Bob, wie wird die Equipe Jaune die Test-Sessions in Angriff nehmen?

Bob Bell: Wir werden unser amtierendes Weltmeisterauto, den Renault R25, erst einmal mit einem modifizierten V10-Motor einsetzen. Durch den Umbau wird die Leistung des Autos deutlich schwächer und entspricht dem Stand der Achtzylinder-Triebwerke. Das gibt den Fahrern ein Gefühl für die Geschwindigkeiten der Formel 1 in der kommenden Saison. So können wir das Zusammenspiel zwischen Reifen, Motor und Chassis frühzeitig herausfinden. Diese kostengünstige Lösung hilft uns, Entwicklungen auf Basis eines uns bekannten, zuverlässigen Rennwagens anzustellen.

Ihre Konkurrenten werden in den Dezember-Tests Hybrid-Autos einsetzen. Das heißt, sie verwenden die Chassis aus der Saison 2005 mit den neuen V8-Motoren. Renault hingegen plant das Achtzylinder-Aggregat erst im Januar auf die Strecke zu bringen. Beunruhigt Dich das?

Bob Bell: Wir haben eine pragmatische Entscheidung getroffen, kein Interims-Auto einzusetzen. Bei dieser Art von Projekt steht der Ertrag in keinem Verhältnis zum Investment. Zuerst einmal kommt es auf das Timing an: Um den Vorteil eines Versuchswagens voll auszuschöpfen, muss es frühzeitig auf der Strecke getestet werden. Um dies zu erreichen, muss während der Saison ein vorläufiger V8-Motor gebaut werden. Außerdem kommt es auf die Kompatibilität der Teile an: Da wir den Winkel zwischen den Zylindern zum nächsten Jahr von 72° auf 90° erweitern, hätten wir starke Änderungen am Chassis vornehmen müssen. Dies bindet enorme Ressourcen und hätte nicht annähernd die Form des Monoposto für 2006. Bei jedem Team führt der Bau eines Interims-Autos unweigerlich zu Konsequenzen - es kostet Geld, Arbeitsstunden und Ressourcen. Nach der Kalkulation des zeitlichen und finanziellen Aufwands sowie der Anzahl der Arbeitsstunden für das Projekt für 2006 haben wir festgestellt, dass die Rendite eines Interims-Autos zu gering ausfällt.

Würde ein Hybrid-Auto dem Renault Team nicht helfen, die Installation und die Charakteristika des V8-Motors besser kennen zu lernen?

Bob Bell: Weil wir auf dem Prüfstand nicht jeden Aspekt nachstellen können, der in Realität auf den Motor einwirkt, sind die Tests auf der Strecke entscheidend. Nach dieser Vorgabe haben wir die Vorbereitungen für die nächste Saison ausgerichtet. Zu Jahresbeginn möchten wir schnellstmöglich zwei Autos auf die Strecke schicken und möglichst viele Kilometer mit den endgültigen Motoren abspulen. Die Installation des neuen Triebwerks stellt ohnehin die geringere Herausforderung dar, da sich beispielsweise Öl- und Wassersysteme im Vergleich zum Vorjahr kaum unterscheiden. Darüber hinaus haben wir in den vergangenen Jahren starke Veränderungen an der Bauweise des Motors vorgenommen. Wir wissen also, was auf uns zukommt. Der Vorteil besteht darin, dass größere Umbauten für uns zum Alltagsgeschäft gehören.

Du hast die Reifenentwicklung bereits als wichtige Komponente im Wintertest-Programm erwähnt. Wird euch die Nutzung eines bewährten, zuverlässigen Pakets vor Weihnachten einen Vorsprung verschaffen?

Bob Bell: Davon gehe ich aus, obwohl manche andere Teams neben den V8-Monoposti wohl auch Autos mit V10-Motoren einsetzen werden. Durch die neuen Bestimmungen ändern sich die Anforderungen an die Pneus gewaltig: Sie müssen einerseits dem kürzeren Lebenszyklus angepasst werden - ab 2006 dürfen Reifen während des Rennens wieder gewechselt werden. Andererseits strapazieren die schwächeren Achtzylinder-Motoren die Hinterräder weniger. Zusammen mit Michelin arbeiten wir an einer neuen Pneu-Generation, die auf diese Bedürfnisse hin optimiert wurde.

Michelin dominierte zwar in der Saison 2005, doch ein Jahr zuvor - als die Regelungen denen des Jahres 2006 entsprachen - lagen die konkurrierenden Reifenhersteller eng beieinander. Mit welchem Kräfteverhältnis rechnest du für die kommende Saison?

Bob Bell: In der Formel 1 gibt es eine einfache Wahrheit: Eine Erfindung lässt sich nie rückgängig machen. Nach dem Verbot von Reifenwechseln gelangen Michelin im vergangenen Jahr enorme Fortschritte. Wie das Beispiel Spa-Francorchamps zeigt, konnten sich die Männer aus Clermont-Ferrand auch bei den Regenrennen deutlich verbessern. Diese Entwicklungen werden sich auch in der Saison 2006 auswirken. Wir sind sehr zuversichtlich, dass Michelin uns auch nächstes Jahr siegfähige Reifen zur Verfügung stellt. Die Verantwortung liegt bei uns und bei den anderen Teams, das Potenzial der Pneus umzusetzen. Ich bin mir sicher, dass wir uns in gut einem Jahr erneut über die besten Reifen von Michelin unterhalten können, die das Renault Team je erhalten hat.

Welche Reaktion erwartest Du von den Fahrern nach den ersten Tests in Bezug auf die Motorleistung?

Bob Bell: Nach den ersten Runden werden sie wohl sehr enttäuscht sein. Als Rennfahrer lieben sie Kraft und Geschwindigkeit über alles. Die Autos werden sich aus Sicht der Piloten untermotorisiert anfühlen. Sie werden sich aber schnell an die neuen Boliden gewöhnen und ihren Fahrstil verfeinern, um das Beste aus Rennwagen und Reifen herauszuholen. Sie werden sich an das veränderte Abtriebsniveau anpassen und die Auswirkungen des Kraftverlusts über eine Runde beziehungsweise eine ganze Renndistanz kennen lernen.

Neben den V8-Triebwerken sind 2006 auch Zehnzylinder mit Drehzahlbegrenzung zugelassen. Nach den ersten Erfahrungen mit dem neuen Aggregat, würdest du das als Option für die nächste Saison in Erwägung ziehen?

Bob Bell: Nein. Die FIA-Regeln besagen eindeutig, dass diese Ausnahme nur für Teams gilt, die sich keinen konkurrenzfähigen Achtzylinder-Motor leisten können. Keiner der führenden Rennställe denkt über den Einsatz eines modifizierten V10-Aggregats nach.