Die Formel-1-Saison 1997 stand vom Auftakt in Melbourne bis zu ihrem umstrittenen Finale in Jerez ganz im Zeichen des WM-Kampfes zwischen Michael Schumacher und Jacques Villeneuve. In einem anderen denkwürdigen Rennen des Jahres war jedoch ein anderer der Hauptdarsteller. Beim Großen Preis von Ungarn wurde Damon Hill im unterlegenen Arrows Yamaha eines sensationellen Sieges beraubt. In letzter Sekunde verhinderte das Schicksal Arrows' märchenhaften Triumph in Budapest.
Als die F1 im Sommer an den Hungaroring reiste, hatte der amtierende Weltmeister Damon Hill lediglich einen WM-Punkt auf seinem Konto. Kein Wunder, hatte er doch sein Top-Cockpit bei Williams schon vor seinem Titelgewinn beim Finale 1996 in Suzuka verloren. Bereits im Sommer hatte ihm Teamchef Frank Williams eröffnet, dass er ihn durch Heinz-Harald Frentzen ersetzen wird. Hill sprach daraufhin mit anderen vielversprechenden Teams, darunter Benetton und McLaren, doch die Verhandlungen scheiterten an der Gehaltsfrage.
"Ich wäre fast zu McLaren gegangen und neben Mika Häkkinen gefahren, aber Ron Dennis wollte mich nur auf Basis von Ergebnissen bezahlen und das war für mich absolut inakzeptabel", erklärt Hill später. Bei McLaren hätte ihm mit dem MP4/12 durchaus konkurrenzfähiges Material zur Verfügung gestanden. David Coulthard und Mika Häkkinen gewannen für die Truppe aus Woking in der Saison 1997 drei Rennen.
McLaren geht Damon Hill auf den Sack, Weltmeister wählt Arrows
Doch in Anbetracht von Dennis' Führungsstil hielt Hill McLaren unter menschlichen Gesichtspunkten schlichtweg nicht für die richtige Wahl: "Ich war Weltmeister und sie würden beim Marketing gewaltig Kapital daraus schlagen. Ron würde das niemals zugeben, denn er hatte in seinem Leben mehr Weltmeister als Frauen. Aber ihre ganze Art ging mir auf den Sack. Ich denke nicht, dass ich dort glücklich geworden wäre."
Da sowohl bei den Top-Teams als auch im Mittelfeld sämtliche Cockpits bald besetzt waren, blieb Hill für die Fortsetzung seiner F1-Karriere nur noch eine Option. "Ich ging also zu Arrows. Sie waren kein Top-Team, aber die Jungs dort waren schwer in Ordnung", so der Titelverteidiger. Doch so angenehm die Atmosphäre bei Arrows war, so schlecht lief es für den damals 36-Jährigen in seinem neuen Team in sportlicher Hinsicht.
Die ersten zehn Rennen waren gespickt von technischen Problemen. Schon bei der Saisoneröffnung in Australien blieb er in der Einführungsrunde mit einem defekten Gaspedal stehen. Der von einem V10-Aggregat aus dem Hause Yamaha befeuerte Arrows A18 war sowohl untermotorisiert als auch unzuverlässig. Außerdem entschied sich Teamchef Tom Walkinshaw angesichts günstigerer Konditionen für Reifen von Neuling Bridgestone, statt weiter auf die altbewährten Goodyear-Pneus zu setzen.
Arrows strauchelt, dann kommt Ungarn
Bevor die Teams ihre Zelte für das elfte Rennen der Saison auf dem Hungaroring aufschlugen, hatte Hill sechs Ausfälle verzeichnet. Erst zwei Rennen vor dem Großen Preis von Ungarn hatte es endlich einen Lichtblick gegeben. Bei seinem Heimspiel in Silverstone eroberte er mit Platz sechs den ersten WM-Punkt der Saison.
Das britische Publikum feierte diesen Erfolg zwar überschwänglich, doch Hill sah keinen Anlass in Jubelstürme zu verfallen. Ihm war klar, dass dieses Ergebnis nicht die tatsächliche Performance seines Boliden widerspiegelte. "Bei einem sechsten Platz gab es nicht wirklich etwas zu feiern. Außerdem waren wir uns bewusst, dass wir nur durch die vielen Ausfälle so weit nach vorne gekommen waren." Vier Wochen später sollte sich das Blatt für Hill und sein Team völlig unerwartet wenden.
