Der Grand-Prix-Kurs von Imola zählt zu den legendärsten Austragungsorten im Formel-1-Kalender. In der über 70-jährigen Geschichte der Königsklasse war er jedoch auch Schauplatz für eines der dunkelsten Kapitel des Sports. Selten lagen Triumph und Tragödie so nahe beieinander, wie beim San Marino GP der Saison 1994. Der 1. Mai des Jahres wurde zum traurigen Schicksalstag des großen Champions Ayrton Senna.
Das tragische Wochenende von Imola 1994 jährt sich heute zum 29. Mal. Die gefallenen Formel-1-Helden Ayrton Senna und Roland Ratzenberger sind auch über zwei Dekaden nach ihrem Tod unvergessen. Ihre Teamkollegen Damon Hill und David Brabham sprachen mit dem britischen TV-Sender Sky Sports UK über ihre Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse beim Grand Prix von San Marino und die Folgen.
Neuanfang mit Williams: Ayrton Senna verdrängt Rivale Alain Prost
Eigentlich wollte Ayrton Senna mit Williams Renault in der Saison 1994 endlich wieder zurück an die Weltspitze. Bei McLaren befand er sich in den vergangenen Jahren auf dem absteigenden Ast - und das während sein großer Rivale Alain Prost in genau dem Auto, in dem er schon 1993 gerne gesessen hätte, alles abräumte. Prost hatte mit Teamchef Frank Williams damals jedoch eine Klausel vereinbart, die das Team daran hinderte, Senna als seinen Teamkollegen zu verpflichten. Für 1994 setzte sich Williams jedoch durch, weshalb Prost seine Karriere kurzerhand beendete.
Das Weltmeister-Team der letzten zwei Jahre hatte also viel investiert, um den Brasilianer nach Grove zu holen. "Ich denke, Ayrton litt eine lange Zeit mit McLaren, hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zum Team und seinem Verlangen Rennen zu gewinnen. Außerdem sah er seinen Erzrivalen Alain Prost mit Williams siegen und wollte deshalb auch dorthin, um mehr Rennen und Weltmeisterschaften zu gewinnen", erinnert sich Hill, dessen Rolle im Team neben dem Neuzugang klar war: "Ayrton war ein dreimaliger Weltmeister und ich hatte gerade einmal drei Rennen gewonnen."
Die Erwartungshaltung des Superstars und seines Teams erhielt jedoch an den ersten beiden Rennwochenenden einen herben Dämpfer - in Form von Michael Schumacher und Benetton Ford. Nach zwei Rennen, bei denen Senna jeweils auf die Pole Position fuhr, stand er immer noch ohne Punkte da. In Brasilien drehte er sich auf der Jagd nach Schumacher und würgte den Motor ab, in Japan wurde er in der ersten Kurve von Mika Häkkinen torpediert und schied aus.
"Er stand danach am Streckenrand und hörte den Benettons zu, als sie vorbeifuhren. Seine Schlussfolgerung war, dass der Benetton ungewöhnliche Geräusche machte. Von da an begannen die Diskussionen darum, ob der Ford-Motor einen technischen Kniff besaß, der Benetton einen Vorteil verschaffte", so Hill.
Williams war auf dem falschen Fuß aufgestanden
Die Ausgangslage vor dem dritten Saisonrennen in Imola war für Senna nach dem verpatzen Auftakt mehr als verzwickt. Die Williams-Dominanz war nach dem für 1994 durchgesetzten Verbot der aktiven Radaufhängung dahin und der einstige Titel-Favorit war laut Hill ins Hintertreffen geraten: "Die Regeländerungen hatten uns sehr deutlich auf dem falschen Fuß erwischt und Benetton hatte von Anfang an die Oberhand." Auch Senna selbst wusste vor dem Auftakt in die Europa-Saison um seine Ausgangslage.
"Wir beginnen hier bei null. Unsere Weltmeisterschaft beginnt im Prinzip erst hier. Es sind 14 statt 16 Rennen. Es ist keine angenehme Position, aber das ist die Realität und das Team ist sich der Herausforderung bewusst, dass wir Boden auf Benetton gutmachen müssen", so der Brasilianer damals in Imola. Und jeder bei Williams ging davon aus, dass sich das Blatt in San Marino endlich wenden würde. "Wir wussten, dass wir Arbeit vor uns hatten und wir waren bereit, es anzugehen. Wir kamen alle nach Imola und dachten, dass wir ab jetzt siegen würden", erinnert sich Hill.
