Am 30. April 1994 starb Roland Ratzenberger. Im Qualifying zum Grand Prix von San Marino tödlich verunglückt, davor hatte es in der Formel 1 zwölf Jahre lang keinen Todesfall an einem Rennwochenende gegeben. Bis zum nächsten dauerte es einen Tag. Wenn heute Imola 1994 fällt, dann ist dieser nächste Tag gemeint, mit dem Tod des Giganten Ayrton Sennas, der Klimax des schwarzen Wochenendes, nicht Ratzenberger. Das ewige Schicksal des "vergessenen Mannes".

Von Anfang an war der am 4. Juli 1960 im österreichischen Salzburg geborene Ratzenberger einer jener Rennfahrer, die bei allem Talent immer wieder zum Nachsatz verkommen. Im Falle Ratzenbergers begann seine Karriere mehr als holprig. Nicht aus einer Motorsport-Familie, keine Mittel, keine Sponsoren, kein Weg nach oben.

Ratzenberger schaffte sich den Weg selbst. Er suchte sich Arbeit im österreichischen Rennteam von Walter Lechner, seine Laufbahn begann als Fahrercoach, als Instruktor, kratzte alle Mittel zusammen, die er hatte, um ein reguläres Cockpit in der Formel Ford zu bekommen.

Ratzenbergers Formel-1-Traum muss hart erkämpft werden

1985 und 1986 startete er beim berühmten Formula Ford Festival im britischen Brands Hatch, jenem jährlichen Event, bei dem das Who-is-Who der Nachwuchsklasse antrat. Beim zweiten Mal gewann er. Das brachte ihm unter anderem ein gutes Tourenwagen-Cockpit bei BMW-Schnitzer ein, aber er nutzte das Geld vor allem für eines: Um am Traum Formel 1 festzuhalten.

Die BMW-Mannschaft, Foto: Sutton
Die BMW-Mannschaft, Foto: Sutton

Drei Jahre fuhr er in der britischen Formel 3 und Formel 3000. "Er hatte nicht das Naturtalent eines Senna, eines Häkkinen oder eines Barrichello, also hat er viel härter gearbeitet, um die Dinge zum Laufen zu bringen", so der erfahrene Formel-3-Teamchef Dick Bennetts zu 'F1.com'. "Er war ein guter Allrounder und sehr anpassungsfähig, aber er hat es wegen seiner Arbeitsmoral geschafft."

Mit schwindenden Mitteln und stagnierender Formelkarriere konfrontiert, suchte Ratzenberger ab 1989 sein Glück in Japan. Dort gab es Geld. Japanische Sportwagen-Meisterschaft für Toyota, japanische Formel 3000. Nebenbei regelmäßige Auftritte bei den 24 Stunden von Le Mans, wo er 1993 mit Mauro Martini und Naoki Nagasaka einen richtig starken Auftritt hinlegte, Gesamt-Fünfter und Klassensieger wurde.

1993 beeindruckte Ratzenberger in Le Mans auf einem alten Toyota, Foto: Sutton
1993 beeindruckte Ratzenberger in Le Mans auf einem alten Toyota, Foto: Sutton

Mit der Formel 1 hatte er trotzdem nicht abgeschlossen. Ein Versuch, beim neuen Jordan-Team anzudocken, fiel mangels Sponsoren flach. 1993 traf er den alten Formel-Rivalen Johnny Herbert, mittlerweile Vollzeit-F1-Pilot, in Imola. "Er war ein guter Freund, wir haben jahrelang über unsere Träume gesprochen", so Herbert Jahre später gegenüber 'CNN'. "Im Jahr vor seinem Tod hatten wir dort ein nettes Abendessen. Er versuchte damals, in die F1 zu kommen. Ich erinnere mich, wie er sagte, er sei der bessere Fahrer, und ich meinte: 'Pech, ich bin hier, du nicht.' Das war die Art von Späßen, die wir machten."

Ratzenbergers letzte Formel-1-Chance kommt doch

Dann kam sie, die Chance, auf die er seit Ewigkeiten hingearbeitet hatte. In Monaco traf er die Sport- und Musik-Managerin Barbara Behlau. Er kam zu ausreichend Budget, um sich wenigstens für die ersten fünf Rennen 1994 beim Formel-1-Neueinsteiger Simtek einzukaufen. "Ich fragte ihn: Warum?", erinnert sich sein alter Le-Mans-Partner Mauro Martini in der Ratzenberger-Dokumentation von Levay Film. "Warum machst du das? Für mich war das sinnlos. In die Formel 1 musst du mit einem der fünf, sechs Top-Teams. Wenn du für sie Ergebnisse einfährst, bleibst du. Fährst du für die anderen fünf oder sechs, dann kommst du, und du gehst wieder. Die Leute vergessen dich."

David Brabham und Roland Ratzenberger waren 1994 Teamkollegen, Foto: Sutton
David Brabham und Roland Ratzenberger waren 1994 Teamkollegen, Foto: Sutton

Doch für den nun schon 33-jährigen Ratzenberger war die Formel 1 das Ein und Alles. Er konnte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen. "Er war so glücklich, in der Formel 1 im Grid zu stehen, das war das, was er immer wollte", beschreibt es sein damaliger Simtek-Teamkollege David Brabham gegenüber 'Sky UK', und fügt an: "Er verdiente es hier zu sein, denn er war ein sehr guter Pilot."

