Wie sieht Ihre technische Entwicklung aus, und wie würden Sie Ihre Rolle und Ihre Verantwortung als Chefentwickler beschreiben?

Kevin Taylor: Ich bin jetzt seit rund 17 Jahren in dieser Branche und habe bei einigen anderen Teams gearbeitet, einschließlich Benetton, Ferrari, Arrows und Lotus, bevor ich dem B·A·R-Team im Jahr 2002 als Chief Composite Designer beigetreten bin. Im Juni dieses Jahres wurde ich dann zum Chefentwickler befördert. Ich bin jetzt direkt Geoff Willis, unserem technischen Leiter, unterstellt und arbeite derzeit mit einem Team von 32 Entwicklern am Design des neuen Wagens. Alle arbeiten an CAD-Stationen, und ihre Arbeit kann in vier Grundbereiche unterteilt werden: die Karosseriegruppe, die Kraftübertragungsgruppe, die Hydraulikgruppe und die Mechanikgruppe. Obwohl wir über Spezialisten verfügen, versuchen wir, das Entwicklungsteam flexibel zu gestalten, damit weiterhin neue Ideen einfließen und die Motivation der einzelnen Mitarbeiter hoch bleibt. Ich bin für die Planung, Leitung und Überwachung der Entwicklung des gesamten Wagens verantwortlich. Aber die Rolle eines Chefentwicklers ist heute ganz als anders als beispielsweise noch vor 15 Jahren. Damals war der Chefentwickler in jede Entscheidung über jedes Bauteil verwickelt. Heute ist der gesamte Prozess viel komplizierter geworden und ich muss einen großen Teil der Arbeiten an wichtige Mitarbeiter delegieren. Ich bestimme die Richtung bei der Entwicklung des Wagens für meine Abteilung und muss dann sicherstellen, dass alle miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten. Im Arbeitsalltag bedeutet das, dass wir die Anregungen sammeln, die wir aus den jeweiligen Fachbereichen wie beispielsweise Aerodynamik, Fahrzeugdynamik, Elektronik und Produktionstechnik bekommen und die zum gesamten Entwicklungsprozess beitragen. Obwohl alle glauben, dass ein Formel 1-Wagen absolut ausgereift ist, müssen wir verschiedene Kompromisse machen. Es ist meine Aufgabe, die Informationen auszuwerten, damit wir die entsprechenden Entscheidungen treffen können.

Wie geht es mit der Entwicklung und dem Bau des neuen Wagens für 2006 voran?

Kevin Taylor: Recht gut, obwohl es nicht unbedingt hilfreich war, dass die FIA kurz vor Toresschluss noch einige Änderungen beschlossen hat, die sich natürlich direkt auf den Wagen auswirken werden. Wir haben mit der Planung des Aufbaus und des Basispaketes für den 2006er Wagen im Januar begonnen, nachdem die V8-Regeln feststanden. Die meisten der zuerst durchgeführten Arbeiten konzentrieren sich auf die schwierigsten Bereiche, wie etwa die Kraftübertragung und das Hauptchassis. Das Heck des Wagens – Motor, Kraftübertragung, Hydraulik – ist für gewöhnlich drei Monate vor dem restlichen Fahrwerk fertig. Das sind die Komponenten, die für die Zuverlässigkeit am wichtigsten sind, und wir müssen sie im Interim-Konzept-Car testen, wenn die Wintertests Ende November beginnen. Auf diese Weise geben wir den für die Aerodynamik zuständigen Mitarbeitern so viel Zeit wie möglich. Je mehr sie im Windtunnel testen können, desto schneller wird der Wagen fertig sein, und das ist in diesem Jahr doppelt wichtig, da uns die Einführung eines kürzeren Achtzylindermotors ganz andere Möglichkeiten eröffnet. Das Fahrwerk für 2006 wird Mitte Dezember fertig sein, und die Endmontage beginnt Anfang 2006.

Also erfolgt die Endmontage des Wagens in relativ kurzer Zeit?

Kevin Taylor: Der Bau eines Formel Eins-Wagens ist heute ganz anders als vor etlichen Jahren. Der Wagen wird vollständig mit Hilfe von CAD-Programmen entwickelt, und wenn man diese Hilfsmittel richtig einsetzt, kann man sich darauf verlassen, dass alle Komponenten schon beim ersten Versuch zusammenpassen. Außerdem haben wir von allen Bereichen des Wagens Modelle, die uns beim Entwicklungsprozess helfen. Es mag einige geringfügige Probleme geben, aber wenn alle Teile verfügbar sind, wird der Bau des ersten Wagens nur unerheblich langsamer vonstatten gehen als der Bau der nachfolgenden Fahrwerke.