Roland Ratzenbergers Tod schockt Ayrton Senna
Das Rennwochenende auf der damals noch als Highspeed-Kurs bekannten Rennstrecke begann jedoch gleich mit einem Schock, als Rubens Barrichello im Freitags-Qualifying mit seinem Jordan in der Variante Bassa in die Reifenstapel einschlug und sich einen Nasenbeinbruch sowie eine Armverletzung zuzog. Senna war es, der seinem Landsmann im Medical Center beistand und hinterher gegenüber den Medien Entwarnung gab, dass es Barrichello den Umständen entsprechend gut ging.
Am darauffolgenden Tag erlitt die Formel-1-Welt mit dem tödlichen Unfall von Simtek-Pilot Roland Ratzenberger im zweiten Zeittraining einen noch größeren Schock. Wieder war es Senna, der sich tief getroffen auf dem Weg zur Unfallstelle machte - und das, obwohl die Session unterbrochen war. "Es begannen Diskussionen darüber, ob er die Regeln gebrochen hatte, indem er raus auf die Strecke fuhr. Aber ich denke nicht, dass es ihn interessiert hat. Und er lag damit sicherlich richtig", erinnert sich Hill. Der Brite, der wie der Rest des Feldes in seiner Garage blieb, hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Senna das Richtige tat.
"Er hatte das Recht, dort rauszugehen und sich einen Überblick zu verschaffen. Er war ein erfahrener Pilot, ein dreimaliger Weltmeister. Es ging ihm darum herauszufinden, ob etwas getan werden könnte. Wir hatten erst Rubens Unfall und dann einen Todesfall. Er sah sich in der Verantwortung, als Rennfahrer herauszufinden, was passiert war. Ich denke es war klar zu sehen, dass ihn das alles schwer traf." Das Qualifying wurde nach einer 25-minütigen Unterbrechung wieder aufgenommen, doch Senna verbesserte seine Rundenzeit nicht mehr. Die dritte Pole Position in Folge war ihm trotzdem nicht mehr zu nehmen.
Senna wegen Pace des Safety Cars besorgt
Nach Ratzenbergers schockierendem Unfall kehrte der Formel-1-Zirkus relativ zügig wieder zur Tagesordnung zurück, um den Rest des Rennwochenendes über die Bühne zu bringen. Bei der obligatorischen Fahrerbesprechung am Sonntagmorgen war die Stimmung bedrückt, doch es gab kaum Abweichungen von der Routine. "Es wurde nicht in Frage gestellt, ob das Rennen stattfinden würde. Es war ein ziemlich normales Briefing. Sie mussten den Unfall natürlich ansprechen, aber es war nichts Außergewöhnliches dabei", sagt Hill.
Jedoch wurden Bedenken über die Pace des Safety Cars geäußert, da die Piloten es als zu langsam empfanden, um Reifen-Temperaturen und -drücke im Arbeitsfenster zu halten. "Ich wusste, dass Ayrton diese Frage stellen wollte", erinnert sich Hill. In der Startaufstellung war allerdings wieder Business as usual angesagt: "Ich stand auf dem vierten Platz, Ayrton vorne auf der Pole. Es war ein wichtiges Rennen für ihn, denn Michael Schumacher war dabei in der WM in der Ferne zu verschwinden. Ayrton wusste, dass er etwas tun musste um sich in der Meisterschaft wieder ins Spiel zu bringen", beschreibt der Teamkollege die Ausgangslage vor dem Start des Grand Prix.
Oh Gott, nicht schon wieder
Gleich am Start gab es jedoch den nächsten schweren Unfall zwischen JJ Lehto im Benetton und Pedro Lamy im Lotus. Um die Wrackteile der Boliden zu bergen, kam es tatsächlich zur ungewollten Neutralisierung des Rennens mittels des Führungsfahrzeugs. "Wir fuhren dem Safety Car hinterher und versuchten einfach nur, den ganzen Teilen auf der Start- und Zielgeraden auszuweichen, denn sie war komplett voll davon", so Hill, der zu diesem Zeitpunkt hinter Senna, Schumacher und Berger auf der vierten Position lag. Nachdem das Rennen in Runde fünf neu gestartet wurde, kam Hill im darauffolgenden Umlauf in selbiger Position liegend mit einem kleinen Abstand hinter Senna und Schumacher, die sofort die Pace angezogen hatten, über die Start- und Ziellinie.
Am Ausgang der Tamburello-Kurve erwartete Hill jedoch das Bild des verunglückten Boliden seines Teamkollegen, der nur wenige Sekunden zuvor von der Strecke abgekommen und mit über 200 km/h in die Betonmauer eingeschlagen war. "Ich kam hinter Berger durch die Kurve und wurde mit Ayrtons Unfall und jeder Menge Wrackteilen konfrontiert. Ich kann mich daran erinnern, wie ein Teil seines Autos genau über meinen Kopf hinwegflog, als ich an der Unfallstelle vorbeikam", erinnert er sich.
