Können Sie den Rekord von Max Verstappen mal mit der Saison 2013 von Sebastian Vettel mit 13 Siegen vergleichen?
Dr. Helmut Marko: Man muss fairerweise sagen, dass es heute viel mehr Rennen gibt. Aber nach ein paar Monaten vergisst jeder, was die Basis war. Es wird sicher nicht leicht sein, diesen Rekord noch einmal einzustellen. Und wir dürfen nicht vergessen: Es sind ja noch zwei Rennen.

Erwarten Sie, dass das Feld mit dem Budget-Cap in den nächsten Jahren enger zusammenliegt und diese Rekordmarke dann kaum noch zu schlagen ist?
Dr. Helmut Marko: Bisher hat das Budget-Cap überhaupt nichts geändert. Warum soll das in Zukunft anders sein? Man muss einfach besser entwickeln. Uns trifft natürlich, dass wir durch den Gewinn des Konstrukteurspokals schon weniger Windkanalstunden haben. Da muss bei uns jetzt jeder Versuch sitzen. Am Ende kommt es aber immer auf die Qualität des Personals an.

Was erwarten Sie für die letzten zwei Rennen? Ist jetzt Mercedes der erste Konkurrent und nicht Ferrari?
Dr. Helmut Marko: Ich glaube, dass die Höhenlage Mercedes optimal in die Karten gespielt hat. Der Luftwiderstand ist um 20 Prozent geringer. Im Rennen konnten wir aber relativ locker gewinnen.

Sergio Perez liegt wieder auf WM-Rang zwei. Wie wichtig ist jetzt noch der Vize-Titel?
Dr. Helmut Marko: Wenn man sonst schon alles erreicht hat, dann geht man auf solche Zuckerl. Man braucht ja auch einen Anreiz für die Leute, damit die Motivation oben bleibt. Wo liegt eigentlich der Rekord für die meisten Siege eines Teams in einer Saison?

Mercedes hat in der Saison 2016 insgesamt 19 Siege eingefahren…
Dr. Helmut Marko: Wir haben jetzt 16. Das können wir also nicht mehr erreichen.

Würden Sie 2022 als die beste Saison von Red Bull in der Geschichte bezeichnen?
Dr. Helmut Marko: Ja, weil die Konkurrenz viel größer und besser ist.

Lag der Erfolg eher am Fahrer oder eher am Auto?
Dr. Helmut Marko: Es liegt an beidem. Man hat in der Anfangsphase der Saison gesehen, dass Max mit einem Auto, das nicht seinem Fahrstil entspricht, gleich schnell ist wie Perez. Wenn das Auto passt, geht es gleich mal eine halbe Sekunde schneller.

Was entgegnen Sie den Kritikern, die behaupten, dass das Auto für Verstappen und gegen Perez entwickelt wurde?
Dr. Helmut Marko: Das ist natürlich Blödsinn. Das Hauptproblem war das große Übergewicht. Wir sind jetzt immer noch ein bisschen drüber.

War das Gewicht mehr ein Problem als die Aerodynamik?
Dr. Helmut Marko: Bei der Aero hat nicht viel gefehlt.

Hätten Sie am Anfang der Saison daran geglaubt, dass das Ruder so herumgerissen wird?
Dr. Helmut Marko: Nein ... wie war die Aussage von Max: 'Ich brauche 36 Rennen, um den Rückstand aufzuholen.' Das wäre in einem Jahr etwas schwierig geworden. Wir haben unser Programm dann intensiviert. Die Fehler wurden analysiert. Die ersten beiden Ausfälle lagen auf der Seite von Red Bull Racing. Der dritte Ausfall war Honda. Da haben wir dann die Qualitätskontrolle verbessert.

2026er Motor: Gibt Alternativen zu Honda

Gibt es etwas Neues zum Thema Honda und 2026?
Dr. Helmut Marko: Es laufen Gespräche. Es ist aber nicht unsere einzige Option. Wir haben unsere Lehren aus der Porsche-Verhandlung gezogen. Es wird keine 50/50-Lösung geben.

Wann können wir da eine Entscheidung erwarten. Die Einschreibefrist ist ja bis Mitte November verlängert worden?
Marko: Das hat eigentlich auf uns keinen Einfluss. Außer, Honda will mit einem eigenen Motor kommen.

Würde sich Honda auf eine Lösung wie bei Porsche einlassen? Dass der Elektro-Teil aus Japan kommt und der Verbrenner von Red Bull Powertrains?
Dr. Helmut Marko: Das ist das Schöne an den Japanern. Man sitzt zusammen. Es wird höflich genickt. Aber es wird nichts gesagt.

Ist das bei Koreanern auch so?
Dr. Helmut Marko: Das wissen wir nicht. Wir sprechen nicht mit Koreanern. Aber wir haben andere Alternativen.

Der Japaner ist ja stolz auf seine Motoren. Muss da Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit sie die Red-Bull-Technik übernehmen?
Dr. Helmut Marko: Es gibt Gespräche, da müssen wir jetzt mal schauen. Wenn sie nicht ausgestiegen wären, hätten wir uns das ganze Investment sparen können.

Post-Mateschitz-Ära bricht bei Red Bull an

Wird sich durch den Tod von Dietrich Mateschitz irgendetwas ändern?
Dr. Helmut Marko: Es wird sich sicher einiges ändern. Es war ja de Facto eine Alleinherrschaft. Aber Red Bull Racing ist das stärkste und effizienteste Marketing-Tool des Gesamtkonzerns. Wir haben schon in der Vergangenheit sehr autark gearbeitet. Wir waren die einzigen, die sich nicht an die Firmenregeln halten mussten. Diese Eigenständigkeit gab es mit Zustimmung von Mateschitz. Es ist aber schon durchgesickert, dass die neue Führung die Formel-1-Aktivitäten weiterführen will. Und zwar so wie jetzt, mit einer relativ starken Unabhängigkeit.

