"Ich würde auf Kubica tippen", prophezeite Marc Surer am Sonntagabend über eine Rückkehr von Jacques Villeneuve beim nächsten Rennen in der Türkei. Und Hans Joachim Stuck, wie üblich in seiner dunkelblauen BMW-Regenjacke gekleidet, sagte mit einem viel sagenden Lächeln: "Da habe ich keine Ahnung. Das wird in den kommenden Wochen entschieden, aber Dr. Theissen hat sicherlich schon seine Ideen im Kopf."

Bereits am Montag teilte er diese Idee überraschend der restlichen F1-Welt mit: Villeneuve wird nicht mehr für BMW Sauber fahren und stattdessen für den Rest der Saison durch Robert Kubica ersetzt. Dieser wurde trotz einiger Dreher und Fehler von allen Seiten für seinen "guten Einstand" gelobt. Obwohl er selbst, auch vor seiner Disqualifikation wegen Untergewichts, nicht mit sich zufrieden war. "Die Fehler seien ihm verziehen", sagte Stuck. "Er hat an diesem wohl wichtigsten Tag in seinem bisherigen Rennfahrerleben eine gute Basis für die Zukunft gelegt." Das hat der Montag danach bestätigt. "Ich bin mir sicher", so Stuck, "dass wir noch sehr viel von ihm hören werden."

Kampf gegen weiß-blaue Propeller

Goodbye Jacques!, Foto: Sutton
Goodbye Jacques!, Foto: Sutton

Wie viel wir zukünftig von Jacques Villeneuve hören und sehen werden, ist hingegen ungewiss. Nur eins ist klar: Jacques Villeneuve wird sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Schon im letzten Winter sah er zuversichtlich in die Zukunft, damals wusste er jedoch, dass er auf einen wasserdichten Vertrag pochen konnte - einen Vertrag, den BMW damals noch nicht aufzulösen und die entsprechende Entschädigung zu zahlen bereit war.

Allerdings waren durch die späte Entscheidung zu Gunsten von Villeneuve als Teamkollege von Nick Heidfeld schon die Weichen für eine schwierige Beziehung gestellt. Denn Jacques Villeneuve und BMW Sauber, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Im Gegenteil: Nicht nur Villeneuve wurde anscheinend den Eindruck nicht los, dass er im Vergleich zu seinem Teamkollegen doch nicht so "gleichgestellt" war, wie es nach außen immer betont wurde. Das begann schon mit kleineren Nebensätzen und Bemerkungen auf der Teampräsentation in Valencia, wo diese Tatsache sogar optisch zum Ausdruck kam: Sieben Modells hüpften bei der Präsentation der neuen Teamkollektion mit den Produkten von Quick Nick über die Bühne, nur einer tanzte mit einem JV-T-Shirt an...

Aber Jacques Villeneuve war schon immer ein Kämpfer, ja sogar ein Rebell. Früher trug er lila, grüne oder auch rote Haare, freute sich über "die besten Abflüge" seiner Karriere in Eau-Rouge und lieferte sich heiße Wort- und Rad-an-Rad-Duelle mit Michael Schumacher. Villeneuve war sich für nichts zu schade, selbst nicht für den Abstieg vom Rennfahrer-Olymp zu British American Racing, immerhin wurde ihm dieser mit einigen Entschädigungszahlungen versüßt, so hoch wird die letzte Überweisung aus München aber wohl kaum ausfallen. Obwohl er sein Rebellen-Image zuletzt abgelegt hatte, wollte er nie so recht zu einem internationalen Automobilkonzern wie BMW passen. Dabei passte das Motto der Weiß-Blauen perfekt zu ihm: "The Essence of Racing" - Jacques Villeneuve trägt diese in sich.

Wurde Villeneuve im Winter noch als Alteisen bezeichnet und ihm sein Karriere-Ende vorausgesagt, bewies der Fighter was in ihm steckt: Ein Ex-Weltmeister und mehrfacher Grand Prix-Sieger verlernt sein Handwerk eben doch nicht so schnell. Mit guten Qualifying- und Rennergebnissen war Villeneuve in der ersten Saisonhälfte 2006 überraschend stark. In Malaysia holte er sogar die ersten WM-Punkte des neuen Rennstalls. Das erkannte auch Mario Theissen an. "Er hat gute Leistungen gebracht." Ausgerechnet bei seinem Heimrennen zur Saisonhalbzeit in Kanada setzte Jacques seinen F1.06 unnötigerweise beim Überrunden in die Mauer.

