Der Monaco-GP 2024 war für die Zuschauer auch deshalb kein Highlight, weil es einer der schlimmsten Bummelzüge war, den man sich in der Formel 1 vorstellen konnte. Das aber schien tatsächlich strategische Spannung in das Rennen zu bringen. Denn trotz des hier fast unmöglichen Überholens stand Ferrari schon lange vor Rennhalbzeit der Angstschweiß auf der Stirn. Hat McLaren wirklich eine von Mercedes verschaffte Chance ausgeschlagen?

Ein extrem langsamer George Russell drohte nämlich permanent so weit hinter das Ferrari-McLaren-Führungsquartett zurückzufallen, dass Lando Norris an einem Punkt hätte stoppen können, ohne einen Platz zu verlieren. "Das kann auch Charles gefährden", warnte Carlos Sainz bereits früh im Rennen. Die Ferrari-Ingenieure kämpften, um ihre Fahrer - und damit die McLaren hinter ihnen - einzubremsen und Gratis-Stopps zu verhindern. "Das Team sagte mir nur nimm raus, nimm raus, nimm raus", erinnert sich Rennsieger Charles Leclerc.

Langsamer Mercedes macht Ferraris Monaco-GP extra schwer

So langsam wie Russell zu fahren war schon fast ein Kunststück. Der Mercedes betrieb für zwei Drittel des Grand Prix massives Reifen-Management. Denn wegen dem Abbruch am Start musste er 76 Runden auf Medium durchfahren. Die Spitzengruppe hatte den Luxus gehabt, auf Hard zu wechseln. Die extreme Art und Weise seines Managements verblüfft selbst die Konkurrenz.

"Ich habe das Mercedes-Rennen nicht wirklich verstanden", meint Red-Bull-Teamchef Christian Horner etwa. Denn in den letzten Runden konnte Russell noch einmal das Tempo deutlich verschärfen. Für Horner der Beweis, dass er davor unnötig viel rausgenommen hatte: "Es war einfach ein sehr defätistisches Rennen, nur um Platz fünf zu verteidigen."

Ab Runde 20 begann Russell daher massiv von den Top-4 - Charles Leclerc, Oscar Piastri, Carlos Sainz und Lando Norris - abzufallen. Der Ferrari-Stress begann jetzt richtig. So würde Russell sehr bald mehr als 20 Sekunden Rückstand auf Norris haben. Dann könnte der McLaren in der zweiten Rennhälfte ohne Platzverlust auf frische Medium wechseln. Und Ferraris mögliche Reaktionen waren eingeschränkt. Denn Sainz hatte sich bei einer Start-Kollision mit Piastri seinen einzigen Medium-Satz kaputtgemacht und nur mehr Soft in der Garage.

Der umsichtige Carlos Sainz warnte bald am Funk vor der Gefahr. So begeistert war Leclerc von der Idee nicht. Während Norris es hinter Sainz locker anging, hatte Piastri in den ersten 20 Runden Druck gemacht. "Ich dachte mir, ich wäre zu weit weg von der Pace", erklärt Leclerc. "Ich wollte nicht, dass Oscar wieder pusht." Denn in dem Fall würde er selbst schnell wieder anziehen müssen. Aus mehreren Bummelrunden heraus schwierig: "Dann weißt du nicht, wo die Bremspunkte sind. Da passieren die Fehler."

Leclerc hadert mit Ferrari-Strategie - und will nicht rausnehmen

Mit dem zögerlichen Leclerc wurde die Angelegenheit für Sainz umso brenzliger. Er musste Lando Norris aufhalten, durfte aber auch nicht den Anschluss an Leclerc und Piastri verlieren. Würden die zu weit wegfahren, hätte auch Piastri bei einem Safety Car einen Gratis-Stopp. "Es war frustrierend für sie", räumt Ferrari-Teamchef Fred Vasseur ein. "Mehrmals haben sie gebeten zu pushen, aber das war überhaupt nicht in unserem Interesse."

