Kanada ist immer schuld - das meinen zumindest die Bewohner des kleinen Städtchens Southpark, die die Schuld aber ohnehin gerne auf alles andere abwälzen als auf sich selbst. Aber Kanada könnte am kommenden Wochenende wirklich schuld an etwas sein, nämlich daran, dass sich die Kräfteverhältnisse in der Formel 1 wieder etwas verschieben. Denn der Circuit Gilles Villeneuve hat mit dem Kurs in der Straßen von Monaco nur so viel gemein, dass er auch als Straßenkurs gilt - achja und Wasser ist auch noch drumherum.
Sonst ist aber irgendwie doch alles anders. Statt relativ langsam, wird relativ schnell gefahren, der Abtrieb ist nicht mehr auf Maximum sondern irgendwo in der Mitte und der Top Speed kann hier einen Unterschied machen, denn es gibt Geraden, die länger sind als eine Gucci-Boutique. Kein Wunder also, dass sich einige Teams eher zurückhaltend vor dem Rennen äußern, obwohl sie vor eineinhalb Wochen in Monte Carlo noch gut unterwegs waren. "Der MP4-22 war in Monte Carlo unglaublich gut, doch die Streckencharakteristik in Montreal ist eine ganz andere und deshalb reisen wir mit anderen Erwartungen nach Kanada", meint etwa McLaren Geschäftsführer Martin Whitmarsh.
Was darf man nun aber ähnlich erwarten, wie vor eineinhalb Wochen? Denn auch wenn die Strecken grundlegend verschieden sind, sind sie eben beide Straßenkurse, was zwei weitere Gemeinsamkeiten zur Folge hat. Erstens wird die Strecke eigentlich nur während des Formel 1-Wochenendes vom Motorsport genutzt. Dadurch ist das Gripniveau im ersten Training äußerst niedrig und zieht mit Fortdauer des Wochenendes an. Je mehr gefahren wird, desto mehr Gummiabrieb kommt auf die Strecke und desto mehr Grip finden die Fahrer. Das birgt eine Gefahr. "Deswegen muss man aufpassen, dass man dem Setup nicht zu sehr hinterher jagt", beschrieb sie Felipe Massa in seinem Blog vor dem Ausflug nach Kanada.
Und noch etwas ist ähnlich wie vor zwei Wochen. Teilweise sind die Mauern recht nahe neben der Strecke. Allerdings sind sie in Montreal nicht so eine ständige Gefahr wie in Monte Carlo, wo bereits ein paar Zentimeter zwischen Held und Verlierer entscheiden. Nur eine Mauer ist in Montreal wirklich so etwas wie berühmt, manche würden auch berüchtigt sagen. Denn am Ende der langen Geraden vor Start und Ziel, wo entweder die Boxengasse oder die Schikane zur Ziellinie wartet, ist einer der beliebtesten Überholpunkte. Deswegen wird in die Schikane hinein meist viel Risiko genommen und beim Herausbeschleunigen auf die Start-Ziel-Gerade sowieso. Schon mancher namhafte Pilot hat sich dort verschätzt und sein Auto in die Mauer gesetzt, weswegen sie auch den Namen "Wall of Champions" trägt.
Sollte der Fahrer allen Hindernissen ausweichen, dann warten aber noch die Herausforderungen an die mechanischen Teile des Autos. So wird auf mehr als zwei Dritteln der Strecke Vollgas gegeben, was an den Motoren manchmal nicht spurlos vorübergeht. Da manche Fahrer in Montreal das zweite Mal mit demselben Motor am Start sind, könnte da schon das eine oder andere Aggregat den Geist aufgeben. Doch die Bremsen sind fast noch mehr gefordert. Aufgrund der zahlreichen harten Bremsmanöver wird die Abnutzung dementsprechend hoch sein. Die Teams werden versuchen, dem mit zusätzlicher Kühlung entgegen zu wirken.
Wäre es damit noch nicht genug, so ist auch die richtige Abstimmung des Fahrzeuges in Montreal nicht ganz so einfach. Denn neben den hohen Geschwindigkeiten auf den Geraden ist auch guter Abtrieb in den Kurven und Schikanen gefragt. Es muss also ein Mittelweg gefunden werden, der einerseits einen guten Top Speed ermöglicht - vor allem um am Ende der langen Geraden vor Start und Ziel in eine gute Überholposition zu kommen - aber auch Stabilität, Balance und Traktion in den Kurven bietet. Außerdem dürfen die Autos nicht zu hart abgestimmt sein, denn auch die Kerbs werden recht aggressiv attackiert, um schnell über den Kurs zu kommen. Sollte das Auto dabei zu sehr abheben, geht aber wieder Zeit verloren.
Es sieht also alles danach aus, als ob es für Fahrer und Teams nicht gerade ein einfaches Wochenende werden wird. Dennoch kommen fast alle gerne nach Montreal. Denn die Strecke, mit all ihren Herausforderungen, gehört zu den Lieblingen der Fahrer und da man auf einer Insel direkt vor der Stadt unterwegs ist, kommt ein besonderes Flair auf. "Abgesehen von der Rennstrecke mag ich auch die Stadt Montreal sehr", sagt etwa Nick Heidfeld. "Die Stimmung ist immer super dort. Die Leute feiern und freuen sich über den Grand Prix." Dann steht einem guten Rennen auf der Insel mit der berühmten Mauer wohl nichts mehr im Weg.
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