Mark Webber ist in Japan ein großartiges Rennen gefahren. Bis fünf Runden vor dem Ende auf Rang 3, ehe er sich Fernando Alonso geschlagen geben musste. Mit stumpfen Waffen, wohlgemerkt! Zum zweiten Mal in drei Rennen ist der Australier damit in Podiumsnähe gekommen. In einer Zeit, da sein Team buchstäblich zerfällt – Respekt!

Doch kaum jemand hat wirklich Anhaltspunkte, dass hier ein echter Champion heranreift. Damit keine falschen Vermutungen aufkommen: Ich verehre Mark überaus. Er ist für mich ein Rennfahrer, wie ich ihn mir als Kind immer vorgestellt habe: Groß, elegant, unerschrocken. Dazu ein Auftreten, das bei jeder potenziellen Schwiegermutter unverzüglich einen "Haben-Wollen!"-Reflex auslösen muss. Und - er ist "outspoken", wie es unsere englischen Kollegen so schön formulieren können. Leider gibt es dieses Wort auf Deutsch nicht, es soll heißen: der Junge hat den Mut, auch mal den Mund aufzumachen.

Ein Mann, ein Wort

Als TV-Mann müsste man ihm bei jedem Rennen einen Ehrenpreis verleihen: Jede Interview-Antwort ein Treffer. Mein persönliches Saisonhighlight hat er beim Qualifying zum Türkei-Grand Prix geliefert. Ecclestone-TV lieferte in Istanbul den hochgeschätzten Boxenfunk mit. Sato hielt in seiner Auslaufrunde Webber auf dessen Quali-Runde auf. So kamen Millionen Zuseher in den Genuss, einen Rennfahrer einmal 100% echt zu erleben.

"What was Sato, the bastard doing there?", kam die Anfrage an die Boxen. Gegen Antonio Pizzonia als Teamkollegen hat er sich (bei Williams, wo der Fahrer mal besser sowieso die Klappe hält) von Beginn an ausgesprochen. Sehr mutig, denn Nick Heidfeld hat heuer die Grenzen des Australiers das eine oder andere Mal aufgezeigt.

Beim Monaco-Grand Prix stand Mark wie ein begossener Pudel in der Fürstenloge. Über sein erstes Podium konnte er sich nur wenig freuen. Eigentlich wäre der zweite Platz seiner gewesen. Aber irgendwie war Nick durch etwas Glück in der Rennstrategie doch noch durchgerutscht. Die Höchststrafe! Was sonst auch keiner getan hätte: Am Höhepunkt des Kleinkriegs BMW gegen Williams stellte er sich demonstrativ gegen BMW. Im Elektronikbereich hätte er schon vor Jahren bessere Dinge zur Verfügung gehabt: Als Tester bei Renault.

Als GPDA-Direktor hat er viele Dinge beim Namen genannt: Die Ohnmacht der Fahrer gegenüber der FIA, die schlechte Behandlung der Fans, den mangelnden Zusammenhalt der Fahrer durch politische Hintergedanken. Jetzt sind die Fahrer draufgekommen, dass man mit einem Direktor weniger auch ganz gut auskommt. Sehr viel sagend, nicht? Aber Webber trug es mit Fassung - zumindest nach außen.

Einer von uns

Mark ist ein Mann aus dem Volk. Keiner aus dem Hinterwald wie Räikkönen, und keiner mit millionenschwerem Papi. Wenn er am Abend nach den Briefings freiwillig in die Boxengasse geht, um seelenruhig Autogramme zu schreiben, dann ist das echt! Da stehen Fans mit Fotoapparaten Schlange, und jeder bekommt sein Bild. Und wenn Mark Webber sagt: "Leute, ich muss jetzt leider weg...", dann glaubt man ihm das. Sogar das "leider".

Er hat in Quenbeyan, einem Vorort von Canberra eine ganz normale australische Jugend verbracht, ehe er nach England gehen musste. Heute ist er daheim ein Superstar, der bei jedem Rennen ganze Seiten der Zeitungen füllt. Als er im ersten Jahr bei Jaguar fuhr, verriet er mir: "Ich fahre nur zweimal im Jahr nach Australien. Einmal zum Grand Prix, das ist die Hölle. Da wollen mich alle jeden Tag 24 Stunden lang. Dann nochmals im europäischen Winter."

