Alle Augen sind auf die Fußball-WM in deutschen Landen gerichtet. Alle Augen? Nicht ganz: Zumindest 65.000 britische Formel 1-Fans richteten ihren Blick am Samstag auf das Qualifying in Silverstone. Vor den Fernsehbildschirmen werden es hoffentlich noch ein paar mehr gewesen sein. Erst danach dominierte wieder König Fußball über die Königsklasse des Motorsports, die ausgerechnet an diesem Wochenende im Home of British Motor Racing Station macht. Und wenn Jenson Button den Fans schon nichts zu Jubeln gab, durften sie wenigstens ein knappes 1:0 ihrer Truppe gegen Paraguay bejubeln...

1. - S wie Startaufstellung

Heutzutage ist eine Startaufstellung keine richtige Startaufstellung, wenn nicht mindestens zwei Fahrer strafversetzt werden oder zumindest eine Untersuchung der Rennstewards nötig ist. In Silverstone gab es beides: Strafen für Takuma Sato und Jarno Trulli, die beide den Motor wechseln lassen mussten und jetzt von ganz hinten losbrausen müssen, und eine Untersuchung einer angeblichen Behinderung von David Coulthard durch Juan Pablo Montoya. Letztere Anhörung blieb jedoch ohne Folgen.

In der ersten Startreihe beziehen zwei Fahrer Aufstellung, die vor Saisonbeginn beide als Titelkandidaten gehandelt wurden. Nach sieben Rennen besitzt aber nur noch der Pole-Mann Fernando Alonso eine Chance auf den Titelgewinn - dafür aber eine extrem gute.

Bereit für den Start..., Foto: Sutton
Bereit für den Start..., Foto: Sutton

Kimi Räikkönen freute sich hingegen über seinen zweiten Platz, der durchaus überraschend zustande gekommen war. Dahinter drängt die rote zweite Reihe nach vorne: Michael Schumacher und Felipe Massa wollen nicht nur den Finnen hinter sich lassen: Ihr Ziel lautet Alonso zu schlagen und den dritten Saisonsieg einzufahren. Am liebsten wäre es den Italienern natürlich, wenn beide Piloten vor dem WM-Leader ins Ziel kommen würden. Dann könnte Schumacher noch mehr Punkte gutmachen. Dazu muss er allerdings erst einmal vorbeikommen.

2. - S wie Start

Angesichts der anerkannt guten Starts der Franzosen dürfte dies schwierig werden. Insbesondere da auch Kimi Räikkönen zu den guten Startern zählt. Außerdem lauert direkt hinter Schumacher mit Giancarlo Fisichella der nächste Raketenstarter auf seine Chance in eine Lücke zwischen den beiden Roten zu stechen.

Dass Überholmanöver in der ersten Kurve möglich sind, hat Juan Pablo Montoya im letzten Jahr bewiesen - gegen Fernando Alonso. Allerdings spielte der Spanier damals brav mit - wohl wissend um seinen komfotablen Punktevorsprung. Auch morgen könnte er sich das bei 21 WM-Punkten Vorsprung auf Schumacher gegen den zweitplatzierten Silberpfeil leisten.

3. - S wie Setup

Silverstone zeigte den Teams an diesem Wochenende wie vergänglich ein Setup sein kann: Durch die veränderten Streckenbedingungen, den schlechteren Grip und den böigen Wind waren die meisten der Testdaten von Ende April nutzlos.

Der Wind sorgte für einige Probleme., Foto: Sutton
Der Wind sorgte für einige Probleme., Foto: Sutton

Zudem hat sich der Hochgeschwindigkeitskurs von Silverstone durch die Einführung der V8-Motoren stark verändert. Im ersten Teil der Strecke bis zu Kurve 8 wird kaum noch gebremst. Die Motoren stehen dort ständig unter Volllast. Im zweiten Streckenteil verlangen die langsamen Kurven nach einer guten Balance und Traktion. Für diesen Kurs benötigen die Teams also eine harmonische Motor-Chassis-Kombination.

Die Abtriebswerte sind im mittleren Bereich angesiedelt und beinahe identisch zu jenen von Barcelona. Der Downforce wird in den schnellen Kurven benötigt. Auf den kurzen Geraden darf der Luftwiderstand aber nicht allzu hoch sein: Sonst könnte man tatsächlich überholt werden. Durch die geringe Belastung für die Bremsen werden die kleinsten Bremsbelüftungen gefahren und dadurch die Aerodynamik optimiert.

Die Streckenoberfläche ist nicht besonders wellig. Somit stellt die Fahrthöhe kein großes Problem für die Ingenieure dar. Die einzige Ausnahme ist Kurve 8, wo der Asphalt das Auto unruhig machen kann. Die Balance des Autos wird in Silverstone nach vorne geschoben. Die Front ist steifer und das Heck etwas weicher. Dadurch kann das Auto die vielen Richtungswechsel besser absolvieren und erhält mehr Grip und Traktion am Kurvenausgang.

Für die Reifen ist Silverstone sehr hart: Die vielen Hochgeschwindigkeitskurven verlangen ihnen alles ab. Graining ist bei den hohen Temperaturen an diesem Wochenende vor allem am linken Hinterreifen zu erwarten.

Die Strategie wird entscheiden., Foto: Sutton
Die Strategie wird entscheiden., Foto: Sutton

Durch die Achtzylinder ist der Volllastanteil von 59 auf 71 Prozent gestiegen. Damit ist Silverstone einer der härtesten Kurse für die Motoren, die zudem bei hohen Drehzahlen sehr gut reagieren müssen.

