2022 verpflichteten sich alle zehn Formel-1-Teams zweimal pro Saison einen Rookie anstelle eines Stammfahrers im 1. Freien Training fahren zu lassen. Gesehen bei Red Bull (Jüri Vips) und Williams (Nyck de Vries) in Barcelona. McLaren will seine Youngsters nach der Sommerpause hinter das Steuer setzen. Wo und wann ist laut McLaren-Teamboss Andreas Seidl noch nicht entschieden. Ebenfalls noch unklar: Wer überhaupt fahren wird. Mit Colton Herta, Pato O'Ward und Alex Palou stehen drei potenzielle Kandidaten aus der amerikanischen IndyCar-Rennserie in den Startlöchern.

Colton Herta in Pole Position?

Gute Chancen rechnet sich Colton Herta aus. Bei einem zweitägigen Test von 11. bis 13. Juli in Portugal pilotierte Herta den MCL35M um die ehemalige Rennstrecke. Im Rahmen der erlaubten Testfahrten mit Vorjahresfahrzeugen (Reglement: 'Testing Of Previous Cars') war es dem talentierten US-Amerikaner bereits möglich, das Vorjahres-Auto zu steuern. "Es hat sehr viel Spaß gemacht!", lautete das Fazit Hertas nach zwei Testtagen. Der Test auf dem Autodromo Internacional do Algarve verstärkte nochmal das Bestreben des IndyCar-Piloten, es bis ganz nach oben in die Formel 1 zu schaffen. "Aber schon sehr anders als das, was ich bisher gewohnt war. Auch vom Fahrstil her! Aber die Ingenieure haben mir sehr geholfen. Was für ein Auto!"

Im März wurde Colton Herta bei McLaren als Testfahrer angekündigt, seitdem wird ihm von vielen Seiten eine mögliche Zukunft in der Formel 1 prophezeit. Der Sohn von Motorsportikone Bryan Herta gilt als eines der größten Talente im Rennsport, zumindest in den Vereinigten Staaten. "Es war sehr speziell für mich, meinen ersten Test nicht nur in einem Formel-1-Auto, sondern sogar in einem Formel-1-Sieg-Auto zu fahren." Immerhin hat Daniel Ricciardo damit im Vorjahr in Monza gewonnen.

Herta: Mit 28 zu alt für die Formel 1

Ob er versucht habe, dem ganzen Team von McLaren zu imponieren? "Es ist schwierig, in einem Rennauto zu sitzen und nicht so schnell zu fahren wie möglich!", antwortete Colton Herta. Natürlich wolle er als Rennfahrer immer mit seinen Fähigkeiten imponieren und McLaren beeindrucken. Auch im Hinblick auf eine mögliche Formel-1-Karriere. "Wenn du 28 Jahre alt bist, gehst du leider nicht mehr in die Formel 1. So funktioniert das eben. Die Zeit ist reif für mich, wenn ich die Gelegenheit bekomme," meint Colton Herta, derzeit 22 Jahre.

Selbstvertrauen hat der mit 18 Jahren jüngste Sieger in der Indy-Car-Geschichte genug: "Ich glaube, dass ich schnell genug bin und hoffentlich bekomme ich noch mehr Chancen, das zu zeigen!" Beim derzeitigen Formel-1-Boom in den USA mit drei Rennen und hohen Zuschauerzahlen fehlt dem Land noch ein einheimischer Fahrer. Die Komplexität des Autos wäre für ihn auch kein Problem, trotz der vielen unterschiedlichen Einstellungen habe er sich sehr schnell wohl gefühlt. Als ehemaliger Teamkollege von Lando Norris hat er in seiner Zeit in Europa viel gelernt, einschließlich europäischer Längeneinheiten. "Wenn ich zehn Meter später bremsen sollte, verstand ich endlich, wie weit das eigentlich ist!"