Sie haben eben die späten Änderungen der FIA erwähnt. Wie werden sich die geänderten Qualifying- und Reifen-Regeln auf die Entwicklung des neuen Wagens auswirken?

Kevin Taylor: Relativ stark, selbst in diesem späten Stadium. Ich muss zugeben, dass wir in der vergangenen Saison im Hinblick auf die Reifenleistung während einer Renndistanz nicht so gut abgeschnitten haben wie einige unserer Konkurrenten. Folglich war das ein Bereich, auf den wir uns bei dem neuen Wagen besonders konzentriert haben. Und dann werden die Regeln geändert, und jetzt befinden wir uns in Bezug auf die Langlebigkeit der Reifen wieder näher an der Leistungsfähigkeit, die wir 2004 gezeigt haben, als wir sehr stark waren. Folglich sind wir gerade dabei, einige unserer Entscheidungen noch einmal zu überprüfen, um mögliche Änderungen vorzunehmen.

Sie haben das Reifenproblem gerade angesprochen. Gibt es noch andere Lektionen, die Sie 2005 lernen mussten?

Kevin Taylor: Wir haben gelernt, dass man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen kann. Wir haben 2004 sehr gut abgeschnitten und waren wahrscheinlich das schnellste Team mit Michelin-Reifen. Aber wir haben unsere Ziele zu niedrig angesetzt, als die neuen Aerodynamikregeln für 2005 festgelegt wurden. Bei den Vorsaisontests wurde schnell deutlich, dass andere Teams mehr Abtrieb hatten als wir, und wir haben wahrscheinlich nicht schnell genug reagiert. Außerdem gibt es einen besonderen Bereich des Wagens, mit dem wir das ganze Jahr über Probleme hatten. Wir haben das Problem erkannt und sind zuversichtlich, dass wir es bei dem neuen Wagen beheben können.

Wann werden die ersten Tests mit dem neuen Wagen durchgeführt?

Kevin Taylor: Irgendwann im Januar.

Worin bestehen die größten technischen Unterschiede zwischen der Entwicklung eines Wagens mit V10-Motor und der eines Wagens mit V8-Motor?

Kevin Taylor: Der kompakte V8-Motor bietet der Aerodynamikgruppe einige neue Möglichkeiten. Dieser Motor benötigt ja nur vier Auspuffrohre an jeder Motorseite, und deshalb steht in diesem Bereich jetzt viel mehr Platz zur Verfügung als beim V10-Motor. Ein 90 Grad-V8 Motor ist außerdem nicht so gut ausbalancierbar wie ein V10-Motor, so dass in bestimmten Drehzahlbereichen spürbare Vibrationen auftreten werden. Folglich konzentrieren wir uns vor allem darauf, wie wir die empfindlichsten Teile des Wagens vor Vibrationen schützen können. Ehrlich gesagt wäre es keine große Überraschung, wenn es bei der ersten Fahrt mit dem Wagen ein paar kleine Probleme mit der Zuverlässigkeit gäbe. Die Tatsache, dass der Wagen erheblich weniger Leistung und Drehmoment haben wird, wird sich auf die gesamte Balance des Wagens in Bezug auf die Reifen auswirken. Die Mitarbeiter, die für die Fahrzeugdynamik verantwortlich sind, müssen bestimmte Fahrzeugbereiche noch einmal überprüfen, um sicherzustellen, dass wir die besonderen Eigenschaften des neuen Motors optimal einsetzen können. Da der Wagen rund 200 PS weniger haben wird, dürfte sich am Kurvenverhalten nur wenig ändern. Aber wir müssen häufiger mit Vollgas fahren, und das wird sich wiederum auf den Verbrauch niederschlagen. Man würde normalerweise davon ausgehen, dass ein 2,4 l V8-Motor 20 Prozent weniger verbraucht als ein 3,0 l V10-Motor. Das ist aber nicht unbedingt der Fall.

Können wir bei so vielen Veränderungen dieselben vertrauten Teams in der Formel 1-Saison 2006 sehen?

