Die Formel 1 erlebte vom 12. auf den 13. Dezember 2022 ein paar wilde Stunden auf dem Teamchefkarussell, an dessen Ende Ferrari, McLaren und Alfa-Sauber neue Bosse haben, und Williams plötzlich weder Chef noch Technischen Direktor.

Fred Vasseur zu Ferrari, Andreas Seidl zu Sauber, Andrea Stella neu bei McLaren, und der doppelte Williams-Abgang. Bei so viel Bewegung gibt es natürlich Gewinner und Verlierer. Die Motorsport-Magazin-Redakteure Christian Menath und Markus Steinrisser analysieren alle Betroffenen.

Teamchef-Karussell in der Formel 1: Die Gewinner & Verlierer

Verlierer: McLaren
von Markus Steinrisser

Zak Brown hat Andreas Seidl geholt, um das am Boden liegende Team wieder aufzurichten. Bis jetzt lief das hervorragend, Seidl und Brown als Duo in perfekter Harmonie, die Richtung vorgebend, den Plan, die Leute, die technischen Entscheidungen. Jetzt muss plötzlich das Werk ohne einen der Schöpfer vollendet werden. Auch wenn der Kurs stimmt und der Rest der Teamführung bestehen bleibt. Seidl war der perfekte Mann für den Job. Jetzt ist er weg. Diese Untiefe muss man erst einmal erfolgreich umschiffen. Das wird eine wahre Härteprüfung für die geschaffenen Strukturen.

Gewinner: Audi
von Christian Menath

Audi hat das, was McLaren nicht mehr hat und was Ferrari nicht bekommen hat: Andreas Seidl. Dass von Audi nach der Sauber-Bekanntgabe eine Pressemitteilung kam, spricht Bände. Seidl ist bereits ein Audi-Mann. Er ist (noch) nicht Teamchef, weil man ihn nicht mit Alfa verbrennen und Motorenpartner Ferrari nicht verärgern will. Die Lösung als CEO ist clever gemacht. Seidl ist der perfekte Mann: Er kennt Hinwil und er kennt Konzern. Und vor allem ist er rechtzeitig vor Ort. Wenn Audi 2026 einsteigt, wäre es zu spät. Die Weichen werden heute gestellt.

Gewinner: Andreas Seidl
von Christian Menath

Ein gefragter Mann, dieser Motorsportfunktionär aus der bayerischen Provinz. Wer bei Ferrari ganz oben auf der Wunschliste steht, kann so viel nicht verkehrt gemacht haben. Seidl wechselt nicht vom WM-Fünften zum WM-Sechsten. Er wechselt zu einem OEM. Er weiß, welche Power ein Hersteller hat, auch mit Budget Cap. Persönlich ist es eine riesige Erleichterung, nach Neuburg und nach Hinwil zu reisen als nach Woking. Clever auch für ihn: Die Lösung als CEO. Somit ist er zunächst aus der Schusslinie und kann im Hintergrund die Strippen ziehen.

Verlierer: Ferrari
von Christian Menath

Nicht falsch verstehen, Fred Vasseur ist kein Schlechter. Er ist irrsinnig kompetent, versteht die Technik, hat ein ultra-erfolgreiches Rennteam in Nachwuchsserien aufgebaut und kann sicherlich auch die Politik. Aber er war nicht Ferraris erste Wahl. Es waren einmal mehr die politischen Spielchen in Maranello, die dazu geführt haben, dass Ferrari Vasseur nehmen musste. Nach dem Binotto-Rücktritt brauchte es einen Nachfolger. Christian Horner und Andreas Seidl wollten aber nicht. Interessant ist, ob der Binotto-Rücktritt durch die erneuten Gerüchte erst von Vasseur angezettelt wurde. Der Brandstifter als Feuerwehrmann - das gibt es nur bei Ferrari.