Villeneuve fährt immer mit vollem Einsatz., Foto: Sutton
Villeneuve fährt immer mit vollem Einsatz., Foto: Sutton

In Hockenheim folgte der nächste (Ein)Schlag: Seitwärts knallte Villeneuve im Motodrom in die Streckenbegrenzung und beendete damit seine Formel 1-Karriere für den Moment ebenso unsanft wie Juan Pablo Montoya, der sein vorerst letztes F1-Rennen in Indianapolis mit einer Kollision beendete. Genau wie dem Kolumbianer werden auch Villeneuve seit einigen Wochen Kontakte in die NASCAR Serie nachgesagt - vielleicht trifft er dort ja 2007 auf Montoya. Vorstellen könnte er sich diesen Schritt durchaus: "Ich würde es nicht als einen schlechten Wechsel in meiner Karriere sehen. Für mich wäre es kein Schritt zurück."

Abschied auf Raten

Aber was ist nun genau passiert, an jenem Sonntag vor acht Tagen in Hockenheim? "Jacques hat am Sonntag Abend nicht am Team-Debriefing teilgenommen - wegen Kopfschmerzen", sagte BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen am Donnerstag in Budapest. "Am Dienstag hatten wir in München ein Meeting. Dann haben wir von Craig Pollock telefonisch erfahren, dass die Kopfschmerzen noch immer andauern..."

So manche seltsame Verstrickung und widersprüchliche Aussage der BMW-Mannschaft am vergangenen Wochenende ließ diese Variante allerdings als eher unwahrscheinlich erscheinen - oder zumindest schien es nicht die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sein. Jedenfalls hörten sich Theissens Aussagen über eine mögliche Rückkehr des Ex-Weltmeisters nicht unbedingt nur nach Kopfschmerzen an: "Ich weiß es nicht", wollte er ein Comeback zu diesem Zeitpunkt weder ausschließen noch bestätigen. "Wir haben eine Entscheidung für dieses Rennen getroffen und werden uns danach damit beschäftigen." Das ist nun geschehen.

"Das Team ist dabei, die Optionen für das nächste Jahr zu prüfen und hat nach Jacques' Unfall in Hockenheim entschieden, Robert Kubica im Renneinsatz beobachten zu wollen", ob nun wegen der schlimmen Kopfschmerzen oder einer Meinungsverschiedenheit oder ganz anderer taktischer Überlegungen ließ Theissen am Montag offen. "Dies hat natürlich auch Einfluss auf Jacques' Position für den Rest der Saison. Wir haben volles Verständnis dafür, dass es für Jacques schwierig ist, in dieser ungewissen Situation sein Engagement aufrechtzuerhalten." Aus diesem Grund respektiere man seine Entscheidung.

Die Ehe mit BMW ist vorüber, aber er hat ja noch seine Johanna., Foto: Sutton
Die Ehe mit BMW ist vorüber, aber er hat ja noch seine Johanna., Foto: Sutton

Wollte Villeneuve also nicht mehr für BMW Sauber fahren, weil er in Ungarn - wegen Kopfschmerzen oder nicht - für Kubica Platz machen musste? Hatte er keine Lust um sein Cockpit zu kämpfen? Oder hatte er gar den Eindruck, dass er ohnehin keine Chance haben würde? Er sagt nur so viel: "Am letzten Wochenende hat mich das Team über seine Entscheidung informiert die Möglichkeiten für das nächste Jahr auszuprobieren - dazu zählte es Robert Kubica unter Rennbedingungen zu testen. Man konnte mir aber keinen Rennsitz nach Ungarn garantieren." Genau das hatte Theissen schon am Donnerstag betont: "Im Leben gibt es keine Garantien." Deshalb habe man sich laut Villeneuve mit sofortiger Wirkung getrennt.

Jacques Villeneuve. Er färbt seine Haare grün, lila oder blau. Er trägt schlabbrige Hosen und weite Hemden. Er ist der einzige aktive Formel 1 Weltmeister neben Michael Schumacher und Fernando Alonso. Er ist schnell, fit und eigensinnig. Ein Paradiesvogel. Er sagt was er denkt und er fährt wie er will. Er ist einer der letzten echten Charakterköpfe der Formel 1. Die Königsklasse wird ihren Rebellen vermissen.