Dann ist er wieder der Aussie-Boy mit Barbecue, ein paar Fosters, ab und zu Surfen und viel Sport im Freien. Seine Freundin Anne kennt er, seit er 17 ist. Sie ist mittlerweile über vierzig. Das ungleiche Paar eignet sich kaum für Yellow Press-Auflagen, die ein Button oder ein Räikkönen mit den geklonten Model-Freundinnen liefern können. Sein jugendliches Weltbild hat er sich auch im Stahlbad der Formel 1 erhalten. Für ein Treffen mit Lance Armstrong opferte er einen ganzen Tag. Wie ein Schuljunge stellte er sich brav vor, um sein Idol ein paar Minuten zu treffen.

Überhaupt bewundert er Menschen, die Dinge können, die er nicht kann (Rennfahrer zählen eher nicht dazu...), daher die Leidenschaft fürs Radfahren. Mit Christian Klien organisierte er heuer ein gemeinsames Radrennen in Nordamerika. Ein paar Teamkollegen von Lance Armstrong gaben den beiden die Ehre. Der Meister selbst kam nicht, aber Mark war trotzdem aufgeregt wie ein Kind.

Der Druck einer ganzen Nation

Australien musste über 20 Jahre auf einen echten Top-Piloten nach Alan Jones warten. Der schwärmt in höchsten Tönen von ihm, ebenso wie der greise Übervater Jack Brabham: "Ich bin mir sicher: Mark wird eines Tages Weltmeister!"

Nun, da bin ich mir nicht so sicher, auch wenn sowohl Bernie Ecclestone als auch Jean Todt ihn in eine Liga mit Alonso, Räikkönen und Massa hieven. Ich behaupte, er hat lange von seinem sensationellen Erstauftritt im Minardi gelebt: Ein fünfter Platz in Melbourne. Danach kam lange nichts: Bei Jaguar war seine beste Platzierung Platz 6. Trotzdem hörten die Vorschusslorbeeren nie auf.

Zum einen zeigte er, dass er der ungekrönte Champion der Ein-Runden-Quali ist. Zum anderen hatte er bei den wenigen Regenrennen ganz starke Auftritte, zum Beispiel die kurzzeitige Führung in Indy 2003 im Jaguar. Aber davon alleine wird man nicht Weltmeister. Die Liste seiner Teamkollegen, die er abmontiert hat, liest sich auch nicht gerade wie ein "Who is who" der Formel 1: Alex Yoong, ein Anthony Davidson als Kurzzeitlösung, Antonio Pizzonia, Justin Wilson, ein Christian Klien mit 3 Jahren Erfahrungsrückstand.

Das Hirn als Problem

Um heute Formel 1-Weltmeister zu werden, musst Du nicht nur ein Super-Egoist sein. Du brauchst auch die Gabe, im entscheidenden Moment NICHT nachzudenken. Doch Mark Webber denkt wie erwähnt über vieles nach. Wahrscheinlich auch, warum er von einem politischen Pulverfass (Jaguar) ins nächste (BMW vs. Williams) kommen musste.

Den Sinn, sich in einem Rennen (wie in Frankreich) von einem gebrochenen Luftauslass halb durchgrillen zu lassen, um beim nächsten Mal ein paar Minuten später ins Qualifying gehen zu dürfen, stellt er wohl auch mehr als andere in Frage.

Ich hoffe, dass mich unsere geschätzte motorsport-magazin.com-Leserschaft nun nicht als Miesmacher sieht. Ich traue Mark Webber an einem guten Tag durchaus Siege zu. Und schließlich gibt es Gegenden auf dieser Erde, wo auch noch andere Dinge zählen als ein WM-Titel: Dass einer unaufgefordert "g´day, mate" oder "how are you, mate" sagen kann. Oder einfach verdammt gut weiß, wie man ein ordentliches Lagerfeuer macht, damit die verdammten Steaks endlich durch werden...