Der weiterhin unglaublich langsame Russell und das zeitgleiche Managen von Überrundungsverkehr machten die Aufgabe fast unmöglich. In Runde 54 war für Norris das Boxenstopp-Fenster offen. Dann erlöste Max Verstappen die Ferraris. Er hatte eben gestoppt und baute nun Druck auf Russell auf, der dadurch aufgeweckt wurde und sein Tempo verschärfte. Das Fenster schloss sich nach einer, maximal zwei Runden. McLaren rechtfertigt die Entscheidung, diese Chance nicht zu nutzen, mit zu wenig Spielraum: Ein Fehler, und man wäre hinter Russell rausgekommen. Und wäre es das Risiko überhaupt wert gewesen?

Hat McLaren mit Norris die große Chance verpasst?

Lance Stroll zeigte am Ende mit zwei Überholmanövern, dass mit 3,5 Sekunden Pace-Vorteil Überholen möglich war. Doch die Zahl ist nicht der Schlüssel. Es geht darum, wo sie geholt wird. Denn die Spitzenpiloten sind sich einig. Sie hätten schon zu Rennbeginn teils 3,5 Sekunden schneller gekonnt. Warum konnte Piastri dann also nicht Leclerc überholen? Weil der Vorteil ein Grip-Vorteil sein muss. Man muss besser durch Casino oder Portier kommen, um sich dann danebensetzen zu können.

Leclerc fuhr zu Beginn zwar drei bis vier Sekunden langsamer als Piastri konnte. Aber das lag nicht an fehlendem Grip. Leclerc hätte ebenfalls schneller gekonnt. Er bummelte, indem er früh vor ungefährlichen Kurven vom Gas ging, lange Rollphasen einstreute. In den kritischen Stellen hielt er das Tempo höher. Erst recht tat er das nach Piastris angedeuteter Portier-Attacke. Daher ist die kritische Frage: Waren die Ferrari-Reifen durch den anhaltenden Druck von Piastri und Norris so abgefahren, dass sie nicht mehr genügend Grip-Vorteil gegen einen Medium-bereiften McLaren geboten hätten?

Ferrari hat in Monaco gigantische Reserven

Glücklicherweise gibt es darauf tatsächlich eine Antwort. Als die Russell-Situation sich im letzten Drittel entspannte, sondierte Sainz mehrmals die Lage - schloss zu Piastri auf, ließ sich zurückfallen, zog wieder an. Dabei kamen vier schnelle Runden raus. Die waren vergleichbar mit den Zeiten von Max Verstappen bei freier Fahrt nach seinem Reifenwechsel. "Das heißt, wir hatten eine Mega-Reserve, weil wir die Reifen überhaupt nicht gepusht haben", folgert Fred Vasseur.

Charles Leclerc (Ferrari) führt nach dem Restart vor Oscar Piastri (McLaren), Carlos Sainz (Ferrari), Lando Norris (McLaren)
Das Bild des Monaco-GPs, Foto: LAT Images

Da war auch für McLaren klar, dass es völlig hoffnungslos gewesen wäre, das in Runde 54 offene Boxenstopp-Fenster zu nutzen. "Keine Chance, dass wir selbst mit frischen Mediums an Carlos vorbeigekommen wären", so McLaren-Teamchef Andrea Stella. In der Praxis spiegelte sich das Szenario weiter hinten mit Russell und Verstappen.

Russell zeigte, kaum dass Verstappen in Runde 53 neue Hard geholt hatte, wie viel er gespart hatte. War er rundenlang beständig 1:18 gefahren, so fuhr er nun plötzlich 1:17, dann 1:16, dann 1:15. Verstappen war selbst bei freier Fahrt nur gut zwei Sekunden schneller. Er holte ihn ein, kam aber nicht vorbei. Mit neuen Medium oder Hard war der Grip-Vorteil aufgrund der davor so langsamen Pace einfach nicht ausreichend.

"Wir hatten mehr Angst vor einem potenziellen Safety Car und Soft am Ende", verrät Fred Vasseur. Dann hätte Norris selbst 15 Runden vor Schluss noch auf Soft wechseln können. Aber der nun gestresste Russell schloss sowieso wieder zu den Top-4 auf. Das plus die schnell verstreichenden letzten Runden reduzierte die Gefahr weiter und weiter - bis schließlich nur mehr Leclerc selbst den Sieg hätte vergeben können.