4. - S wie Strategie

Wie üblich machen die Teams ein großes Geheimnis um ihre Strategien für den Sonntag. Nick Heidfeld ließ sich und der Konkurrenz zumindest etwas in die Karten blicken: "Ich erwarte, dass wohl alle zwei Stopps machen werden." Allerdings können die Zeitpunkte der Stopps bekanntlich stark variieren. Darauf angesprochen, ob Nick im dritten Qualifying mit viel Benzin unterwegs war, grinste er nur. Mario Theissen bestätigte diese Annahme indirekt: "Es werden wohl einige vor uns zum Tanken gehen."

Der zweite entscheidende Faktor bei der Strategie sind wieder einmal die Reifen. "Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Long Runs entwickeln", sagte Fernando Alonso vorher. "Bislang ist niemand mehr als 5 oder 6 Runden am Stück gefahren." Das sieht auch Michael Schumacher so. Nur Ross Brawn ist sich schon jetzt seiner Sache sicher: "Mithilfe unserer Strategie können wir die Situation verbessern. Die Reifen auf Long Runs sehr konstant und wir waren im Training selbst mit alten Reifen sehr gut unterwegs."

5. - S wie Sonntagswetter

Bedeckt, aber trocken. So lautet die Wettervorhersage für den Sonntag. Die Tageshöchstwerte sollen um die 27 Grad liegen. Das Regenrisiko beziffern die Wetterfrösche auf 10 Prozent. Die Teams rechnen jedoch alle mit einem trockenen Rennen. Auf die Reifenperformance haben die unerwartet hohen Temperaturen laut Nick Heidfeld keinen Einfluss.

Die Sonne strahlt wie noch nie in Silverstone., Foto: Sutton
Die Sonne strahlt wie noch nie in Silverstone., Foto: Sutton

Umso größer ist der Einfluss des Windes. "Es gibt sehr starke, unkonstante Windböen bis zu 25 km/h", beschreibt Michael Schumacher die Wind-Situation. "Das merkt man auf den Geraden: Das Auto beschleunigt und man bekommt einen Gegenschub, als ob der Rückwärtsgang eingelegt wurde. Die Aerodynamik ist sehr sensibel und wird schon gestört, wenn man nur hinter einem anderen Auto herfährt. Der Wind hat genauso einen großen Einfluss."

6. - S wie Speed

Überholmanöver sind auch in Silverstone äußerst schwierig - dessen ist sich nicht nur Jarno Trulli bewusst, der im Rennen von ganz hinten losbrausen muss. Dennoch kann auf dem ehemaligen Flugfeld durchaus überholt werden: Dies bewies das Vorjahr und vor allem der Chaos-GP von 2003. Damals sorgten mehrere Safety-Car Phasen und ein verrückter Priester für jede Menge Überholaction.

Beim Blick auf die Top-Speeds im Qualifying dürfte sich Ralf Schumacher bestätigt fühlen: Beide Ferrari werden ihrem Ruf als Top-Speed-Könige gerecht. Nicht nur Ralf macht dafür einen flexiblen Flügel verantwortlich. Mit dem einem ähnlichen Flügelwerk schaffte laut Keke Rosberg BMW Sauber den Sprung aus den Niederungen der Top-Speed-Tabellen auf die Ränge 4 und 5.

Platz Fahrer Top-Speed
1. Michael Schumacher / Ferrari 293,6
2. Felipe Massa / Ferrari 291,9
3. Fernando Alonso / Renault 289,3
4. Jacques Villeneuve / BMW 288,8
5. Nick Heidfeld / BMW 288,4
6. Giancarlo Fisichella / Renault 287,3
7. Kimi Räikkönen / Mercedes 286,5
8. David Coulthard / Ferrari 286,3
9. Nico Rosberg / Cosworth 285,9
10. Rubens Barrichello / Honda 285,9
11. Christian Klien / Ferrari 285,1
12. Juan Pablo Montoya / Mercedes 285,0
13. Ralf Schumacher / Toyota 284,9
14. Jarno Trulli / Toyota 282,2
15. Jenson Button / Honda 282,0
16. Scott Speed / Cosworth V10 280,0
17. Tiago Monteiro / Toyota 279,7
18. Mark Webber / Cosworth 279,0
19. Franck Montagny / Honda 279,0
20. Christijan Albers / Toyota 278,9
21. Takuma Sato / Honda 277,1
22. Tonio Liuzzi / Cosworth V10 277,1

7. - S wie Spannung

Aus dem Zweikampf der letzten Rennen ist in Silverstone ein Dreikampf geworden: Jetzt gilt es für Kimi Räikkönen die gleiche Leistung auch im Rennen abzurufen. Die meisten Experten sehen jedoch Alonso und Schumacher den Sieg unter sich ausmachen.

Aber nicht nur ganz vorne wird es spannend: Hinten müssen Jarno Trulli, Mark Webber und vor allem Lokalmatador Jenson Button eine Aufholjagd starten. Dies sollte für einige Überholmanöver und Zweikampfe sorgen.

Irgendwie ist so ein britischer Grand Prix zur Fußball-WM-Zeit wie Weihnachten im Zeitraffer: Man kann es kaum erwarten bis das Rennen losgeht und muss für diese Bescherung noch nicht einmal bis zum normalen Startzeitpunkt um 14:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit warten. Oder wie Nick Heidfeld nach dem Qualifying zu sagen pflegte: "Nach problemlosen Trainings und einem guten Qualifying freue ich mich jetzt sehr auf den morgigen Grand Prix! Nachdem wir wegen der Fußball-WM schon um 12 Uhr starten, muss ich morgen auch nicht ganz so lang darauf warten."