wie sicher. Die psychologische Kriegsführung beeinträchtigt den Doppelweltmeister nicht. "In diesem Stadium der Meisterschaft wird viel über Druck und Ablenkungen gesprochen, doch ich konzentriere mich ganz auf die beiden noch ausstehenden Rennen in Shanghai und Sao Paulo."
Auch Hamilton verdrängt den Druck der Nebenkriegsschauplätze - und davon gibt es bei McLaren einige. Die Streckenkenntnis spricht jedoch für Alonso. "Die letzten beiden Rennen finden auf Strecken statt, die ich noch nicht kenne", sagt Hamilton. "Aber das ist kein Problem, das war für mich in Melbourne, Montreal, Indianapolis und Fuji genauso, und ich habe alle vier Rennen auf dem Podium beendet." Den Titel hat er trotzdem noch nicht sicher. "Lewis ist in einer starken Position, aber für Fernando ist es noch nicht vorbei", betont Ron Dennis. "Obwohl Lewis in der besseren Situation ist, ist der Kampf für Fernando auf keinen Fall vorbei; beide gehen voll motiviert in das Rennen in China", bestätigt Martin Whitmarsh. Norbert Haug beugt derweil Gerüchten vor: "Unsere beiden Fahrer werden weiterhin gleiche Ausrüstung und Betreuung erhalten, wir wollen, dass die Entscheidung in der Formel-1-WM unter gleichen Voraussetzungen auf der Strecke herausgefahren wird - hart, fair und ohne Crashs." Kimi Räikkönen hofft auf genau das Gegenteil - denn in der F1 "kann alles passieren"; auch Wunder.
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