Auf dem Hungaroring, dem Ort an dem Hill 1993 seinen ersten von insgesamt 22 Grand-Prix-Siegen feierte und 1995 ein zweites Mal triumphierte, überraschte der Arrows mit der Startnummer 1 schon am Freitag. Beim Trainingsauftakt gelang ihm die fünftschnellste Zeit - und das, obwohl er aufgrund technischer Probleme nur eine schnelle Runde fahren konnte. "Viele Fahrer hassen den Hungaroring, aber ich liebe ihn", so Hill über den Micky-Maus-Kurs vor den Toren von Ungarns Hauptstadt.
Überraschung im Qualifying: Platz drei hinter Ferrari und Williams
Eine solche Leistung im Training war damals wie heute nicht unbedingt aussagekräftig, doch wer an ein Strohfeuer dachte, sollte spätestens am Samstag eines Besseren belehrt werden. Im Zeittraining qualifizierte sich Hill hinter Schumacher und Villeneuve als Dritter. Der Rückstand zum Pole-Sitter im Ferrari betrug lediglich 0,372 Sekunden. Ein Resultat, mit dem Hill so nicht gerechnet hatte: "Ich bin überglücklich. Das Ergebnis kommt etwas unerwartet. Ich hatte gedacht, dass wir eine Chance auf die ersten Zehn oder sogar ersten Sechs haben würden, doch unter den Top-3 zu sein ist wirklich fantastisch."
Der Grund für die Qualifying-Überraschung durch Arrows lag auf der Hand. Das Team hatte den A18 nicht etwa erfolgreich auf den Kopf gestellt, um eine derart konkurrenzfähige Pace aus ihm herauszuquetschen. Es war das schwarze Gold, welches den Unterschied machte. "Goodyear hatte es einfach verhauen. Sie hatten Reifen dabei, die sich als weich wie Kaugummi herausstellten. Meine Bridgestone waren unglaublich und das Auto fühlte sich fantastisch an" erklärt Hill.
Der Reifenhersteller aus Japan statteten in seinem Debüt-Jahr in der Formel 1 mit Prost, Arrows, Stewart und Minardi lediglich vier Teams aus. Diese waren allesamt in den hinteren Reihen des Feldes anzutreffen, da sich die kleineren Privat-Teams eher auf einen Deal mit dem Newcomer einließen. Doch die Reifen aus Fernost hatten sich im Saisonverlauf bereits auf anderen Strecken wie Barcelona als großer Coup erwiesen.
Für die Budapest-Sensation durch Hill war der Reifen aber kaum alleine verantwortlich. Als zweitschnellster Bridgestone-Pilot lag Rubens Barrichello im Stewart lediglich auf Rang elf. Dem Brasilianer fehlten auf Schumachers Zeit satte 1,4 Sekunden. Hills Teamkollege Pedro Diniz verlor als 19. sogar 2,4 Sekunden. Den Unterschied machte also immer noch Ungarn-Spezialist Hill, dessen Werk mit dem Qualifying lange nicht vollbracht war.
Hill kassiert Schumi und JV: Kurzer Prozess mit den WM-Leadern
Bei Experten und Fans stand hinter Hill für das Rennen trotz der überzeugenden Qualifying-Performance ein dickes Fragezeichen. Warum sollte ein Arrows auch um den Sieg fahren? Es war schlichtweg undenkbar, dass er auf die Renndistanz über 77 Runden mit den WM-Favoriten Schumacher und Villeneuve auch nur ansatzweise schritthalten können würde. Der Weltmeister strafte seine Zweifler gleich beim Erlöschen der Startampel ab. Von der Linie weg kassierte er zunächst den Williams von Villeneuve.
"Ich hatte einen guten Start und war danach in der Lage, Michael dicht zu folgen", erinnert er sich. Dessen Goodyear-Pneus begannen schon in den ersten Runden an Performance zu verlieren: "Ich konnte sehen, dass seine Reifen Blasen warfen und er bald ein Problem haben würde." Hill nutzte die Gunst der Stunde und wagte eine Attacke. In der zehnten Runde packte er sich Schumacher beim Anbremsen auf die erste Kurve und ging in Führung.
Mit dem Manöver gegen den einstigen Titelrivalen hatte Hill für seinen Geschmack an diesem Tag schon alles erreicht: "Als ich Michael überholte, dachte ich mir: Wenn gleich alles aus ist, stört es mich nicht. Ich hatte einen fantastischen Lauf." Während die Goodyear-bereiften Autos weiter zu kämpfen hatten, setzte sich Hill an der Spitze unaufhaltsam ab. Nach fünf Runden hatte er bereits acht Sekunden Vorsprung, in Runde 19 stand der Teamkollege zur Überrundung an.