"Ich dachte mir nur: Oh Gott, nicht schon wieder." Über die Schwere des Unfalls war sich Hill in diesem Moment allerdings noch nicht bewusst: "Ich hatte nicht das Gefühl, dass es ein tödlicher Unfall sein würde. Ich hegte die Hoffnung, dass es zwar ernst sein würde, sie ihn aber wieder auf die Beine bekommen und er in Ordnung sein würde." Anders als nach dem Startunfall wurde das Rennen nach Sennas Crash komplett abgebrochen und die Piloten fanden sich wieder in der Startaufstellung ein.
Kein Gedanke ans Aussteigen
Während sich das Ärztepersonal um Senna kümmerte, wurde Hill von seinem Team über dessen Zustand informiert: "Die Leute sahen alle sehr bedrückt aus. Mir wurde dann von Ann Bradshaw, der damaligen PR-Chefin von Williams, mitgeteilt, dass es ernst war. Sie sagte nur ich sollte wissen, dass es schlimm aussieht. Für mich war damit klar, dass es ein lebensbedrohlicher Unfall war." Die Ingenieure in der Williams-Box beschäftigte währenddessen vor allem die Unfallursache: Schließlich war mit Hill immer noch eines ihrer Autos im Rennen und würde in Kürze wieder mit über 300 km/h durch die Kurve fahren, in der Senna verunglückt war.
"Sie versuchten, so viel wie möglich herauszufinden. Aber ich denke, es war sehr schwierig, Daten vom Auto zu bekommen. Also redeten sie mit mir, denn wenn ich den Re-Start fahren würde wollten sie sichergehen, dass mit dem Auto alles in Ordnung war", so Hill. Nach einigen Checks kamen Fahrer und Team jedoch zu dem Schluss, dass der Williams mit der Startnummer 0 nicht gefährdet war. Hill nahm das Rennen wieder auf und wurde letztendlich nach einer Berührung mit Schumacher in der Tosa-Kurve und einem Reparatur-Boxenstopp nur Sechster. Vom Tod seines Teamkollegen erfuhr er erst am Abend: "Es war ein ziemlicher Schock, gesagt zu bekommen, dass er bereits tot war. Es wurde einem erst später bewusst, wie schrecklich alles war."
Senna legte sein Schicksal in die Hände von Gott
Daran, das Rennen nicht wieder zu starten oder gar auszusteigen, dachte er jedoch zu keinem Zeitpunkt: "Man sollte meinen, dass ich mir die Frage hätte stellen müssen: Warum steigst du nicht einfach aus dem Auto und gehst? Aber aus irgendeinem Grund kommt dir dieser Gedanken nicht in den Kopf." Im Nachhinein erkannte auch Hill, dass es vor allem eine Trotzreaktion war: "Manche sagen, es war eine bestärkte Entschlossenheit. Ganz einfach, um sich von einem schlechten Erlebnis nicht aus der Bahn werfen zu lassen und weiterhin das zu tun, was man eigentlich tun will. Auch wenn ich denke, dass wir alle die Show einfach nur über die Bühne bringen und nach Hause gehen wollten."
Wie Senna, der aufgrund von Ratzenbergers Tod sein Leben als Rennfahrer nicht wirklich hinterfragt hatte, ließ auch Hill sich selbst nach dem nächsten schweren Unfall nicht von seinem Weg abbringen: "Ich wusste immer, dass es als Fahrer Risiken gibt. Ayrton kannte sie, und Roland ebenfalls." Er glaubt jedoch, dass bei Senna noch etwas anderes als sein eher rationaler Ansatz eine Rolle spielte: "Ich denke in Ayrtons Fall war es definitiv so, dass er sein Schicksal voll und ganz in Gottes Hände legte. Was auch immer passieren würde, würde Gottes Wille sein. Also erledigte er einfach seinen Job."
Hill glaubt nicht an einen Defekt als Unfallursache
Sennas Unfall in der eigentlich problemlos mit Vollgas zu durchfahrenden Tamburello-Kurve gibt bis heute Rätsel auf. Oftmals wird eine gebrochene Lenkstange als Grund dafür vermutet, dass der brasilianische Superstar so unvermittelt die Kontrolle über seinen Boliden verlor. Hill glaubt jedoch damals wie heute nicht daran. "Ich bin davon überzeugt, dass Ayrton mit dem Auto voll und ganz glücklich war. Ich habe es damals so gesehen und ich glaube auch heute noch nicht, dass der Unfall irgendetwas mit der Qualität des Williams-Boliden zu tun hatte."