Der Start in die F1-Karriere war schwierig. In Brasilien scheiterte Ratzenberger an der Qualifikation. Beim zweiten Rennen im japanischen Aida qualifizierte er sich als Letzter, und kam als Elfter und Letzter ins Ziel. "Er klagte über die Bremsen, und das Team bat mich, sie in Imola zu testen", so Brabham. "Sie waren kompletter Müll. Danach wurde er besser und war direkt an mir dran. Plötzlich war die Lücke auf ein paar Zehntel geschrumpft. Sein Selbstvertrauen wuchs, jeder war zuversichtlich."

Keine Chance: Ratzenbergers Unfall 1994 in Imola

Im zweiten Qualifying am Samstag war Ratzenberger auf Kurs, sich für seinen zweiten Grand Prix zu qualifizieren. Wohl brach beim Überfahren eines Kerbs dann ein Teil des Frontflügels. In der nächsten Runde verlor er in der Highspeed-Kurve 'Villeneuve' die Kontrolle über den Simtek und bog mit über 300 km/h in eine ungeschützte Betonwand ab. "Ich ahnte, dass es Roland war, da ich Teile seines Autos auf der Strecke sah", erzählt Brabham.

Ratzenberger 1994 im Simtek, Foto: LAT Images
Ratzenberger 1994 im Simtek, Foto: LAT Images

Den meisten Fahrern war auf den ersten Blick bewusst, wie gering die Chancen bei so einem Einschlag waren. "Als ich an der Unfallstelle vorbeikam, hatte ich Gewissheit, dass er es war", so Brabham. "Ich schaute in sein Cockpit, weil ich sehen wollte, ob er in Ordnung ist. Aber ich sah, dass er es nicht war. Für mich war es irgendwie klar. Ich wusste einfach, dass er tot war."

Ratzenberger wurde ins Krankenhaus geflogen, dort kurz darauf für tot erklärt. "Als sie das Auto endlich auf einem Abschlepplaster zurückbrachten, wollte ich es mir nicht ansehen, ich musste mich dazu zwingen", erinnerte sich der damalige Simtek-Teamchef Nick Wirth im 'Guardian'. "Da war ein riesiges Loch im Monocoque, wo das linke Vorderrad nach innen gedrückt worden war."

"Unser Auto war eines der stärksten in dem Bereich, aber leider war der Einschlag so schwer, dass das Rad durch das Monocoque in Roland hineingedrückt wurde", so Wirth. Das, die g-Kräfte beim Einschlag - der Unfall war in mehrerlei Hinsicht nicht zu überleben. Wirth, der nicht nur Teamchef, sondern auch Auto-Designer war, litt: "Ich wusste nicht einmal, dass der Flügel gebrochen war, und trotzdem fühlte ich mich sofort schuldig. Ich glaube nicht, dass den Leuten die Verantwortung im Zusammenhang mit dem Design eines Rennautos nicht bewusst ist, bis so etwas passiert."

Die Formel 1 nach Roland Ratzenberger

Der Unfall nahm auch Ayrton Senna schwer mit. Er fuhr während der Unterbrechung zur Unfallstelle, um sich selbst ein Bild zu machen. Danach nahm er am Qualifying nicht mehr teil. Am Sonntag packte er vor seinem Start von der Pole eine österreichische Flagge in das Cockpit seines Williams - um nach Zieleinlauf Ratzenberger Tribut zu zollen. Dann verunfallte er selbst tödlich.

Dieser Unfall war es, der die Formel 1 danach im Griff hatte. Fast alle wohnten Sennas Beerdigung bei. Nur eine Handvoll reisten nach Österreich: FIA-Präsident Max Mosley, Ratzenbergers Landsmänner Gerhard Berger und Karl Wendlinger, sowie Heinz-Harald Frentzen und Johnnie Herbert. "Er ist der vergessene Mann der Formel 1", meint Herbert. "Vergessen von vielen, aber nicht von mir."

Roland Ratzenberger, Foto: Sutton
Roland Ratzenberger, Foto: Sutton

Teamkollege Brabham entschied sich in Imola zum Start: "Irgendwie mussten wir weitermachen und durften unseren Kampfgeist nicht verlieren. Wir wollten als Team überleben. Ins Auto zu steigen war deshalb keine Ich-bezogene Entscheidung. Ich habe es mehr für das Team getan." In Runde 27 schied Brabham nach einem Dreher aus.

Simtek fuhr auch den Rest des Jahres weiter, mit 'For Roland' auf dem Auto. "Toll war, dass Rolands persönlicher Sponsor, Barbara Behlau, so beeindruckt von unserem Umgang mit der Tragödie war, dass sie für den Rest der Saison mehr Geld in das Team gesteckt hat", so Teamchef Nick Wirth. "Das hat uns sowohl praktisch als auch emotional geholfen." 1995 landete Simtek nach nicht einmal eineinhalb Jahren ohne WM-Punkte in der Insolvenz.

Mehr über Roland Ratzenbergers Karriere gibt es hier in einer Youtube-Dokuserie von Levay Films.