Erster Blick vor dem Rennen geht auf die Wetter-App: Wie wird es im nächtlichen Las Vegas für den Grand Prix auf dem herausfordernden Highspeed-Straßenkurs? Denn der ist für die Formel 1 2024 erneut ein wahrer Eisring. Worin Pole-Mann George Russell und sein Team Mercedes ihre ganzen Hoffnungen setzen müssen, um Ferrari zu schlagen. Während Max Verstappen dahinter nicht um den Sieg, sondern "nur" um die WM kämpft.
Ferrari war als Favorit ins Wochenende gegangen, aber mit einem Fragezeichen: Der SF-24 schont 2024 die Reifen so gut, dass sie ihm manchmal - besonders im Qualifying - auskühlen. So überraschte es Carlos Sainz und Charles Leclerc sicher nicht, dass sie das Rennen nur von den Startplätzen zwei und vier aufnehmen werden. Das war schon besser als erwartet, gestand Sainz:
Jetzt sitzt Ferrari auf dem Papier in einer beinahe perfekten Ausgangsposition. In den Longruns am Freitag waren sie für die Konkurrenz nicht wirklich in Reichweite. Irgendwann im Rennen Russell zu überholen erscheint da wie eine nicht mehr allzu schwere Aufgabe, wenn man die Reifen besser behandelt und zugleich auf einer Strecke fährt, auf der Überholen einfach sein sollte.
Spielt Las Vegas am Start Mercedes erneut in die Karten?
Doch Ferrari könnte sich vom Start weg das Leben weiter schwer machen. Was ist der entscheidende Faktor für die bisher so enorme Stärke des Mercedes? Dass er seine Reifen, besonders die Vorderreifen, sofort ins Arbeitsfenster bringt. Deshalb gewann Russell im Qualifying im ersten Sektor gleich drei Zehntel gegenüber seinem ersten Verfolger Sainz.
Das ist ein Vorteil, der natürlich auch beim Start greift. Das Wetter soll wieder kaum mehr als 11 Grad Lufttemperatur aufbieten, was erneut in kaum mehr als 15 Grad Streckentemperatur resultieren dürfte. Ferrari bleibt also auch in den ersten Kurven angreifbar, wenn die Reifen kalt sind. Bei nur 112 Metern bis zum Bremspunkt von Kurve eins hat Russell gute Chancen, seine Führung zumindest zu halten.
Wobei Sainz bereits ausgekundschaftet hat: "Da scheint in Kurve eins relativ zum Vorjahr mehr Grip zu sein." Scheint zu sein. "Das Ding mit Vegas ist, dass wir morgen aufwachen und die Strecke wieder komplett dreckig ist, wie heute in FP3. Dann überholt in Kurve eins keiner. Niemand weiß, wie der Grip in der ersten Kurve sein wird."
Kann der Start in Las Vegas bereits der Strategie-Schlüssel werden?
Zusätzliches Problem für Ferrari ist, dass zahlreiche andere Autos an der Spitze herumschwirren. Angefangen bei dem sensationell auf Startpatz drei gefahrenen Pierre Gasly im Alpine: "Letztendlich ist das nicht unser Fight, aber wir werden unser Bestes geben." Von hinten drängen währenddessen Max Verstappen und Lando Norris. Die Theorie des leichten Ferrari-Sieges beginnt dann zu bröckeln.
Kein Überholmanöver ist in der Formel 1 je einfach. Je mehr Autos im Weg sind, desto schneller schwindet ein Rennpace-Vorteil. Strategischer Schlüssel wird nämlich die Auswirkung des Graining-Effektes sein, die Auflösung der Oberfläche des Reifens. Vor allem der Vorderreifen ist in Las Vegas das Problem. Wegen zu wenig Grip rutschen die Autos zu sehr und malträtieren dabei eben die Oberfläche.
Wichtig: Reifenausrüster Pirelli urteilt, dass der Effekt hier nur oberflächlich ist. "Das heißt, der Verschleiß ist kein Problem", erklärt Pirelli-Sportchef Mario Isola. Was umgekehrt heißt: Er glaubt nicht, dass sich wie etwa zuletzt in Baku der Effekt einfach wieder auflösen würde, wenn man den Reifen konzentriert pusht. Stattdessen soll sich das Graining permanent auf der Lauffläche festsetzen und für immer stärker störende Rutschphasen sorgen.