Ironischerweise fand sich Damon Hill nach dem Tod des Star-Piloten im Team in einer ähnlichen Situation wieder, wie sein Vater Graham Hill in der Saison 1968. Damals musste Graham im Lotus-Team die Führungsrolle übernehmen, nachdem Jim Clark bei einem Formel-2-Rennen in Hockenheim tödlich verunglückt war. Damon fühlte sich an seinen Vater erinnert: "Es war definitiv eine Inspiration, wenn man das so nennen kann. Die Tatsache, dass mein Vater das Team zusammenhalten musste nach dem Tod von Clark. Da dachte ich mir: Komm schon Sohn, irgendwer muss es jetzt in die Hand nehmen. Wir können uns davon nicht besiegen lassen."
Sennas T-Shirt hing noch in der Umkleide
Nach dem tragischen Wochenende in San Marino reiste die Formel 1 zum Klassiker in den Straßen von Monaco. Aus Respekt vor dem verstorbenen Senna trat Williams nur mit Hill an. Dieser hatte das Ableben seines Stallgefährten auch zwei Wochen später noch nicht vollständig realisiert: "Das Motorhome ging quasi so wie es war von Imola nach Monaco. Ayrtons T-Shirt hing noch in der Umkleide. Wir hatten nicht wirklich Zeit uns damit auseinanderzusetzen und es schien fast so, als ob wir erwarten würden, dass er zurück zum Team kommt und wieder bei uns sein würde."
Dass er Senna nicht würde ersetzen können, war ihm jedoch schnell klar: "Was Ayrton einzigartig machte, war, dass er keinen Respekt vor den etablierten Stars zeigte. Egal ob Konkurrenten, Teams, Rennstrecken, Autos oder die Oberen. Er kam und tat genau das, was er tun wollte. Er pushte sich selbst über Limits hinaus, an denen die meisten anderen Leute längst aufgegeben hätten. Er hat das Maximum herausgeholt und wurde eine Legende, weil er kein Pardon kannte und aus jeder einzelnen Runde, jeder Kurve und jedem Bruchteil einer Sekunde alles herausholte."
Obwohl Hill nur für drei Wochenenden an der Seite Sennas fuhr, wurde ihm schnell klar, dass dieser Teamkollege die größte Herausforderung seiner Karriere sein würde. "Für mich ging es darum, so nah wie möglich an ihn heranzukommen und den Abstand in einem überschaubaren Bereich zu halten. Aber von Zeit zu Zeit riss Ayrton einfach ein Stück heraus und nutzte alle seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Es öffnete mir wirklich die Augen, vor welch großer Herausforderung ich stand."
Hill kann aus Vizetitel keine Befriedigung ziehen
Hill war klar, dass Williams ihn nie als potentielle Nummer eins im Team gesehen hatte, nachdem er gerade einmal in seiner zweiten vollen Formel-1-Saison steckte und nach Prost mit Senna den nächsten Superstar zur Seite gestellt bekommen hatte. Doch der Tod des Stallgefährten ließ ihm keine Wahl: "Durch diesen tragischen Zustand war ich plötzlich im Kampf um die Weltmeisterschaft."
Dabei hätte die Saison 1994 für ihn eine ganz andere Geschichte schreiben sollen: "Ich hätte die Möglichkeit bekommen sollen, zu sehen, wie ich im Vergleich zu einem der größten Piloten der jemals in einem F1-Auto gesessen hat, abschneide. Das wäre eine Herausforderung gewesen, welche ich genossen und von der ich viel gelernt hätte. Diese Möglichkeit nicht zu bekommen, war für mich ein großer Verlust."
Beim Saisonfinale verpasste Hill die Weltmeisterschaft nach einer Kollision mit Schumacher um nur einen einzigen WM-Punkt. Dass er diesen Titelkampf überhaupt führen durfte, bereitet ihm bis heute Unbehagen. "Es ist schwer sich einzugestehen, dass ich, nur weil ich nicht die Chance bekam gegen Ayrton anzutreten, um die Weltmeisterschaft fahren konnte.
Ich hab also unheimlich viel von seinem Tod profitiert. Es fühlt sich deshalb sehr seltsam an, irgendeine Befriedigung aus der Saison 1994 zu ziehen oder irgendeinen Anspruch darauf zu erheben. Denn ehrlich gesagt glaube ich, dass wenn er gelebt hätte, es in diesem Jahr um Ayrton Senna und nicht um mich und Michael Schumacher gegangen wäre."
diese Formel 1 Nachricht