Pato O'Ward, IndyCar und Formel-1-Konkurrent

Einer der Konkurrenten um einen möglichen Platz am Formel-1-Grid ist IndyCar-Kollege Patricio O'Ward. O'Ward saß im Rahmen des Young Driver Test der Formel 1 in Abu Dhabi erstmals für das Team aus Woking hinter dem Steuer. Und beeindruckte - wie Herta - das Team mit seiner Vorbereitung und seinen Leistungen im Test. "Mit Pato wollen wir uns zu 100 Prozent auf IndyCar konzentrieren", besänftigte McLaren CEO Zak Brown zu Beginn der Saison aufgehetzte Gemüter, die schon einen internen Konkurrenzkampf zwischen den beiden IndyCar-Stars sahen. Browns Aussage stammt allerdings aus dem März 2022.

Bekommt Pato O'Ward bald wieder Gelegenheit im McLaren zu sitzen?, Foto: LAT Images
Bekommt Pato O'Ward bald wieder Gelegenheit im McLaren zu sitzen?, Foto: LAT Images

McLaren-Teamchef Andreas Seidl zeigte sich von beiden jungen Piloten begeistert, das Team müsse aber erst die Gesamtsituation evaluieren und sich dann für einen FP1-Fahrer entscheiden. "Erstes Fazit? Wir sind mit beiden Fahrern sehr zufrieden!" Komplikationen aufgrund der nicht-standardmäßigen europäischen Route über die niederen Formelklassen sieht der Deutsche nicht: "Wir traten schon sehr früh mit Pato und Colton in Kontakt." Dementsprechend gut die Vorbereitung auf die Tests: Arbeit im Simulator, Wissen über Formel-1-Autos und Abläufe im Team sowie das Dabeisein bei einigen Rennwochenenden hätten O'Ward und Herta gut vorbereitet.

Andreas Seidl: 2022 Autos machen Aufgabe für Rookies noch schwieriger

Gut vorbereitet auf eine Formel-1-Saison ist ein Pilot bei seinem Debüt laut Seidl allerdings nie. "Du kannst nicht genug Testtage als Rookie haben!" In der heutigen Realität sei die Anzahl der Testtage leider limitiert, demensprechend wichtig sind Gelegenheiten wie in Portugal. Wie viele Testtage wären für den McLaren-Teamchef ideal? "So viele wie möglich!"

Andreas Seidl & Co wären über mehr Testtage (nicht nur) für Rookies erfreut, Foto: LAT Images
Andreas Seidl & Co wären über mehr Testtage (nicht nur) für Rookies erfreut, Foto: LAT Images

Trotzdem wird der Umstieg vor allem 2022 mit großen aerodynamischen Änderungen an den Autos eine zusätzliche Herausforderung. "Die Herausforderung ist groß genug, aber 2022 mit den neuen Autos und deren unterschiedlicher Charakteristik noch mehr", meint Andreas Seidl. Schlüssel zum Erfolg? Nicht zu viel Druck. Einerseits vom Fahrer, andererseits vom Team. "Wir müssen mit diesen Autos dann das ganze Rennwochenende fahren. Gleicher Motor, gleiches Getriebe", lässt Seidl keinen Raum für große Heldentaten der Youngsters. "Wir werden da definitiv einen sehr konservativen Ansatz wählen."

McLaren als IndyCar-Anlaufstelle Nummer eins

Dritter im Bunde ist der amtierende IndyCar-Champion Alex Palou. Der steht zwar laut seinem Team Chip Ganassi Racing bis 2023 unter Vertrag, dementierte das aber wenig später öffentlich auf seinem Twitter-Account und betonte, dass er das Team nach 2022 verlassen wolle. Neuer Arbeitgeber? McLaren. Der Rennstall bestätigte Palou sogleich als Formel-1-Testpilot, ebenfalls mit dem Vorjahres-Boliden.

Für McLaren ist bald der Tag der Entscheidung zwischen den drei Fahrern. Falls kein IndyCar-Pilot gewünscht ist, wären da auch noch Nyck de Vries und Oscar Piastri, die ebenfalls als Ersatzfahrer beim Team gelistet sind. Die träumen natürlich nicht nur von einem Einsatz im Freien Training, sondern von einem Stammplatz in der Königsklasse. Als Ricciardo-Nachfolger? Allerdings nicht vor Ende 2023, ließ uns der Australier über Social Media wissen.