Steht AlphaTauri eher auf der Kippe?
Dr. Helmut Marko: Es geht dem Konzern gut. Es gibt keine Notwendigkeit finanzieller Natur, das Team zu verkaufen. Es gibt eher eine Notwendigkeit, das Team sportlich wieder auf ein höheres Niveau zu bringen.

Verdient Red Bull mit dem F1-Rennstall Geld oder muss Geld reingesteckt werden?
Dr. Helmut Marko: Für die Summe, die eingezahlt wird, ist Red Bull überproportional auf dem Auto vertreten. Wenn man die Red-Bull-Werbung wegnehmen und an kommerzielle Sponsoren verkaufen würde, dann wären wir hoch im positiven Bereich.

Wie sieht es mit dem Red Bull Ring aus?
Dr. Helmut Marko: Der befindet sich im Besitz der Mateschitz-Stiftung. Das ist losgelöst vom Konzern. Es gibt nur einen Sponsorenvertrag zwischen Red Bull und dem Projekt Spielberg. Da muss man mal schauen, wie es mit der Privatstiftung weitergeht. Aber das ist unabhängig von Red Bull.

Überdenke Sie auch ihre persönliche Funktion? Ist nun ohne Mateschitz auch Aufhören eine Option?
Dr. Helmut Marko: Es gibt nächste Woche [zum Zeitpunkt des Interviews, inzwischen in der Vergangenheit] Business-Verhandlungen in Thailand. Ich bin unabhängig. Es kommt auf das Gesamtgefüge an. Wir haben aber noch einiges vor. Es läuft gerade gut. Wir sind sehr effizient.

Wie sieht es mit dem Junior-Programm aus? Das war ja zuletzt nicht so erfolgreich.
Dr. Helmut Marko: Deshalb haben wir ja den de Vries verpflichtet.

Wer ist noch dabei nächstes Jahr?
Dr. Helmut Marko: Hadjar fährt Formel 2. Crawford ist noch dabei. Iwasa auch. Wir haben auch ein paar neue Fahrer, die wir aber noch bekanntgeben. Lawson war bei seinem F1-Test sehr schnell. Er wird nächstes Jahr in Japan fahren und einer unserer Reservefahrer für die Formel 1 sein.

Red Bull boykottiert Sky: Man muss Flagge zeigen

Was für ein Problem gibt es gerade mit Sky?
Dr. Helmut Marko: Das lassen wir uns nicht gefallen. Der Herr Kravitz hat behauptet, der erste Titel war gestohlen. Und den zweiten Titel verdient Max auch nicht, weil es nur an Newey lag.

Ist der Boykott mit dem Mexiko-Wochenende beendet?
Dr. Helmut Marko: Wir warten jetzt auf eine Reaktion. Da muss man Flagge zeigen.

Fakt ist aber, dass Red Bull die Budgetobergrenze nicht eingehalten hat. Akzeptieren Sie das?
Dr. Helmut Marko: Es war das erste Jahr. Die Regeln waren schwammig. Mit Klarstellungen hat man spät reagiert. Wir haben alles von Ernest & Young [Steuerberatungs-Firma] abchecken lassen. Man muss sich ja auf etwas verlassen. Wir haben geglaubt, dass wir ein Sicherheitsnetz von drei Millionen haben. Letztlich sind ja nur noch 400.000 übriggeblieben. Mit dem Geld konstruiert der Hamilton einen Frontflügel. Der Haas macht ein ganzes neues Auto. Es ist unglaublich, was technisch alles möglich ist.

Was hat Herr Mateschitz zu der ganzen Angelegenheit gesagt?
Dr. Helmut Marko: Es wäre für nächste Woche ein Meeting geplant gewesen. Dazu kam es nicht mehr. Aber Mateschitz hat in seiner ganzen Karriere so viel Prügel einstecken müssen. Red Bull wurde in den Vergangenen Jahren mit vielen Vorwürfen konfrontiert. Da gibt es also eine gewisse Kampfstimmung.

Können Sie für 2022 ausschließen, dass uns so eine Geschichte noch einmal blüht?
Dr. Helmut Marko: Aktueller Stand ist, glaube ich, dass sechs Teams drüber sind. Die Inflation ist etwas, was in dem Ausmaß nicht kalkulierbar war. Vor allem bei den Energiekosten.

Sie verbrauchen ja demnächst nicht mehr so viel Strom, wenn der Windkanal weniger läuft...
Dr. Helmut Marko: Das Problem unseres Windkanals ist, dass es ein Nachkriegsprodukt ist. Der wurde vom englischen Verteidigungsministerium aufgebaut. Der steht unter Denkmalschutz. Er ist wahnsinnig lang und nicht isoliert. Der braucht eine Zeit, bis er sich aufheizt. Wenn es draußen kalt ist, dauert es noch länger. Darum bauen wir jetzt auf unserem Gelände einen neuen Windkanal. Was eigentlich idiotisch ist, weil die ganze Entwicklung in Richtung CFD-Simulationen geht. Das sind wieder 50 Millionen, weil man sich nicht einigen konnte.

Wann ist der Windkanal fertig?
Dr. Helmut Marko: Das Gebäude steht schon. Da wird der Windkanal praktisch eingezogen. Bis alles fertig ist, dürfte es noch zwei bis drei Jahre dauern.