So wird der Reifen zwar nicht kaputt, aber langsamer. Das vermeidet man, in dem man ihn zu Stintbeginn möglichst sachte ins Arbeitsfenster bringt. "Mit Management kannst du es kontrollieren", so Isola. Schwierig, wenn man tief im Verkehr steckt. Pirelli rechnet mit einer Medium-Hard-Einstopp. Zwar haben alle Fahrer sich zwei harte Reifensätze gespart, doch die Zweistopp-Strategie ist in der Hochrechnung bloß gleich schnell und damit das Risiko eher nicht wert.
Berechtigte Zweifel bleiben nach mageren Longruns, ob Mercedes vorne eine ausreichende Pace anschlagen kann. Zuerst muss der Medium ausreichend lange vom Graining-Bereich wegbleiben. Dass das Auto die Reifen besser aufwärmt, muss kein Problem sein - es geht darum, die Temperatur danach zu kontrollieren. Eine Gratwanderung. Der Hard ist dafür ein Unsicherheitsfaktor, weil ihn niemand im Training gefahren ist. George Russell ist besorgt: "Wir wissen, dass wir dieses Jahr nicht das beste Team auf dem harten Reifen sind. Hier gibt es zu viele Unbekannte. Aber ich bleibe zuversichtlich, dass wir um den Sieg kämpfen können."
Welche Rolle spielen Max Verstappen und Lando Norris im Rennen?
Die zentrale Story des Rennens in Las Vegas ist also, ob Mercedes ausreichend Pace und Reifenmanagement gefunden hat, um Ferrari auf Distanz zu halten. Da geht etwas unter, dass sich Max Verstappen mit Startplatz fünf vor Lando Norris geschoben hat. Jetzt kann er seine WM klarmachen - die genauen Szenarien gibt es hier.
Können Verstappen und Norris von den Plätzen sechs und sieben aus aber auch in den Kampf um den Sieg eingreifen? Bei Verstappen gibt es große Zweifel. Am Freitag war der Red Bull schwach. Das Team bezahlt einen hohen Preis dafür, dass man keinen Low-Downforce-Heckflügel entwickelt hat. Bis Samstag wurde an dem Abtriebs-Level gefeilt.
Es lässt sich unmöglich sagen, was Verstappen im Rennen bringen kann. Sein einziges wirkliches Ziel ist vor Norris zu bleiben. Der hat deutlich größere Probleme als am Freitag noch angenommen. McLaren wusste von vornherein: Eine griparme Strecke wie Las Vegas liegt dem MCL38 nicht. Der funktioniert auf genau gegenteiligen Strecken mit sehr griffigem Asphalt am besten.
Am Freitag sah man in den Longruns von Norris und Oscar Piastri einen besorgniserregenden Einbruch. Setup-Änderungen für Samstag ließen auch die Qualifying-Pace stagnieren. Einzige Hoffnung: Der McLaren ist sehr gut auf dem harten Reifen, welcher dem Graining besser widerstehen sollte. Unklar ist nur, wie lange der Medium hält.
Können Red Bull und McLaren die Spitzen-Strategie in Las Vegas treiben?
Damit schließt sich der Kreis zur Zweistopp-Strategie. Die muss nicht unbedingt ein Problem sein: Wenn der Hard robust ist, kann es durchaus Sinn machen, sehr früh einen leidenden Medium abzugeben und zweimal Hard zu fahren. Vorausgesetzt, man kann überholen. Die Vorzeichen stehen da gut. Nicht nur, weil es im Vorjahr ging. Auch, weil für das Rennen starker Gegenwind auf der langen Gerade von knapp 20 km/h vorhergesagt wird.
Ein früher Wechsel auf zwei Stopps könnte lahmende Einstopper, die auf dem eingebrochenen Medium ausharren wollen, massiv unter Druck setzen. Mit einem Auge schielen alle außerdem noch auf ein irgendwie erwartetes Safety Car. Zu viele Fehler und Verbremser gab es bereits an diesem Wochenende, um von einem sauberen Rennen auszugehen.



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