Hill fährt allen davon: Halbe Minute Vorsprung auf Villeneuve
Im 23. Umlauf kam Hill zeitgleich mit dem mittlerweile an zweiter Position liegenden Villeneuve zum ersten Reifenwechsel. Er musste seine Führung vorübergehend an dessen Williams-Stallgefährten Frentzen abgeben, der kurz darauf mit einem technischen Defekt die Segel strich. Hill war ab Runde 30 wieder in Führung, hinter ihm folgten Villeneuve, David Coulthard im McLaren und Schumacher. Der Vorsprung wuchs daraufhin weiter an. Bis zur nächsten Runde der Boxenstopps in der 51. Runde lag Hill mit 26 Sekunden in Front.
"Mit dem Arrows hieß es arbeiten, arbeiten, arbeiten. Die ganze Runde über. Es war ein hartes Rennen und ich genoss es", so Hill, der weiter wie ein Uhrwerk seine Runden drehte und fünf Runden vor Schluss 32 Sekunden vor Villeneuve lag. Der Sensations-Sieg für Arrows war zum Greifen nah. "Ich kam an den Punkt, an dem ich dachte, dass ich das Rennen gewinnen kann", so Hill.
Villeneuve zerstört Hills Traum vom Sieg
Doch kurz darauf folgte der Schock. Der Arrows des Champions wird langsamer und überrundete Fahrzeuge ziehen an ihm vorbei. Villeneuve holt in einer einzigen Runde zehn Sekunden auf. Hills Getriebe steckt aufgrund eines Hydraulikdefekts im dritten Gang fest und das Gas reagiert nur noch spontan auf die Befehle des Fahrers. "Mein erster Gedanke war: Wie kann ich verhindern, dass Jacques vorbeigeht" erinnert sich Hill, der es tatsächlich schaffte, mit dem lahmenden Arrows als Führender in die 77. und letzte Runde zu gehen.
Nach wenigen Kurven hatte Villeneuve auch die letzten Meter gutgemacht. "Ich bog auf die Gegengerade ein und dachte mir: Mach dich breiter, mach dich breiter", so Hill, der dem heranstürmenden Kanadier trotz stumpfer Waffen erbitterte Gegenwehr leistete. Ausgangs Kurve drei zog der Williams trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken durch ein kompromissloses Manöver außen vorbei.
"Er überholte mich einfach mit Vollgas auf der Wiese", so Hill, der sich so breit wie möglich gemacht hatte. Der Vorsprung auf Johnny Herbert im Sauber reichte aus, um den zweiten Platz über die Linie zu retten. Auf Sieger Villeneuve fehlten am Ende neun Sekunden. Bei der Zieldurchfahrt war Hill die Frustration über den soeben entgangenen Triumph deutlich anzumerken. Wenig später im Parc Ferme wurde bei Arrows dennoch gejubelt.
Pfennigteil verhinderte Arrows-Sensation
Zum einen war der zweite Platz immer noch ein absolutes Top-Resultat für das Team, und zum anderen hatte Hill überhaupt nicht damit gerechnet, das Rennen mit dem stotterten Arrows noch zu beenden. "Das Auto hätte eigentlich liegenbleiben müssen. Es war ungefähr drei Mal kurz davor und ich war wirklich überrascht, dass es ich es noch bis ins Ziel schaffte. Ich hatte erwartet, dass es mich zum Parken zwingen würde. Aber das tat es nicht und wir wurden Zweiter. Das Ganze war ziemlich aufregend und ich war sehr glücklich über das Ergebnis", erklärt der Pechvogel.
Den Sensationssieg holte er im darauffolgenden Jahr nach. Für Jordan feierte er im Regenchaos von Spa-Francorchamps seinen letzten Triumph in der Formel 1. Für Arrows sowie für Yamaha hingegen blieb Ungarn 1997 das höchste der Gefühle. Weder das Team noch der Motorenhersteller errangen jemals einen GP-Sieg. Ihre einzige Chance wurde durch einen Dichtungsring im Wert von etwa 50 Pfennig zerstört, der zum fatalen Hydraulikdefekt an der Drosselklappenbetätigung von Hills Auto geführt hatte.
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