Kevin Taylor: Das ist eine gute Frage... Wir gehen immer davon aus, dass sich die großen Teams mit ihrem großen Budget schnell an neue technische Regeln anpassen können. Die FIA hat jedoch einige restriktive Regeln eingeführt, die die Bereiche einschränken werden, die den Teams mit größeren Budgets zur Verfügung stehen. Beispielsweise gibt es jetzt ein leicht erreichbares Mindestgewicht für den Motor. Deshalb sind die Chancen in den wichtigsten Motorbereichen für alle Teams gleich, und die Notwendigkeit aufwändiger Entwicklungsarbeiten gibt es in diesem Bereich nicht mehr.

Wie groß ist die Rolle, die Honda derzeit bei der Planung und Entwicklung des neuen Wagens spielt? Und welche Mittel stehen Ihnen von Honda zur Verfügung, wo das Unternehmen jetzt alleiniger Eigentümer des Teams ist?

Kevin Taylor: Wir haben Honda-Mitarbeiter für einige Zeit in das Entwicklungsteam integriert. Das hat sich als hilfreiche Maßnahme herausgestellt und uns geholfen, die Lücke zwischen einer vorwiegend europäischen Organisation in Großbritannien und einer japanischen Konzernmutter zu schließen. Außerdem haben wir verschiedene gemeinsame Entwicklungsprojekte durchgeführt, bei denen in Großbritannien und in Japan gearbeitet wurde. Honda-Ingenieure waren bei der Entwicklung der wichtigsten Fahrzeugteile für den 2005er Wagen behilflich, und ich bin sicher, dass wir ihre Mitarbeit noch weiter ausbauen werden. Ich habe jetzt viel mehr Ingenieure zur Verfügung, und wir können deshalb viel mehr Projekte gleichzeitig durchführen, was die Geschwindigkeit unserer Entwicklungsprogramme verbessern muss. Honda verfügt natürlich auch über eine riesige F&E-Abteilung, die sicherlich an verschiedenen neuen Technologien arbeiten wird. Viele dieser Technologien können wir uns heute wahrscheinlich noch nicht in einem Formel Eins-Wagen vorstellen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht irgendwann einmal in einem Wagen eingesetzt werden. Wer weiß, ob wir nicht in den kommenden Jahren in der Formel 1 die Hybrid-Brennstoffzellentechnik einsetzen werden?

Rubens Barrichello, der mit Ferrari mehrere Weltmeisterschaften gewonnen hat, weiß natürlich einiges darüber, wie man gewinnt. Wie können Sie von seiner Erfahrung profitieren?

Kevin Taylor: Da Rubens für das erfolgreichste Team der jüngsten Zeit gefahren ist, wären wir dumm, wenn wir ihn nicht darüber befragen würden, was Ferrari so erfolgreich gemacht hat. Der Erfolg gründet sich nicht nur auf den Wagen selbst, sondern auch auf die Arbeitsweise. Wir werden ihm zuhören und herausfinden, ob es Dinge gibt, die wir ändern sollten. Wahrscheinlich sitzt der Teufel im Detail, und entsprechende Veränderungen könnten den Erfolg bewirken. Der andere große Vorteil ist, dass Rubens mit dem richtigen Wagen Rennen gewinnen kann. Rubens hat sich als siegreicher Fahrer bewährt, und deshalb müssen wir alles tun, um ihm den richtigen Wagen zur Verfügung zu stellen. Wir alle glauben, dass auch Jenson Rennen gewinnen kann, aber bisher ist das noch nicht geschehen.

Letzte Woche hat Nick Fry davon gesprochen, dass er 2006 mehrere Rennen gewinnen möchte. Wie zuversichtlich sind Sie, dass dieses Ziel mit dem neuen Wagen erreicht werden kann?

Kevin Taylor: Wir sind ziemlich zuversichtlich. Wir haben viele Untersuchungen durchgeführt und uns hohe Ziele gesetzt. Das sollte es uns ermöglichen, Rennen zu gewinnen. Wenn wir ehrgeizig an diesen Zielen arbeiten, dann werden wir sie auch erreichen. Wir müssen von Anfang an einen schnellen Wagen haben. Dann können wir uns daran machen, die Leistung im Detail noch zu verbessern. B·A·R hat bewiesen, dass es eine Herausforderung für die anderen Teams darstellen kann. In den vergangenen drei Jahren haben wir uns so schnell entwickelt wie alle anderen Teams auch, obwohl wir ein neues Team waren. Wenn wir 2006 leistungsstark genug sind, dann können wir sicherlich auch Rennen gewinnen.