Gewinner: Fred Vasseur
von Markus Steinrisser

Zyniker mögen anzweifeln, wie viel es für Fred Vasseur im Druckkessel Ferrari zu gewinnen gibt. Realistisch gesehen gilt aber: Vasseurs Posten bei Sauber war angezählt. Das stellte sich am Dienstagnachmittag heraus, als McLaren verriet, dass Andreas Seidl 2026 so oder so dort angefangen hätte. Jetzt hat Vasseur einen dicken Fisch an Land gezogen. Top-Team mit Top-Fahrer und Top-Infrastruktur, im Vorjahr siegfähig, finanziell sicher auch gut entlohnend. Er bekommt fast alles, was man sich als Teamchef wünschen kann. Auch ist er ein fähiger Manager, gefestigter Charakter, auf dem Papier hat er selbst genauso alles, was er braucht. Wenn er sich durchsetzen kann, ist er mehr als bloß ein kurzfristiger Gewinner. Wenn nicht - das Risiko war es trotzdem wert.

Gewinner: Charles Leclerc
von Markus Steinrisser

Die Beziehung zwischen Charles Leclerc und Mattia Binotto war im Laufe von 2022 sichtlich abgekühlt. Vor allem Entscheidungen wie Silverstone, wo Leclerc trotz WM-Aussichten die schlechtere Strategie bekam, wogen schwer. Mit Vasseur bekommt Leclerc nun einen Mann, der ihn als Rennfahrer liebt, der ihn auch schon mit Lewis Hamilton (ein weiterer Ehemaliger von Vasseurs altem Nachwuchs-Team ART) verglichen hat. Leclerc und Vasseur feierten Siege im Kart, 2016 den Titel in der GP3, zuletzt arbeiteten sie 2018 bei Sauber zusammen. Von Vasseur kann sich Leclerc also auch bei Ferrari viel Rückhalt erhoffen.

Fred Vasseur und Charles Leclerc 2018 bei Sauber, Foto: Sutton
Fred Vasseur und Charles Leclerc 2018 bei Sauber, Foto: Sutton

Gewinner: Red Bull
von Christian Menath

Konkurrenz geschwächt? Nein, das ist nicht mein Punkt. Die Tatsache, dass man den eigenen Teamchef nicht an Ferrari verloren hat, ist ein klarer Sieg. Christian Horner hat mit Red Bull alles erreicht, was es zu erreichen gibt - und das gleich zweimal. Erst mit Sebastian Vettel, jetzt mit Max Verstappen. Aber Red Bull hat ihm ein Paket und einen Vertrag gegeben, die Horner offenbar überzeugen konnten. Die Historie der Ferrari-Teamchefs wird ebenfalls dabei geholfen haben. Jedenfalls wird das intakte Bullen-Team in einer - aus Konzern-Sicht spannenden Zeit - nicht auseinandergerissen.

Gewinner: Andrea Stella
von Markus Steinrisser

Sein Debüt als Teamchef zu geben ist immer schwierig. Doch mit McLaren hat Andrea Stella ein hervorragendes Umfeld für sein Debüt, vielleicht den aktuell besten Platz überhaupt. Er kennt das Team, war schon davor in einer Führungsposition, hat es mit Andreas Seidl gemeinsam aufgebaut. Er hat den uneingeschränkten Rückhalt von Motorsport-CEO Zak Brown, der ihm auch mit Massen an Erfahrung zur Seite stehen kann. Stella hat völlig zurecht mutig diese Chance ergriffen, als Brown ihm das Angebot unterbreitet hat. Hier kann er sich, besser als an jedem anderen Ort in der Formel 1, etablieren.

Verlierer: Williams
von Markus Steinrisser

Wohin die Williams-Reise geht? Gute Frage. Stand 13.12. ist die Mannschaft aus Grove das einzige Team ohne Teamchef und Cheftechniker. Jost Capito und FX Demaison sind in Sachen Leistung schwer einzuschätzen. Man stabilisierte das Team und schaffte wieder Anschluss ans Mittelfeld. Echte Ergebnisse fuhr man aber auch keine ein. Es sei anzumerken, dass unter der Führerschaft von Capito und von Demaison kein einziger vollständiger Entwicklungszyklus eines Autos abgeschlossen wurde. Jetzt sucht sich Williams wieder Neue. So kurzfristig kann sich keiner einarbeiten, selbst wenn die untergeordnete Team-Struktur bleibt. Das kann gar Monate dauern. So droht Williams in einem luftleeren Raum hängenzubleiben. Stagnation am Ende des Feldes.